Investoren haben in den vergangenen Jahren einen ziemlich wilden Ritt mitgemacht. Die Covid-Pandemie hat die Märkte erst abstürzen und dann neue Gewinner entstehen lassen. Anschließend haben eine galoppierende Inflation und ein heftiger Zinsanstieg die Vorlieben der Märkte von rechts auf links gedreht. Der schreckliche Krieg vor der Haustüre Europas hat sein Übriges getan. Und heute? Sind die Märkte elektrisiert vom Anbruch einer neuen Ära der Künstlichen Intelligenz, die in der Lage ist, aus existierendem Wissen neue Inhalte zu erschaffen.
Man schaue sich nur Recursion Pharmaceuticals an, ein Unternehmen, das mittels Künstlicher Intelligenz die Entwicklung von Medikamenten dramatisch vereinfachen und beschleunigen will. Als bekannt wurde, dass das Unternehmen 50 Millionen US-Dollar an Wachstumskapital von Nvidia bekommt, hat sich der Börsenwert von Recursion an einem Tag beinahe verdoppelt.
Wenn wir eine Sache über Wachstumsunternehmen gelernt haben, dann ist es diese: Die Märkte können für einzelne Themen und Unternehmen eine große Begeisterung entwickeln und schon im nächsten Moment umschalten auf Untergangsfantasien. Mit entsprechend dramatischen Folgen für die Aktienkurse. Und das oft genug, obwohl sich die fundamentale Entwicklung eines Unternehmens gar nicht verändert hat.
Eine Ursache dafür ist, dass wir Menschen in Phasen des Umbruchs und der Unsicherheit, der Innovation und der Weiterentwicklung, dazu neigen, in bekannten Kategorien zu denken. Das gilt auch für Investoren. Wenn sie Aktien in Schubladen wie „Growth“ oder „Value“ stecken oder bestimmten Sektoren zuordnen, dann haben sie vertraute Kategorien und damit auch Daten aus der Vergangenheit zur Hand, die ein trügerisches Gefühl der Sicherheit geben.
Für viele, die in unserer Industrie tätig sind und sich ihre Meriten durch CFA-Abschlüsse erworben haben, ist es eine einfache Wahrheit, dass in einer Welt höherer Zinsen künftige Cashflows heute weniger wert sind, sodass Wachstumstitel mit einem entsprechenden Abschlag zu bepreisen sind. Seit sich die Zinswende abzeichnete, wurde diese Theorie eine Zeit lang geradezu wahllos auf eine Vielzahl von Wachstumsunternehmen angewandt. In einigen Fällen mag diese Betrachtung auch gerechtfertigt gewesen sein, da die Unternehmen ihr Wachstum nur auf Basis einer Versorgung mit billigem Geld generieren konnten. Aber in vielen anderen Fällen kam es zu heftigen Abwertungen, ungeachtet der operativen Fortschritte.
Fehler gehören dazu
Kursverluste wollen die meisten Investoren möglichst vermeiden – einige sogar beinahe um jeden Preis. Dafür gibt es unterschiedliche Motive, die allesamt gut erforscht sind, psychologische ebenso wie strukturelle, wenn wir beispielsweise an die Bilanzierungsregeln bei Stiftungen oder Pensionskassen denken, die dem Portfoliomanagement einen klaren Anreiz geben, Kursschwankungen so gering wie möglich zu halten. Die Devise lautet: Bloß nichts falsch machen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass man kein guter Investor sein kann, wenn man sich bei Entscheidungen primär von der Sorge leiten lässt, etwas falsch zu machen. Die Obsession der Verlustvermeidung lenkt schnell vom Wesentlichen ab: großartige Unternehmen zu finden, die ihren Eigentümern auf lange Sicht eine herausragende Wertentwicklung bieten, weil sie für die Welt, in der sie agieren, einen echten Unterschied machen – und diese Unternehmen dann auch langfristig zu begleiten, ungeachtet des „Lärms“ an den Märkten.