Stimmen zum Brexit „Ein schwarzer Tag für das Vereinigte Königreich und Europa“

„Das Votum der Bürger des Vereinigten Königreichs, die Europäischen Union zu verlassen, betrachten wir mit großer Sorge“, erklärt Hans-Walter Peters, Präsident des Bankenverbandes und Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter der Privatbank Berenberg. „Es ist ein schwarzer Tag für das Vereinigte Königreich und die EU gleichermaßen“, so Peters weiter.

Nun gelte es, Klarheit über das weitere Vorgehen zu bekommen. „Jahrelange Verhandlungen über die Modalitäten eines möglichen Austritts – eventuell mit offenem Ausgang – wären Gift für die Stabilität der EU. Zum einen gilt es, die Phase der Unsicherheit für die Wirtschaft so kurz wie möglich zu halten, zum anderen, ein klares Signal zu senden, dass der Austritt aus der EU einen hohen Preis hat.“ Die Lage an den Finanzmärkten dürfte sich nach dem ersten Schock rasch beruhigen, glaubt Peters. Die Notenbanken hätten zudem alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um stabilisierend eingreifen zu können.

Das größte Risiko drohe allerdings, so Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank, wenn nun auf den Austritt weiterer Länder aus der EU oder der Währungsunion spekuliert würde. In diesem Fall könnten an den südeuropäischen Börsen die Aktienkurse tief fallen und die Renditen stark steigen. Für Deutschland wären klar negative Renditen in allen Laufzeitbereichen die Folge, der Dax allerdings käme auch unter Druck. Da bleibe laut Lang die Frage, inwieweit die EZB das abfedern kann.

Der Brexit sei aber auch eine willkommene Ausrede, um weitere Unternehmensgewinnrevisionen vorzunehmen und das Wirtschaftswachstum noch stärker nach unten zu revidieren, so Lang. Und davor hätten die Finanzmärkte wohl mindestens genau so viel Angst wir vor einem Brexit.

„Schlag ins Gesicht“

Grundsätzlich ist das Abstimmungsergebnis aber ein Schlag ins Gesicht des Brüsseler Politik-Establishments, meint Thomas Böckelmann, Investmentchef der Vermögensmanagement Euroswitch. Und auch Berlin sollte sich dank der Flüchtlingspolitik mitverantwortlich für den Anti-EU-Ausgang fühlen. So habe die offensichtliche Realitätsferne der Politik die Fliehkräfte in Europa in den letzten Monaten dramatisch verstärkt.

Vor Monaten habe es noch zahlreiche Möglichkeiten gegeben, die Briten stärker zu binden und über ein neues Europa zu debattieren. Aber Trotz, falscher Stolz und eine Fehleinschätzung der Situation hätten jetzt dazu geführt, dass der bedeutendste Vertreter für Marktwirtschaft, gelebte Eigenverantwortung, Freihandel und Sicherheit die EU verlassen werde, so Böckelmann.

Nach dem Referendum in Großbritannien drohten bereits am Sonntag bei den Wahlen in Spanien Gewinne für die Europaskeptiker. Bei einer Jugendarbeitslosenquote jenseits der 50 Prozent, für die sich die europäische Staatengemeinschaft kaum verantwortlich fühlt, wäre ein weiterer Zuwachs extremer Kräfte keine Überraschung.

„Wir alle in Europa verlieren durch den Brexit“

Durch die Entscheidung für den Brexit verlieren wir alle in Europa, meint Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt, DZ BANK. Die Europäische Union dürfte weltpolitisch zunächst als geschwächt gelten und damit an Gewicht verlieren. Mit all den Gefahren, die in der gegenwärtigen weltpolitischen Situation damit verbunden sind. Wirtschaftlich dürfte Großbritannien selbst der größte Verlierer der Entscheidung sein. Doch auch die deutsche und die gesamte europäische Wirtschaft werden Wachstumseinbußen zu verkraften haben, sagt Bielmeier.

Nun gelte es, den unabwendbaren Schaden für alle Beteiligten möglichst klein zu halten. Europa müsse jetzt zu seinen Werten stehen, seine innere Fragmentierung stoppen und eine erneuerte europäische Idee entwickeln. Das solle ohne die europakritischen Tendenzen in Großbritannien sogar leichter möglich sein. Nur ein geschlossenes und handlungsfähiges Europa werde seinen gegenwärtigen geopolitischen Einfluss erhalten können, so Bielmeier

Die Finanzmärkte dürften kurzfristig mit hoher Volatilität auf die Entscheidung reagieren. Vor allem wird aber die nun bevorstehende Phase der Unsicherheit über die Modalitäten des Austritts die Kapitalmärkte belasten.

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