Schirme sind in Mode. Während der Eurokrise wurden Schutz- und Rettungsschirme aufgespannt, ebenso während der Pandemie. Nun ist es wieder so weit. Mit viel Wumms präsentierte die Bundesregierung ihre neue Kreation, den Abwehrschirm. Das Führungstrio der Ampelkoalition – Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Robert Habeck – präsentierte ein Paket von Maßnahmen zur Begrenzung der Strom- und Gaspreise sowie Maßnahmen zur Sicherung und Stärkung der Energieversorgung und zur Senkung des Verbrauchs.
Die Sicherung der Energieversorgung, die Erweiterung des Angebots und die Senkung des Verbrauchs sind für die Bewältigung der aktuellen Krise auf Dauer entscheidend. Kern des Pakets sind zweifellos die „Preisbremsen“ für Erdgas und Strom, die die Belastung von Haushalten und kleinen bis mittleren Unternehmen durch die stark gestiegenen Preise begrenzen sollen.
Viele Details zur Funktionsweise der „Bremsen“ stehen noch aus. Die „Strompreisbremse“ dürfte sich an der Verordnung des Europäischen Rates über „Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise“ orientieren, für die die zuständigen Minister am 30. September einen Vorschlag vorgelegt haben.
„Bei der Gaspreisbremse fehlen bisher Präzisierungen“
Dieser Vorschlag sieht vor, die Markterlöse der Stromerzeuger mit kostengünstiger Technologie – unter anderem Wind, Kernkraft, Solar, Braunkohle, Erdöl – auf
180 Euro pro Megawattstunde (MWh) zu begrenzen. „Überschusserlöse“ oberhalb einer Erlösgrenze sollen zu mindestens 90 Prozent abgeschöpft und zur Unterstützung von Stromendkunden verwendet werden.
Der Entwurf der Verordnung hebt in diesem Zusammenhang explizit die Option von Anreizprogrammen zur Senkung des Verbrauchs hervor. Auch bei der „Gaspreisbremse“ fehlen bisher Präzisierungen. Die Bundesregierung wartet auf die Empfehlungen der „ExpertInnenkommission Gas und Wärme“, die Mitte Oktober ihre Vorschläge unterbreiten soll. Konzeptionell dürften sich die Überlegungen allerdings an die Modelle anlehnen, die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung kürzlich diskutiert hat.
Das IMK arbeitete mit drei Varianten:
- Ein preislich gedeckeltes Grundkontingent an Erdgas von 5.000 Kilowattstunde (kWh) pro
Haushalt zuzüglich 2.000 kWh pro Haushaltsmitglied. - Ein gedeckeltes Grundkontingent in Höhe von 80 Prozent des
Vorjahresverbrauchs. - Ein Grundkontingent von 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs, aber maximal 15.500 kWh.
Für das Grundkontigent würde ein Preis von 10 Cent beziehungsweise 14 Cent pro Kilowattstunde angesetzt. Der das Kontingent übersteigende Gasverbrauch würde zu den wesentlich höheren Marktpreisen abgerechnet, um einen spürbaren Anreiz für Einsparungen zu schaffen. Die Kompensation der Gasversorger würden den Fiskus im Jahr 2023 den Berechnungen des IMK zufolge zwischen 16 Milliarden Euro (Variante 1 mit 10 Cent/Kilowattstunde) und 37 Milliarden Euro (Variante 2 mit 14 Cent/Kilowattstunde)
kosten. Die tatsächlichen fiskalischen Kosten hängen aber letztlich davon ab, wie groß die Spanne zwischen Marktpreis (für den Endverbraucher) und subventioniertem Preis sein wird.
