Schwarze-Schwan-Ereignisse sind dem Autor Nassim Nicholas Taleb zufolge dadurch charakterisiert, dass diese massive Folgen haben und nicht vorhersagbar oder erwartbar sind. Ein Beispiel hierfür sind die Terroranschläge vom 11. September 2001. Unechte schwarze Schwäne sind indes Ereignisse mit schwerwiegenden Folgen, die bei genauer Analyse hätten erkannt werden können. Die Corona-Pandemie war ein solches Ereignis dar, denn vor dem Risiko wurde im Jahr 2015 bereits im Rahmen eines Ted-Talks von Bill Gates gewarnt. Eine militärische Auseinandersetzung in Taiwan wäre ebenfalls ein solcher unechter schwarzer Schwan, denn die Auswirkungen wären verheerend und gleichzeitig wird die Presse schon heute von dem schwelenden Konflikt beherrscht. Wir waren vor Ort und haben uns ein Bild der Lage gemacht.
Ein Tiger war geboren
Nach dem Ende des chinesischen Bürgerkriegs im Jahr 1949 floh die unterlegene Kuomintang – auch als Nationale Volkspartei Chinas bezeichnet – nach Taiwan. Seit 1912 hatte die Partei auf dem chinesischen Festland geherrscht. Nach der Niederlage gegen die Kommunisten um Mao Zedong zog sich die politische Elite nach Taiwan zurück. Zunächst hielten sich beide Teile für den rechtmäßigen Nachfolger der Republik China und beanspruchten das vollständige Gebiet Chinas. Angesichts der Macht und Größe der Volksrepublik China wurde das Festland in den folgenden Jahrzehnten völkerrechtlich anerkannt, während die Souveränität Taiwans aufgrund des politischen Drucks der Volksrepublik keine Anerkennung fand. China zufolge ist Taiwan ein Teil seines Staatsgebietes.
Die Wirtschaft Taiwans wurde in den auf den Bürgerkrieg folgenden Jahrzehnten geschickt von einer Agrarwirtschaft zu einer auf Dienstleistung und Hochtechnologie spezialisierten Wirtschaft transformiert. Inflationsbereinigt und in US-Dollar betrug das Wirtschaftswachstum in Taiwan seit 1950 annähernd 5 Prozent – aufgrund des hohen Wirtschaftswachstums wurde das Land besonders in den 80er und 90er Jahren auch zu den besonders wachstumsstarken asiatischen „Tiger“-Staaten gezählt.
Fakten über Taiwan:
- Fläche: Taiwan ist ein Zehntel so groß wie Deutschland. Das Land kommt dennoch auf 24 Millionen Einwohner. Damit hat Taiwan mehr Einwohner als die Niederlande. Taiwan ist das Flächenland mit der höchsten Bevölkerungsdichte der Welt.
- Wirtschaft: Das BIP von Taiwan ist das 22. höchste der Welt, damit ist die Wirtschaft etwa so groß wie die Schweiz und cica halb so groß wie Mexiko oder Spanien.
- Wohlstand: Beim BIP pro Kopf liegt das Land weltweit auf Platz 32 und damit hinter Italien und Japan, aber vor Spanien.
- Lage: Zu Taiwan gehörende Inselgruppen sind teilweise nur zwei Kilometer vom chinesischen Festland entfernt. Taiwan zählt zur sogenannten First Island Chain, die seit dem Zweiten Weltkrieg für die USA eine wichtige Rolle bei der Kontrolle und Absicherung des Pazifik spielt.
- Einfluss:
- TSMC: Der größte Chip-Hersteller der Welt kommt aus Taiwan. 92 Prozent aller modernen Chips werden in Taiwan hergestellt. TSMC ist mit etwa 450 Milliarden US-Dollar Marktkapitalisierung größer als die drei größten deutschen Konzerne SAP, Siemens und Deutsche Telekom zusammen.
- Hon Hai, hierzulande als Foxconn bekannt, ist einer der größten privaten Arbeitgeber in China. Das Unternehmen bekommt vom chinesischen Staat derzeit immer noch Subventionen.
- Evergreen, Yang Ming, Wan Hai Lines, TS Lines: Zwei der zehn größten Containerschiff-Reedereien kommen aus Taiwan. Kein anderes Land der Welt hat mehr als ein Unternehmen in den Top 10, unter den Top 20 sind es bei Taiwan sogar vier.
