Japan scheint seit langem wieder einmal das internationale Investoreninteresse zu wecken. Nachdem es dem Schatten der Vergangenheit entkommen ist und die japanischen Märkte neue Höchststände erreichten, lautet die Frage: Wo liegen die nächsten großen Gelegenheiten? Auszumachen sind vier Megatrends.
1. Digitalisierung
Der erste große Megatrend in Japan ist die Digitalisierung der heimischen Wirtschaft. Ob es nun am begrenzten Arbeitskräfteangebot, an steigenden Löhnen oder an der Notwendigkeit von Produktivitätssteigerungen und Größenvorteilen liegt – Japan kommt mancherorts noch langsam – aber sicher – im Internetzeitalter an.
Nachdem Japan in den meisten Bereichen der Digitalisierung, wie beispielsweise E-Commerce, bargeldlose Zahlungen, Software-as-a-Service und ganz allgemein bei den IT-Investitionen von Unternehmen, hinter anderen entwickelten Märkten zurückblieb, erkannten die Verantwortlichen nun die dringende Notwendigkeit, die Effizienzgewinne der Digitalisierung zu nutzen.
Dieser Wandel eröffnet langfristige Wachstumschancen. Obwohl diese Chance noch in den Kinderschuhen steckt – und daher weit weniger ausgeprägt ist als in anderen entwickelten Märkten – sind die hier positionierten Unternehmen zu oft noch überschaubaren Bewertungsaufschlägen oder sogar zu marktdurchschnittlichen Bewertungen zu haben.
Rakuten beispielsweise beherbergt das größte punktebasierte Ökosystem Japans – im Kern eine Art Loyalty-Programm – mit über 100 Millionen Nutzern, die auf über 70 Online-Dienste – von Hotelbuchungen bis hin zu Makler- und Bankgeschäften – zugreifen.
Obwohl das Unternehmen seit seiner Gründung vor 27 Jahren seinen Umsatz kontinuierlich steigert, wird es aufgrund der kapitalintensiven Entscheidung, sein Mobilfunknetz auszubauen, nur mit dem 0,6-fachen des Umsatzes gehandelt, was der Hälfte des Marktdurchschnitts entspricht.
Obwohl dieses neue Vorhaben erhebliche Investitionen erforderte, könnte das Netzwerk durch eine zunehmende Zahl zahlender Abonnenten bis zum Jahresende bald rentabel werden. Als eigenständiges Unternehmen glauben wir, dass es den Unternehmenswert der Gruppe verdoppeln könnte
Ein weiteres Beispiel ist GMO Internet. Dies ist ein führende Anbieter von Internetinfrastruktur und dominiert in den Bereichen Domainregistrierung, Hosting, Cloud-Dienste, Online-Sicherheit, elektronische Signatur, Cybersicherheit und bargeldlose Zahlungen. Das Unternehmen bietet somit „Schaufeln und Spitzhacken“ für Japans wachsende digitale Goldmine.
Obwohl die Gruppe eine so lange Liste von Dienstleistungen vorweisen kann, wird sie mit einem Abschlag auf die Summe ihrer Teile gehandelt, was das Potenzial für eine erhebliche Aufwärtsbewegung bei ansonsten konservativen Wachstumsannahmen schafft.
Genannt sei auch die SBI Holdings, ein Ableger der Softbank Group aus dem Jahr 2006, welcher sich schnell zum größten Maklerunternehmen des Landes entwickelte. Diese Dominanz nutzte das Unternehmen, um seine Fühler in Randbereiche des Finanzwesens wie Versicherungen, Banken und Vermögensverwaltung auszustrecken und die schläfrigen, etablierten Unternehmen zu verunsichern.
Obwohl das Unternehmen seine Mitbewerber überholte und seit fünf Jahren mit einer jährlichen Rate von 24 Prozent wächst, wird es immer noch mit einem ähnlichen Multiplikator wie der breitere Bankensektor gehandelt.
2. Automatisierung und Industrie
Der zweite große Trend ist die beschleunigte Automatisierung der Industrie. Der Aufstieg der japanischen Autoindustrie in den 1980er Jahren, gepaart mit der kulturellen Neigung des Landes zu Qualität und kontinuierlicher Verbesserung (oder Kaizen), trug dazu bei, seinen Platz als regelrechtes Kraftzentrum für Robotik und Automatisierung zu festigen. Heute deckt das Land die Hälfte der weltweiten Nachfrage nach Industrierobotern.
