„Deutschland ist aus wirtschaftspolitischer Sicht mit einem „dunkelblauen Auge“ davongekommen“, sagt Edgar Walk, Chefsvolkswirt bei Metzler Asset Management, zum Ausgang der Bundestagswahl und fasst damit die Meinung der Finanzbranche zusammen.
Die Branche ist erleichtert, dass eine Zweierkoalition mit der SPD möglich ist. Eine Dreierkoalition mit den Grünen hätte laut Walk vermutlich zu „politischen Blockaden geführt“. Dem stimmt auch Kaspar Hense, Senior Portfoliomanager bei RBC Bluebay Asset Management zu: „In Deutschland und danach in Europa wird ein Teil der 'grünen Sperre' wegfallen und zusammen mit Steuersenkungen wird dies helfen, die Wirtschaft aus der Rezession zu führen.“
AfD und Die Linke könnten Reform der Schuldenbremse torpedieren
Kritisch betrachten Vermögensverwalter, Banken und Asset Manager hingegen die Stärke der AfD und der Partei Die Linke, so auch Felipe Villarroel, Portfoliomanager bei Twentyfour Asset Management: „Negativ ist zu bewerten, dass Die Linke und die AfD wahrscheinlich ein Drittel der Sitze erhalten werden und damit möglicherweise eine Sperrminorität hätten.“
Warum das problematisch ist, führt Laura Cooper aus, sie leitet den Bereich Makro, Kredit und globale Investmentstrategien bei Nuveen. „Da sowohl die AfD als auch Die Linke gegen höhere Militärausgaben sind und Änderungen eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigen, könnte die Durchsetzung der Schuldenreform und der außerbudgetären Investitionsfonds langwierige Verhandlungen erfordern“, so Cooper.
„Es sind also knifflige politische Kompromisse erforderlich, ebenso wie fiskalische Kreativität.“
Damit sprechen Villarroel und Cooper das zentrale Thema der Kommentare zu den Wahlergebnissen an: die Schuldenbremse. Walk von Metzler erwartet, dass Die Linke trotz ihrer Ablehnung höherer Militärausgaben einer Reform der Schuldenbremse oder einem Investitionsfonds „Deutschlandfonds“ zustimmen könnte. „Höhere Militärausgaben könnten auf europäischer Ebene finanziert werden“, so Walk. Auch Hense von RBC erwartet, dass die CDU daran arbeiten wird, eine europäische Sicherheitsinfrastruktur aufzubauen.
Vorsichtig optimistisch ist Apolline Menut, Chefsvolkswirtin von Carmignac. Mit Blick auf die Schuldenbremse und die Stärke der AfD und der Die Linke sagt sie: „Es sind also knifflige politische Kompromisse erforderlich, ebenso wie fiskalische Kreativität.“ Doch wer das Positive sehen will, könnte argumentieren: „dass der eingeschränkte Handlungsspielraum für nationale Verteidigungsausgaben für die EU positiv sein könnte, da Merz womöglich gemeinsame EU-Anleihen eher befürwortet.“
Zeit lassen sollte sich die neue Bundesregierung damit nicht, ist Michael Hüther, Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaft, überzeugt: „Wie im Zeitraffer haben die Tage seit der Münchener Sicherheitskonferenz gezeigt, wie ernst die geopolitische Lage ist.“ Dass nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine keine Zeitenwende stattgefunden habe, könnte sich als historischer Fehler erweisen, warnt er. Sein Fazit: „Deutschland und die EU sicherheitspolitisch zu ertüchtigen, ist noch dringlicher, als selbst die größten Warner befürchtet hatten.“
Deutschland droht drittes Rezessionsjahr
Dabei liegen die Probleme Deutschlands noch tiefer und betreffen nicht nur die Außenpolitik, ist Hüther überzeugt: „Deutschland ist in einer schweren wirtschaftlichen Krise, die schon zwei Jahre vor der Pandemie begann.“ Die Industrie befinde sich schon im achten Jahr der Rezession, da der Staat seine Kernaufgaben nicht erfülle und „weil in den guten Jahren Steuereinnahmen verprasst wurden, statt die Probleme anzugehen. Die Zeit drängt“, so Hüther.
Vor einer Rezession warnt auch der Finanzchef der Apobank Reinhard Pfingsten. Er hofft, dass sich die neue Regierung schnell bildet, um den neuen Haushalt schnell auf den Weg zu bringen, sowie die Reform der Schuldenbremse und der Unternehmenssteuer. „Andernfalls besteht das Risiko, dass Deutschland ein drittes Jahr in Folge eine Rezession erlebt“, so Pfingsten.
Andere zentrale Ziele im Blick hat die Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Marija Kolak. Für sie stehen Wohnungsbau, Altersvorsorge, Bürokratieabbau und Stärkung des Mittelstands im Fokus. „Deutschland braucht jetzt einen Neustart – Klarheit, Tempo, Entschlossenheit“, fordert Kolak.
„Deutschland braucht jetzt eine handlungsfähige und handlungswillige Regierung – und zwar schnell“
Demokratische Parteien dürften nicht in „endlosen Verhandlungen verharren“. Statt Berichten, Kommissionen oder Prüfaufträgen bräuchte die Wirtschaft Bedingungen, die Innovationen und Transformation ermöglichen. Ihr Credo: „Weniger berichten, mehr schaffen!“ Das gelte auch im Blick auf Europa: „Deutschland muss wieder Gestalter werden, nicht Verwalter“, so Kolak.
Das betont auch Christian Sewing, Präsident des Bundesverbands Deutscher Banken. „Deutschland braucht jetzt eine handlungsfähige und handlungswillige Regierung – und zwar schnell“, sagt Sewing. Reformen seien schon deshalb wichtig, damit Deutschland die Stärke habe, wieder eine Führungsrolle in Europa und den Staatenbund voranzubringen. „Unsere Partner warten darauf. Gerade in diesen unruhigen Zeiten braucht Europa ein starkes Deutschland, das bereit ist, Verantwortung zu übernehmen“, so Sewing.