Ob sich diese dynamische Entwicklung fortsetzt, kann derzeit niemand mit Sicherheit sagen, jedenfalls hat aber der technologieorientierte CRSP US Mega Cap Growth Index seit dem 18. Mai um mehr als 26 Prozent zugelegt – fast dreimal so viel wie der S&P 500 Index.
Was sind die Gründe für die Rally? Dazu gibt es unterschiedliche Interpretationen.
„Dieser Marktbereich erlebte 2022 den stärksten Einbruch, sodass es nun eine ebenfalls starke Gegenbewegung gibt. Das ist sicherlich ein wichtiger Faktor“, so Portfoliomanager Mark Casey. „Man kann außerdem mit einigem Recht sagen, dass viele der betroffenen Unternehmen mehr gelitten haben, als angemessen gewesen wäre, weil ganze Sektoren in einen Abwärtsstrudel gerieten und ein teilweise panischer bis wahlloser Abverkauf stattfand.“
Grafik 1: Big Tech hat dieses Jahr einen großen Sprung gemacht

Auch die sich ändernden Zinsaussichten sorgen laut Casey für willkommenen Rückenwind. Die US-Notenbank hat bekannt gegeben, dass sie die Zinssätze möglicherweise nicht so stark anheben wird wie zuvor erwartet. Das hat langfristigen Anlagen Auftrieb gegeben, darunter auch vielen Technologiewerten, bei denen die Anleger auf die langfristigen Perspektiven der Unternehmen setzen und die Bewertungen teilweise auf langfristigen Zinserwartungen basieren.
Die schnelle Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI), zum Beispiel des beliebten Chatbots ChatGPT, ist ein weiterer Faktor, der den Technologiesektor attraktiv macht. ChatGPT gehört Microsoft und OpenAI und wurde in diesem Jahr zur am schnellsten wachsenden Anwendung für Privatverbraucher der Geschichte.
„Wichtig ist auch, sich die einzelnen Unternehmen genau anzusehen“, sagt Mark Casey. „Viele von ihnen senken ihre Kosten. Die Gewinnspannen steigen. Teilweise ändern sich auch die strategischen Ziele. Und die zentrale Frage lautet: Werden diese Unternehmen profitabel genug sein, um wieder in die Erfolgsspur zu kommen?“
Grafik 2: Die Verlierer des vergangenen Jahres sind die diesjährigen Gewinner