Die Nachfrage nach Robotik und Automatisierung steigt weiter an. Automatisierte Lösungen bieten Unternehmen Schutz vor geopolitischen Risiken, anfälligen Lieferketten und zu einem Teil sogar vor Pandemien. Eine alternde Bevölkerung und steigende Löhne verkürzen zudem die Amortisationszeit.
Technologische Verbesserungen bei der Geschicklichkeit und den Sensorsystemen, der KI und dem Internet der Dinge ermöglichen eine Reihe neuer Möglichkeiten, von der Unterstützung älterer und gebrechlicher Menschen bis hin zu feldbasierter Robotik, wie beispielsweise beim Obstpflücken.
Eines der besonders interessanten Unternehmen hier ist Keyence, ein fabrikloses Unternehmen für Fabrikautomation, das sich auf maschinelles Sehen spezialisiert hat. Dieses Unternehmen ist wohl das beste Einzelbeispiel für Japans Vormachtstellung im Bereich Automatisierung.
Keyence stellt die Augen der Roboter bereit: die unbeweglichen Linsen und flackernden Lichtmuster, die das Siegel Ihres Joghurtbechers überprüfen oder eine einzelne fehlerhafte Spirale unter einer Million herumwirbelnder Schrauben erkennen.
Ein weiteres Beispiel ist DMG Mori, ein Unternehmen mit japanischen und deutschen Wurzeln, das Innovationsvorreiter in der Werkzeugmaschinenindustrie ist. Die überlegenen 5-Achsen-Maschinen (mit einer Genauigkeit von 1 Mikrometer – das ist kleiner als ein Virus) ermöglichen eine Präzisionsfertigung im großen Maßstab.
Dies senkt die Herstellungskosten, indem sie den Bedarf an Werkzeugmaschinen um 50 Prozent reduzieren, die Anzahl der in der Fabrikhalle benötigten Bediener reduzieren und die Auslastung durch die Verkürzung der Leerlaufzeit der Maschinen erhöhen. Da der Absatz dieser Maschinen durch mehrere strukturelle Trends unterstützt wird, ist auch ein ein steigender Gewinn zu erwarten, wenn diese modernen 5-Achsen-Maschinen einen zunehmen größeren Anteil am Umsatz ausmachen.
3. Wohlstand der asiatischen Nachbarländer
Der dritte Trend, der unserer Meinung nach vielversprechende Wachstumsunternehmen in Japan hervorbringen wird, ist der zunehmende Wohlstand der asiatischen Nachbarländer. In Asien leben 60 Prozent der Weltbevölkerung – 5 Milliarden Menschen. Tendenz weiter steigend.
Viele von ihnen sind jung – zwei Drittel der Jugendlichen weltweit leben in Asien – und werden wohlhabender. Allein in diesem Jahr sollen etwa 113 Millionen Menschen in die globale Mittelschicht aufsteigen und die meisten davon werden aus Asien kommen.
Dies stellt einen großen Markt mit steigender Kaufkraft dar, was zu einem Premiumtrend bei verschiedensten Produkten führt. Der Markenstempel „Made in Japan“ ist in der gesamten Region zum Synonym für Prestige und hohe Qualität geworden, wodurch das Land und seine Marken bei dieser Entwicklung an vorderster Front stehen.
Hautpflege ist hier ein Beispiel, bei dem die Pro-Kopf-Ausgaben in China nur 36 US-Dollar betragen, verglichen mit über 100 US-Dollar in Südkorea, Taiwan und Singapur. Die Attraktivität des Hautpflegesektors wird dadurch erhöht, dass die Produkte wiederkehrend angewendet werden, was eine lebenslange Bindung von Kunden an bestimmte Produktlinien fördert.
Shiseido steht an der Spitze dieses Trends. Das Unternehmen begann 1872 als erste westliche Apotheke Japans, bevor es 1897 mit der Entwicklung von kosmetischen Produkten begann. Das Unternehmen baut seine Expertise im Bereich Hautpflegetechnologie weiter aus und gibt prozentual zum Umsatz historisch gesehen weit mehr für Forschung und Entwicklung aus beispielsweise als L'Oréal und Estee Lauder.