Taiwan ist für die Weltwirtschaft unersetzlich
Nachdem sich das Land zunächst auf die Produktion einfacher Güter spezialisierte – zeitweise kamen drei von vier auf der Welt produzierten Regenschirmen aus Taiwan – wurde in den letzten Jahrzehnten die Produktion von Mikrochips immer bedeutender. Das Land beherrscht dabei Schlüsseltechnologien. Bei modernen Chips, die in den vergangenen sieben Jahren entwickelt wurden (<10-nm-Technologie), kommt Taiwan etwa auf einen Weltmarktanteil von 92 Prozent. Kein iPhone kommt ohne diese Komponenten aus. Künstliche Intelligenz und Cloud-Anbieter wie Microsoft und Amazon setzen ebenso auf die Produkte aus Taiwan. Das mit großem Abstand wichtigste Unternehmen ist dabei der Chip-Hersteller TSMC aus Hsinchu.

des TSMC-Museums. © privat
TSMC wurde erst 1987 von Morris Chang mit Unterstützung des taiwanesischen Staates gegründet. Das Unternehmen entwickelte sich von einem auf einfache Technologien spezialisierten Auftragsfertiger zum größten Chiphersteller der Welt. Während Intel frühestens Ende des Jahres 2024 die modernsten Chips der 3-nm-Kategorie fertigt, ist dies bei TSMC bereits seit Ende 2022 Routine – der ehemalige amerikanische Branchenprimus kommt inzwischen auf einen technologischen Rückstand von (mindestens) zwei Jahren. Die Marktkapitalisierung von TSMC beträgt heute etwa 450 Milliarden US-Dollar, was in etwa dem Dreifachen von Intel entspricht. Das Unternehmen zählt zu den größten der Welt.
Ein Besuch vor Ort festigt den positiven Eindruck vom Unternehmen
TSMC fokussiert sich seit jeher vollständig auf die Auftragsfertigung. Das Unternehmen entwickelt selber keine Chips und Chip-Designs sondern fertigt für Unternehmen wie Nvidia und Apple, die selber über keine Fertigungskapazität verfügen, genau nach deren Bauplänen. Im Gegensatz dazu entwickelt Intel beispielsweise eigene Chips und fertigt diese auch. Intel ist damit ein vollintegrierter Entwickler und Hersteller. Die hohen Fixkosten zwingen Intel jedoch dazu, die eigene Fertigungskapazität auch Dritten als Auftragsfertiger anzubieten, was zu Interessenskonflikten führt.
Bei TSMC dagegen steht der Kunde im Mittelpunkt und das merkt man im Gespräch mit dem Unternehmen deutlich. Das Unternehmen, das den Umsatz in Höhe von 76 Milliarden US-Dollar im Wesentlichen mit vier verschiedenen Kundengruppen erwirtschaftet, verfügt intern über eine einzige Gewinn- und Verlustrechnung – ein Wettbewerb um Ressourcen innerhalb des Unternehmens soll so vermieden werden. Der Kunde steht ganz im Fokus. Angesichts der dominierenden Marktposition und Qualität des Unternehmens wundert es nicht, dass Berkshire Hathaway im Jahr 2022 zeitweise nennenswert in TSMC investiert war.
Was wäre, wenn?
Die Abhängigkeit von den in Taiwan produzierten Computer-Chips ist groß. Zwar versuchen die USA inzwischen durch die „Chips and Science Act“ genannten Subventionen die Abhängigkeit zu reduzieren, das wird auf absehbare Zeit jedoch nicht gelingen. Das im Bau befindliche TSMC-Werk in Arizona beispielsweise wird erst frühestens im Jahr 2024 mit der Produktion beginnen können und dann auch nur 5-nm-Chips fertigen. In Taiwan werden diese Chips bereits seit 2020 produziert. Auch mit diesem neuen Werk wird der technologische Rückstand also mindestens vier Jahre betragen. Das Problem ist aber nicht nur die Leistungsfähigkeit der im Westen hergestellten Chips, sondern auch die schiere Menge. Auch bei Chips für einfachere Anwendungen sind Europa und die USA überwiegend auf die Produktion aus China und Taiwan angewiesen und an dieser Abhängigkeit wird sich in diesem Jahrzehnt nichts nennenswert ändern.

