Ein Hauptmerkmal jeder guten Story ist die Transformation des Helden. Aus Saulus wird Paulus, aus Aschenputtel wird die Prinzessin, aus Peter Parker wird Spiderman. Wenn man sich das vergegenwärtigt, ist es nur logisch, dass Change-Projekte und Unternehmenstransformationen schon von ihrer DNA her Storytelling brauchen beziehungsweise selbst eine Heldenreise sind. Aus Apple ist erst dann eines der wertvollsten Unternehmen der Welt geworden, als Steve Jobs nach seinem Rauswurf und der Gründung von Pixar zurückgekommen war. Denn was hatte er bei Pixar gelernt? Heldengeschichten für Kinder zu erzählen!
Die Geschichte vom „grünen Band“ – wenn Transformation nicht gelingt
Wandel ist allgegenwärtig – auch und gerade in der Finanzwelt und der Beratung vermögender Kunden: Digitalisierung, Fusionen, Neusegmentierungen, ESG, Regulatorik. Die Liste ließe sich lange fortschreiben. Doch gibt es zahlreiche bekannte und unbekannte Beispiele, die deutlich machen, dass der Wandel oft nicht oder nur teilweise gelingt. So weiß ich von ehemaligen Mitarbeitern der Dresdner Bank, dass sie noch Jahre nach der Fusion mit der Commerzbank ein großes Logo des grünen Bands der Sympathie im Büro stehen hatten und ihr Herz niemals so recht gelb schlagen wollte. Erst jetzt, 15 Jahre später, schafft es das Übernahmeangebot der roten Unicredit, die Dresdner- und Commerzbanker zusammenzuschweißen – unter dem Narrativ des großen gelben Herzens. Rot-gelb-grün: Ampeln funktionieren nicht ohne ein gemeinsames Narrativ. Nicht nur im Banking …
„People don‘t resist change they resist being changed.“
Peter Senge, Management-Guru
Was macht aber eine erfolgreiche Story für Change-Prozesse aus? Im Banking, aber auch in jedem anderen Umfeld? Grundsätzlich sind fünf Faktoren zu berücksichtigen. Erstens der Grundton der Geschichte, zweitens die Hauptfigur, drittens die Resonanz mit dem Publikum, viertens die Heldenreise, sprich Transformation des Helden, und fünftens die Moral der Story.
Für den Grundton gibt es zwei Ansätze: Storys, die die negativen Konsequenzen des Nicht-Handelns aufzeigen. „Wenn wir die Kosten nicht senken, sind wir bald insolvent.“ Und solche, die eine positive Entwicklung in Aussicht stellen. „Wenn wir die Kosten senken, bauen wir nachhaltig Liquidität auf.“ Im Fall der Commerzbank könnte die Story unter folgenden Überschriften stehen: „Wenn wir uns nicht zusammentun, werden wir von den Roten übernommen und verlieren unsere Identität!“ Oder: „Nur wenn wir zusammenhalten, können wir der feindlichen Übernahme widerstehen!“ Ich bevorzuge die motivierende Variante gegenüber der Drohkulisse. Angst und Verunsicherung gibt es im Change schon genug.
Nehmen wir also einen motivierenden Claim und einen Grundton, der ermächtigt. Fragt sich im nächsten Schritt: Wessen Geschichte erzählen wir? Wer ist die Hauptfigur, der Held, die Heldin? Auch hier gibt es wieder zwei Möglichkeiten:
- Die Hauptfigur ist eine abstrakte Einheit. Also eine Bank, ein Geschäftsbereich, die Belegschaft et cetera. In unserem „Ampel“-Beispiel wäre das „Die Commerzbank“.
- Die Hauptfigur ist eine konkrete Person und dessen persönliches Erlebnis versinnbildlicht, warum der Wandel notwendig ist und wie er gelingt.
Der Vorteil der ersten Variante ist, ein Narrativ, zu haben, das universell im gesamten Unternehmen verwendet werden kann. Es ist so eine Art „Marketing-Story des Change“. Der Nachteil: Es fehlt die Identifikation der Adressaten mit dem Helden. Wer ist „die Bank“, wer sind „die Mitarbeiter“? Generische Begriffe sind für unser Gehirn sperrig und ermöglichen keine emotionale Bindung.
Eigene Erlebnisse des Erzählers wirken am stärksten
Anders wirkt die Geschichte eines Menschen aus Fleisch und Blut. So etwa bei einer Werbung für Brot für die Welt. Dort wird ein Einzelschicksal herausgegriffen, dass stellvertretend für alle Hungernden auf der Welt gezeigt wird. „Ezra kann nicht mehr zur Schule gehen, weil sie zu schwach ist für den langen Weg dort hin.“ Und dazu das Bild eines siebenjährigen hohlwangigen Mädchens mit großen Augen.
Wirksames Storytelling braucht eine Person, mit der sich der Adressat identifizieren kann. Eigene Erlebnisse des Erzählers oder der Erzählerin wirken am stärksten. Denn nichts ist so authentisch, wie eine selbst erlebte Story. Die Individualität ist aber auch der Nachteil persönlicher gegenüber generischen Geschichten: Jeder muss für sich selbst nach der passenden Story suchen und sie gut pitchen. Das bedarf etwas Arbeit, aber es lohnt sich. Menschen interessieren sich für Menschen. Nicht für Produkte oder Marken. Das gilt auch im Change.
Um die volle Wirkung entfalten zu können, muss die Erzählung zudem auf das Publikum abgestimmt sein. Nicht jede Story passt zu jedem Adressaten. Wenn ein Geschäftsführer vor Berufsanfängern spricht, sollte er am besten eine Geschichte aus den eigenen ersten Jobjahren erzählen und nicht eine aus der vergangenen Vorstandssitzung.