Technologieaktien behaupten sich in einem schwierigen Quartal
Aktuelle Unternehmensberichte geben einen Einblick in den Umschwung im Technologiesektor. Vor dem Hintergrund globaler Rezessionsängste fanden die größten Technologieunternehmen Wege, der Krise zu begegnen: Sie setzen auf profitables Wachstum statt auf Wachstum um jeden Preis. Gleichzeitig gingen die S&P 500-Renditen im ersten Quartal um 2 Prozent zurück.
Apple meldete am 4. Mai Quartalsergebnisse weit über den allgemeinen Erwartungen, hauptsächlich aufgrund höherer iPhone-Umsätze. In einem schwierigen makroökonomischen Umfeld stieg der iPhone-Umsatz im Jahresvergleich um 1,5 Prozent, sodass Apple-Aktien ihren höchsten Stand seit über einem Jahr erreichten. Das Unternehmen ergriff außerdem verschiedene Maßnahmen zur Kosteneinsparung, darunter Einstellungsstopps für bestimmte Geschäftsbereiche, Budgetreduzierungen bei Dienstreisen und Verschiebungen bei der Einführung neuer Produkte.
Microsoft-Aktien verzeichneten hohe Kursgewinne, nachdem der Software-Gigant ein höheres Umsatzwachstum als erwartet vermeldet hatte. Dieser Erfolg basierte hauptsächlich auf einem Plus von 31 Prozent bei der Cloud-Computing-Plattform Azure. Außerdem strich Microsoft bei einer kürzlich umgesetzten Kostensenkungsmaßnahme 10.000 Stellen, was etwa 5 Prozent der Gesamtbelegschaft entspricht.
Nvidia meldete einen starken Rückgang des Quartalsgewinns, doch der Aktienkurs ging trotzdem steil nach oben, denn laut Prognosen wird im Zuge der KI-Entwicklung die Nachfrage nach Mikrochips rasant ansteigen. Und Nvidia ist der weltweit führende Anbieter spezieller Grafikchips für KI-Anwendungen wie ChatGPT. Das Unternehmen konnte zudem im vergangenen Jahr seine Fertigungskosten erheblich senken.
Es überrascht also nicht, dass diese drei Technologieunternehmen am stärksten zum Anstieg des S&P 500 Index in diesem Jahr (Stand 18. Mai) beigetragen haben. Tatsächlich macht allein die Gewichtung von Apple und Microsoft inzwischen 13,3 Prozent des Index aus und ist damit höher als je zuvor.
Fokus auf Profitabilität und Effizienz
Die Wiederauferstehung von Big Tech beschäftigt auch Portfoliomanager Martin Jacobs. „Nicht wenige Mega-Cap-Technologie- und Medienunternehmen sind aktuell interessant – aus unterschiedlichen Gründen“, erklärt Jacobs. „Im letzten Jahr verzeichneten sie starke Verluste, was dazu geführt hat, dass sie heute zurückhaltender und realistischer bewertet werden. Viele von ihnen mussten ihre Wachstumsziele neu definieren. Vor diesem Hintergrund agieren sie jetzt umsichtiger und effizienter.“
Meta Platforms (ehemals Facebook) ist ein prominentes Beispiel. Der Social-Media-Riese hat in den letzten Monaten drei Entlassungsrunden hinter sich gebracht und sein digitales Werbegeschäft mit KI-Tools zur Verbesserung seiner Systeme für die Zielgruppenwerbung umgestaltet. Diese und andere entschlossene Schritte trugen dazu bei, dass Meta am 26. April einen Umsatzanstieg von 3 Prozent im Jahresvergleich vermelden und damit eine Phase von drei Verlustquartalen beenden konnte.
Netflix ist ein weiteres Beispiel für das neu entdeckte Kostenbewusstsein. In den letzten Monaten hat der Streaming-Riese mehrere wichtige Schritte zu mehr Effizienz unternommen, darunter die Einführung einer werbeunterstützten Serviceebene, effektive Maßnahmen zur Verhinderung der Weitergabe und Mehrfachnutzung von Passwörtern und Planungen zur Beendigung seines DVD-Verleihgeschäfts.
Kann die Tech-Rally weitergehen?
Auch wenn einzelne technologiefokussierte Unternehmen profitabler werden, besteht ein grundlegendes Problem: Es deutet wenig auf ein robustes und nachhaltiges Umsatzwachstum hin, wie Portfoliomanagerin Cheryl Frank zu bedenken gibt.
„Wir sehen Gewinnspannen über den Erwartungen, weil Unternehmen plötzlich mehr Kostendisziplin an den Tag legen“, erklärt Frank. „Anleger reagieren positiv auf Unternehmen, die sich auf Rentabilität konzentrieren und sie auch erreichen, was in einem Umfeld mit hohen Zinsen eine vernünftige Strategie ist. Die Aktien steigen aber dennoch nicht, weil der Schwerpunkt auf organischem Umsatzwachstum liegt.“
Cheryl Frank ist daher skeptisch in Bezug auf die im historischen Vergleich nach wie vor hohen Technologiebewertungen. Nicht außer Acht zu lassen ist auch die Möglichkeit, dass sich das wirtschaftliche Umfeld in den kommenden Monaten verschlechtert, etwa wenn die USA in eine Rezession fallen oder wenn sich der Streit über die Schuldenobergrenze der USA nicht lösen lässt und es deshalb zu einem Zahlungsausfall kommt. „Wir brauchen eine sanfte Landung, damit die aktuelle Positiventwicklung nachhaltig ist“, so Frank.
Auswirkungen für Investoren: Das Spektrum verbreitert sich
Unabhängig davon, ob der Big-Tech-Run weitergeht oder irgendwann ausläuft, ist die aktuelle Entwicklung eindeutig Teil eines größeren Trends zu einer Erweiterung der Möglichkeiten seit dem Beginn des Bärenmarktes Anfang 2022. US-Tech-Aktien mit hoher Marktkapitalisierung treiben heute zwar den Aufschwung voran, im Gegensatz zum größten Teil der vergangenen Dekade sind sie aber längst nicht mehr das einzig interessante Betätigungsfeld für Anleger.
In den vergangenen anderthalb Jahren sind zuerst die Inflation und dann die Zinsen stark gestiegen. Vor diesem Hintergrund erleben verschiedene andere Sektoren und Regionen einen Aufschwung. Dazu gehören der Energie-, Gesundheits- und Industriesektor sowie europäische Aktien – die erstmalig seit vielen Jahren besser abschneiden als ihre US-Pendants. In verschiedenen Phasen während der letzten 18 Monate sind traditionell wertorientierte und dividendenausschüttende Aktien stärker gestiegen als wachstumsorientierte Werte.
Grafik 3: Die Investitionsmöglichkeiten haben sich erheblich vergrößert

Das sind gute Nachrichten für aktive Investoren, sagt Portfoliomanager Martin Romo. „Früher lautete die Devise am Markt schlicht „entweder/oder“, heute haben wir ein wesentlich ausgewogeneres Umfeld“, so Romo. „Es geht nicht mehr alles nur in eine Richtung. Das Spektrum der Anlageoptionen hat sich erweitert und umfasst Wachstums- und Qualitätsaktien, den Technologiesektor und Industrieunternehmen.“ Und er fügt hinzu: „Heute eröffnen sowohl zyklische als auch strukturell orientierte Werte gute Chancen. Für Investoren, die bereit sind, ihre Hausaufgaben zu machen, bietet sich jetzt ein viel attraktiveres Umfeld mit viel mehr Möglichkeiten.“