Unter die Maßnahme des Abwehrschirms zählt die Bundesregierung auch den in der EU-Verordnung vorgesehenen, zeitlich begrenzten Solidaritätsbeitrag von Unternehmen aus dem Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich. Vorgesehen ist, überdurchschnittlich hohe Gewinne – mehr als 20 Prozent über dem steuerpflichtigen Gewinn der vier voran gegangenen Haushaltsjahre – mit einer Abgabe von mindestens 33 Prozent zu belegen. Die Erlöse
wiederum sollen zielgerichtet in finanzielle Unterstützungsmaßnahmen für Endkunden, in Anreizprogramme zur Senkung des Energieverbrauchs oder in Unterstützungsleistungen für Investitionen in erneuerbare Energien, Dekarbonisierungstechnologien und Energieeffizienz fließen.
„Zunächst sind die 200 Milliarden Euro nur ein Rahmen, keine budgetierten Ausgaben“
Eingriffe in die Preisbildung sind immer problematisch. Preissignale werden verzerrt und es bedarf meist komplexer Regelwerke, um fair zu bleiben und Missbrauch auszuschließen. Aus ökonomischer Sicht handelt es sich bei der Gas- und Strompreisbremse um eine Subventionierung von Haushalten und Unternehmen. Staatliche Maßnahmen können den durch den Preisschub verursachten Wohlstandsverlust für uns alle nicht dauerhaft kompensieren.
In der konkreten Situation erscheint uns ein vorübergehender Eingriff vertretbar, um soziale Härten zu mindern und den Fortbestand insbesondere von energieintensiven Unternehmen sicherzustellen. Das Volumen der bereitgestellten Mittel erscheint großzügig. Der Bund will den während der Pandemie eingerichteten Wirtschaftsstabilisierungsfonds reaktivieren, ausgestattet mit einem Finanzierungsrahmen von 200 Milliarden Euro oder etwa 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Allerdings sollte man die Zahl auf dem Preisschild mit etwas Zurückhaltung interpretieren. Zunächst sind die 200 Milliarden Euro nur ein Rahmen, keine budgetierten Ausgaben. Zudem strecken sich die Mittelentnahmen über einen voraussichtlich mehrjährigen Zeitraum. Ein zu hohes Volumen an Fördermitteln könnte die ohnehin hohe Inflation weiter anheizen.
„Möglicherweise schaffen wir in einigen Jahren ein Sondervermögen zur Tilgung der Sondervermögen“
Kritik am Abwehrschirm kam vor allem aus dem europäischen Ausland, speziell aus Italien, wo sich der amtierende Ministerpräsident Draghi ebenso zu Wort meldete wie die vermutlich künftige Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Hauptsorge ist wohl, dass sich Deutschland dank seiner Finanzkraft durch Subventionen Wettbewerbsvorteile gegenüber seinen europäischen Nachbarn innerhalb des Binnenmarkts verschaffen könnte. Wie berechtigt diese Kritik ist, hängt von der Ausgestaltung der Gas- und Strompreisbremse ab. Je restriktiver die Anwendung ist, desto geringer ist die Verzerrung der Preissignale, desto stärker ist der Anreiz zum Sparen und desto geringer wiegt der Vorwurf einer unfairen Subventionierung deutscher Unternehmen.
Kritisch zu beurteilen ist allerdings die fast üblich gewordene Kreditaufnahme außerhalb des regulären Haushalts. Die Schuldenbremse nach Artikel 115 Absatz 2 Grundgesetz (GG) kann durch solche Budgettricksereien bestenfalls nur kurzfristig eingehalten werden, da die neuen Schulden, die die Politik gerne euphemistisch als „Sondervermögen“ bezeichnet, mit Tilgungsverpflichtungen verbunden sind, die in einigen Jahren wehtun dürften.
Möglicherweise schaffen wir dann aber ein Sondervermögen zur Tilgung der Sondervermögen. Der Kreativität in der Politik sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.
Über den Gastautoren: Jan Viebig ist seit 2019 einer der Chefanlagestrategen () von Oddo BHF. Vor dieser Zeit war er Leiter des Asset Managements der Privatbank