Fiele die Produktionskapazität Taiwans in chinesische Hände, würde China seine Macht und seinen Einfluss weltweit deutlich ausbauen. Dieses Szenario ist eher unwahrscheinlich. Taiwan bereitet sich mit Unterstützung der USA seit Jahren auf eine mögliche militärische Auseinandersetzung vor. Dass die empfindliche, hochkomplexe und auf Importe angewiesene Chip-Produktion einen Krieg intakt überstehen würde, gilt allerdings als kaum denkbar. Aus diesem Grund bezeichnet der Gründer von TSMC, Morris Chang, die Technologie-Kompetenz des Landes auch als „Silicon Shield“.
Halbleiter als Schutzschirm vor einem Krieg
Eigentlich kann an diesem Szenario, das mit Sicherheit eine andauernde weltweite Abkühlung der Wirtschaft zur Folge hätte, keine der beteiligten Parteien Interesse haben. Dennoch hat das Säbelrasseln im Rahmen der Militärmanöver Chinas im April 2023 weiter zugenommen. Wenn aber der gegenwärtige Status des China-Taiwan-Verhältnisses nun seit etwa 70 Jahren unverändert ist, warum spitzt sich die Lage gerade jetzt zu?
Offensichtlich tragen die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China dazu bei, dass der Konflikt hochkocht – Taiwan gerät zwischen die Fronten der beiden Weltmächte. Weniger Beachtung findet die Tatsache, dass die derzeit regierende Demokratisch Progressive Partei (DPP) Taiwans die offizielle Anerkennung und Unabhängigkeit des Landes sowie engere Beziehungen zu Japan und den USA anstrebt. Auch die Politik Taiwans hat zuletzt die Spannungen verstärkt. Die im Januar 2024 anstehenden Wahlen im Land könnten die Situation beruhigen, falls die Kuomintang Partei (KMT) an Einfluss gewinnt. Diese Partei strebt eher freundschaftliche Beziehungen zu China und eine Wahrung des Status quo an.
„If China wants economic well-being it will not invade Taiwan.“
Morris Chang
Schlussfolgerung für das Portfoliomanagement
Der Taiwan-Konflikt ist ein unechter schwarzer Schwan: Die Auswirkungen einer „heißen“ Auseinandersetzung wären für die Wirtschaft verheerend. Dass dies ein denkbares Szenario ist, erkennen auch Laien und Generalisten. Wie geht man mit dieser Situation am besten um?
- Investitionen in China begrenzen: Am naheliegendsten erscheint es, die direkten Investitionen in China zu begrenzen. In unserem Profitlich Schmidlin Fonds sind wir in keinem chinesischen oder taiwanesischen Unternehmen investiert.
- Fragile Geschäftsmodelle meiden: Apple ist mit einem Umsatzanteil von etwa einem Viertel der größte Kunde von TSMC. Daneben ist das Unternehmen stark von der Auftragsfertigung durch Foxconn in China abhängig. Das Geschäftsmodell erscheint aus diesem Grund entsprechend fragil und exponiert. Aber auch französische Luxusgüterunternehmen und die deutschen Automobilunternehmen sind aufgrund ihrer Abhängigkeit von China eher als fragil einzustufen.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Lieferketten durch die Globalisierung zum Teil (zu) komplex geworden sind. Dezentrale Geschäftsmodelle, die überwiegend nah am Kunden produzieren, sind grundsätzlich weniger anfällig für eine Disruption der weltweiten Lieferketten, was eine Folge eines solchen Konflikts wäre. Unternehmen wie Holcim oder Sika fertigen ihre Produkte an hunderten Standorten weltweit und sind kaum von den Lieferketten Ostasiens abhängig. Profitieren könnten daneben andere Emerging Markets wie etwa Mexiko, die dabei helfen, die Abhängigkeit von der Fertigung in Ostasien zu reduzieren und die Produktion näher zum Verbraucher zu bringen. Grundsätzlich gilt, dass man sich bei jedem Unternehmen individuell mit der Abhängigkeit und Exponiertheit zu einem solchen Konflikt auseinandersetzen sollte. Vollständig lässt sich das beschriebene Risiko allerdings nicht vermeiden.

Über den Autor:
Im Jahr 2013 gründete Marc Profitlich mit Nicolas Schmidlin den Fondsberater Profitlich Schmidlin AG. Die Gesellschaft mit Sitz in Köln legte im Januar 2014 den flexiblen Mischfonds Profitlich Schmidlin Fonds auf.