Trends und Events an den Märkten Die Angst der Deutschen vor Aktien

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Die folgende Abbildung beleuchtet einige kurzfristige (Kurs-)Verwerfungen, die den langfristigen Trend mitcharakterisieren. Sie können heftig sein und führen regelmäßig zu wilden Diskussionen darüber, wie gefährlich und unberechenbar die Aktienmärkte sich gebärden.

Positive Phasen werden dagegen kaum beachtet, da „man ja weiß, dass Aktienmärkte langfristig ansteigen“. Diese tief verwurzelte Attitüde asymmetrischer Interpretation positiver und negativer Phasen der Aktienmarktentwicklung führt bei breitesten Bevölkerungsschichten zu einer grundsätzlichen Abneigung der Aktie als Anlagevehikel - auch für die lange Frist. Die Trends werden ausgeblendet, die Events obsiegen.

Entsprechend sieht denn auch das Bild des Aktienmarktes für Herrn und Frau Jedermann in angepasster Form und schematisch etwa wie folgt aus:

Aus der Ferne betrachtet liefert der Aktienmarkt in dieser Interpretation fast ausschließlich eine Aneinanderreihung negativer Events, bei denen das langfristige Potential (der Trend) den kurzfristigen negativen Emotionen geopfert wird. Entsprechend benennen wir die obige Grafik denn auch „Des Deutschen Aktienmarkt“, um die negativen Emotionen zu versinnbildlichen. Dies im Unterschied zu den ersten Grafiken, die wir standardmäßig mit „Der Deutsche Aktienmarkt“ gekennzeichnet haben. Da wir in einer event-getriebenen Gesellschaft leben, bestimmen diese negativen Empfindungen zu einem großen Teil auch die Vermögensallokation – eben: weg von den Aktien. Hinzu kommt, dass eine quasi schmerzfreie Alternative in Form einer Investition in ein Rentenportfolio existiert, die sich bildlich wie folgt darstellen lässt:

Der Anstieg des Rentenportfolios (rot) von 1.000 auf 5.660 Euro scheint zu genügen, um positive Emotionen auszulösen. Zumindest ist dieser Anstieg praktisch frei von negativen Phasen. Die vergangenen Opportunitäten, die sich immerhin auf einen Opportunitätsverlust von weit über 100 Prozent summieren, werden nicht zur Kenntnis genommen.

Reputationsrisiken

Die beschriebenen Muster spielen aber nicht nur bei Frau und Herrn Jedermann. Sie haben auch eine politisch-ökonomische Dimension. Es ist ja nicht so, dass langfristiges Renditepotential, das im Produktivkapital der Volkswirtschaft – sprich: Investition in Unternehmenskapital, sprich: Aktien – steckt, nur bei privaten Anlegern ein Mauerblümchen-Dasein fristet. Auch institutionelle Anleger wie Pensionskassen und Versicherungen scheuen die oben beschriebenen „Events“ wie der Teufel das Weihwasser. Dabei wird die kurzfristige Ausrichtung der Anlagen - auch wenn sie langfristige Verbindlichkeiten abzudecken haben – teilweise sogar von Aufsichtsbehörden über Anlagerichtlinien und/oder Rechnungslegungsvorschriften „verschrieben“. Niemand will sich den Reputationsrisiken stellen, die durch kurzfristige negative „Events“ definiert werden. Denn es ist offensichtlich, dass solche Abschwünge gelegentlich länger dauern können als die Geduld von Verwaltungs-, Aufsichts- oder Stiftungsräten. Oder warum sollte sich ein Politiker für langfristig vielleicht vernünftige Anlagevorschriften einsetzen, wenn er riskiert, dass seine nächste Wahl gerade mit einem „Event“ zusammenfällt. Jeder hat seine Anreizstrukturen, die in aller Regel kürzerfristiger Natur sind als die Trends an den Finanzmärkten.

Der Dritte Beitragszahler

In diesem Kontext könnte der dritte Beitragszahler, neben Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen die Rendite an den Finanzmärkten, einiges zur Lösung der anstehenden Probleme der Vorsorgesysteme beitragen – wenn wir ihn denn nur ließen. Dafür muss man aber erstens verstehen, dass die langfristigen Trends der Aktienmärkte das Innovations- und Gewinnpotential der Volkswirtschaft wiederspiegeln, und man muss zweitens seine Aufmerksamkeit weg von den „Events“ und hin zu den Trends richten.


Über den Autor:
Erwin W. Heri ist Professor für Finanztheorie an der Universität Basel und Gründungspartner der Finanzausbildungsplattform fintool.de

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