4. Demografischer Wandel
Der vierte erwähnenswerte Trend, der für spannende Investmentchancen in Japan sorgt, ist die alternde Bevölkerung. Japans demografische Situation ist gut dokumentiert. Die Bevölkerung schrumpft seit über einem Jahrzehnt, wobei jeder Zehnte inzwischen über 80 Jahre alt ist.
Dies hat verschiedene wirtschaftliche und soziale Auswirkungen, darunter die zunehmende Verbreitung altersbedingter Krankheiten wie der Alzheimer-Krankheit.
Schätzungen zufolge leiden 10 Prozent der über 65-Jährigen und etwa 50 Prozent der über 85-Jährigen an dieser Krankheit. Dies stellt eine Patientenpopulation dar, die wohl noch einmal explodieren wird, wenn sich die Ausbuchtung der Bevölkerungspyramide weiter nach oben verschiebt.
Welche Anlagechancen ergeben sich daraus? Eisai beispielsweise, ein japanisches Pharmaunternehmen mit Schwerpunkt auf Neurologie und Onkologie, scheint mit seinen Lösungen für diese Volkskrankheit ganz vorne mit dabei zu sein.
Das Unternehmen kann auf eine lange Geschichte im Bereich der Alzheimer-Krankheit zurückblicken, die bis in die 90er Jahre mit Aricept (Donepezil) zurückreicht, das zum weltweit meistverkauften Alzheimer-Medikament wurde und einige der Symptome der Krankheit behandelt.
Aus ihrer jüngsten Partnerschaft mit Biogen ist Leqembi (Lecanemab) hervorgegangen, das weltweit erste Medikament, das die Ursachen der Krankheit bekämpft: die Ansammlung von Amyloid-Beta-Plaques im Gehirn. Es wurde inzwischen in den USA, Japan und China zugelassen.
Diese Chance bietet ein erhebliches Wachstumspotenzial und stellt eine Premiere in der Branche dar, die Verbesserungen verspricht, insbesondere durch einfachere Verabreichungsmethoden. Darüber hinaus wächst der Markt für dieses Produkt, insbesondere da diagnostische Fortschritte es Eisai ermöglichen könnten, sich auf Personen in den präklinischen Stadien der Alzheimer-Krankheit zu konzentrieren.
Trotz dieser zahlreichen vielversprechenden Wachstumsperspektiven konzentrierte sich die jüngste Begeisterung der Anleger vor allem auf die zyklischen Erholungstrends Japans, von denen viele der größten Unternehmen des Landes profitieren.
Die Frage ist nun allerdings, ob Japans große liquide zyklische Blue Chips dieses Momentum aufrechterhalten können oder ob ihr Glück eher ein kurzfristiges Phänomen ist.
Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist keine Garantie für zukünftige Ergebnisse – obwohl diese Aussage in allen Formen der Finanzliteratur zu finden ist, beherzigen Anleger diesen Rat oft nicht und stützen ihre Erwartungen stattdessen auf die jüngste Vergangenheit.
Dieses Problem stellt derzeit ein besonders akutes Risiko für japanische Aktienanleger dar. Einige könnten versucht sein, auf zyklische Aktien zu setzen, die im Wert gestiegen sind, in der Annahme, dass die Treiber von dauerhafterer Natur sind. Andere könnten aus dem Markt aussteigen, weil sie glauben, dass das Beste hinter uns liegt.
Wir glauben allerdings, dass es neben einem bloßen „weiter so“ einerseits und einem Exit aus diesem Markt eine dritte Option gibt, die vielleicht das größte Aufwärtspotenzial bietet: und zwar auf diejenigen Unternehmen zu setzen, die einige der erwähnten strukturellen Wachstumstrends mit gestalten oder von ihnen profitieren. Hier entstehen neue Quellen für nachhaltiges operatives Gewinnwachstum. Das ist entscheidend für die langfristige Performance einer Aktie – und damit auch für uns als langfristigen Investor.
Über den Autor:
Donald Farquharson ist Leiter japanische Aktien (Head of Japanese Equities) bei Baillie Gifford. Er kam 2008 und wurde 2017 Partner des Unternehmens. Farquharson verfügt über gut 35 Jahre Investmenterfahrung, die er fast ausschließlich in Japan sammelte. Bis 2008 arbeitete er 20 Jahre lür Schroders als Japanspezialist und zuletzt als Leiter des Pan Pacific Equity Teams. Zwischen 1991 und 1995 leitete er das Research-Team von Schroders in Tokio.