Die Heldenreise muss zeigen, warum Veränderung sinnvoll ist
Eine Geschichte muss Resonanz im Herz der Zuhörer erzeugen, sonst verfehlt sie ihr Ziel. Das kann mit einer gut gemachten Corporate-Change-Story auch funktionieren. Leichter und authentischer ist es jedoch, wenn wir von ureigenen Erfahrungen berichten und daraus die Parallele zum aktuellen Transformationsprozess und dem Alltag der Zuhörer ziehen. „Transformation funktioniert nicht nachhaltig, wenn sie nicht mit der Lebenswirklichkeit der Mitarbeiter verzahnt ist“, bestätigte mir Christoph Müller-Höcker, Group Mindfulness Lead der Allianz.
Das vierte Element einer guten Story ist die Heldenreise. Ich sage immer: „Superhelden langweilen“. Ein Mensch, der schon mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde, ist nicht interessant. Nur die Veränderung des Tellerwäschers zum Millionär bewegt das Publikum. Gerade im Change brauchen die Menschen eine Geschichte, die von einem anderen Change erzählt, und die erklärt, warum diese Veränderung sinnvoll, wichtig, ja vielleicht existenziell ist.
Es gilt, eine Parallele zu ziehen aus einer Veränderung aus dem eigenen Leben, die mit der Veränderung im Unternehmen vergleichbar ist. Christian Derler von der BKS Bank zum Beispiel erzählte im Rahmen der Neusegmentierung, wie nach dem Brand des elterlichen Hofes alle vier Kinder ihre jeweiligen Stärken in den Wiederaufbau einbrachten. Und es war nicht nur ein Wiederaufbau. Es war die Neuerfindung eines Konzepts für ein Café im Kuhstall, das nicht nur neue Einnahmequellen erschloss, sondern auch der Mutter die Möglichkeit gab, sich als Gastronomin zu verwirklichen. So wie in dieser Geschichte seiner Familie können auch bei der Neusegmentierung die Mitarbeiter sich auf ihre Stärken konzentrieren und neue Chancen entstehen, sich zu verwirklichen.
Beispiele für Change-Prozesse im Private Banking
Neusegmentierung
Bei einer Neusegmentierung braucht es überzeugende Storys in allen Dimensionen: von der Führung zu den Abteilungen, von Beratern zu Kunden und unter den Beratern. Sonst scheitert das Projekt vor allem an Grabenkämpfen der Berater untereinander.
Digitalisierung
Software und Features inspirieren nicht. Aber die Sehnsucht nach Freiraum, um das zu tun, was wir gerne tun, schon. Und die Geschichte von der Suche und dem Finden dieses Freiraums muss man erzählen, um digitalen Change zu verwirklichen.
Fusionen und Übernahmen
Fusionen scheitern häufig, an einem fehlenden Narrativ für die Kultur der neu entstandenen Einheit, mit dem sich alle neuen Kolleginnen und Kollegen identifizieren können. Einfach nur ein ellenlanger neuer Name reicht nicht.
„Und die Moral von der Geschicht‘ …“ Für jeden Changeprozess gilt es, das überzeugende Motiv zu finden für die Reise, damit die Mitarbeiter Lust haben, mitzugehen. Steve Jobs hat dieses Prinzip bravourös angewendet. Er hat am Schluss seiner persönlich erlebten Geschichten immer das Take-away explizit aufgezeigt. So erzählte er, wie er als Zwölfjähriger einfach zum Hörer griff und Mr. Hewlett (den von Hewlett-Packard) anrief. Er bat ihn, ihm ein paar Elektroteile zum „Basteln“ zur Verfügung zu stellen. Zu seiner Überraschung bekam er die Teile! Als übergeordneten Wert der kurzen Geschichte strich er heraus: „Das ist der Unterschied, zwischen denen, die handeln, und denen, die nur darüber nachdenken, zu handeln.“
Vom Fintech Wealthpilot erschien 2019 ein Artikel im private banking magazin ein Artikel über Digitalisierung im Wealth Management und wurde einer der meistgeklickten Beiträge des Jahres. Warum hat dieser Artikel so verfangen? Weil er eine Geschichte erzählt von der Transformation des vom vielen Wandel und den silohaften Softwareanwendungen frustrierten Beraters Stefan Bauer erzählt, der kaum mehr Zeit für seine Kundengespräche hat. Ein Berater, dem die Digitalisierung genau dies wieder eröffnet. Es ist eine Geschichte, mit der sich der Leser identifizieren konnten.
Die Veränderung des Helden und die Freude an der Arbeit als übergeordnetes Motiv waren das Erfolgsrezept. Sie machten klar, warum sich Berater auf den Change, der mit der Einführung einer neuen Software einhergeht, einlassen sollten. Mehr als jede KPI, ist es die Verwandlung eines Helden, mit dem wir uns identifizieren, die uns überzeugt und bewegt, Veränderung mitzugehen.
Ich verband damals als Ghostwriterin die Geschichte des Beraters Stefan Bauer über die Digitalisierung mit dem Alltag der Leser und stellte sie in einen übergeordneten Kontext, nämlich dem Spaß am Job. Und begann gleichzeitig meine eigene Verwandlung von der Finanzökonomin zur Storytelling-Expertin.
Über die Autorin:
Adriana Richter Adriana ist Storytelling-Coach und Female-Finance-Expertin. Als gelernte Juristin und Finanzökonomin mit 17 Jahren Erfahrung als Finanzberaterin ist sie seit 2016 als Trainerin, Speakerin und Coach in der DACH-Region aktiv.