Wenn von heute auf morgen ein Drei-Sterne-Restaurant schließt, schlägt die Nachricht in der kulinarischen Welt besonders hohe Wellen. Gerade dann, wenn nicht etwa die Küchenmannschaft von Bord gegangen ist – sondern schlicht das Geld fehlt. So geschehen im Jahr 2018, als das „La Vie“ in Osnabrück ohne Vorankündigung die Segel strich.
Eines der höchstdekorierten Restaurants in Deutschland verschwindet einfach von der Landkarte, als der Investor Jürgen Großmann – seines Zeichens Alleingesellschafter der Stahlgruppe Georgsmarienhütte – den Geldhahn zudreht. Laut Medienberichten floss jährlich ein Millionenbetrag in das Restaurant. Profit machte man so freilich nicht. Hohe Personalkosten, exquisite Zutaten, erlesenes Porzellan – und 30 Mitarbeiter, die am Abend 30 Gäste bedienen. So eine Rechnung kann nicht aufgehen.
Ein Grund, warum Milliardär Klaus-Michael Kühne vor einigen Jahren seinen Küchenchef vor die Tür setzte und einen Sparkurs im Fontenay anordnete. Mittlerweile wird in dem Luxushotel wieder auf Zwei-Sterne-Niveau gekocht. Aber es stellt sich die Frage: Kann Sterneküche überhaupt rentabel sein?
Damit eine Drei-Sterne-Küche profitabel arbeiten kann, muss der Menüpreis zwischen 300 und 500 Euro liegen, rechnet Michael Ottenbacher vor. Er ist Professor an der Hochschule Heilbronn und unterrichtet dort seit 2008 Hotel- und Restaurantmanagement, mit den Schwerpunkten Hospitality Marketing, Innovationsmanagement und Strategisches Management.
Oft ist auch die Weinkarte ein entscheidender Faktor, um überhaupt eine Gewinnmarge zu erzielen. Andreas Schmitt, Geschäftsführer bei Althoff Hotels, sagte in einem Interview mit der SZ: „Im Gourmetrestaurant zu essen hat in Deutschland auch heute noch nicht die Selbstverständlichkeit wie in Frankreich oder Italien.” Ein Drei-Sterne-Restaurant als Solitär, ohne Hotel oder anderen Partner an der Seite, hält Schmitt für kaum finanzierbar.
Selbst in einem streng kalkulierenden Unternehmen gilt bei gehobener Küche eine Durchschnittsmarge von 10 Prozent als sehr gut. Hier sind Getränke mit eingerechnet und Vollauslastung vorausgesetzt.
Von den zehn Drei-Sterne-Restaurants in Deutschland (siehe Grafik) muss sich laut Ottenbacher jedoch wohl keines Sorgen machen, dass es ihm wie dem La Vie ergeht. Dafür gibt es mehrere Argumente: So haben das Bareiss und das Waldhotel Sonnora etwa dank der angeschlossenen Hotels eine gute finanzielle Deckung. In Städten wie Berlin, Hamburg und München gibt es in der Regel genug Besucher.
Ein Restaurant, dass sich über zehn Jahre halten kann, hat meist ein gutes Konzept. Ein Restaurant wie das Noma in Kopenhagen, das ebenfalls trotz dreier Sterne schließt, sei ein schwieriger Vergleich. „Das Noma war auch ein Extrembeispiel, gerade was das Konzept und die Preise angeht“, erklärt Ottenbacher. Bei den Restaurants mit zwei oder einem Stern sieht die Welt ein wenig anders aus.
Der Satz aus dem Guide Michelin, der ein Drei-Sterne-Restaurant auszeichnet, hat hier immer noch Bestand: “Une des meilleures tables, vaut le voyage“ – Eine außergewöhnliche Küche, eine Reise wert. Bei zwei und einem Stern sind es dementsprechend ein Umweg oder Stopp.
Die deutsche Beletage der Sterneküche
Auch Kevin Fehling kennt das Zuschussgeschäft. Im „La Belle Epoque“ im Columbia Hotel Casino Travemünde hatte er 2012 den dritten Stern erkocht. Auch das ging nur mit Querfinanzierung: Eine sechsstellige Summe habe das Hotel jährlich ins Restaurant gesteckt, sagte Hoteldirektor Mike Hoffmann damals in einem Interview. Die Rechnung sei hier jedoch nicht zu Ende, ergänzt Kevin Fehling. „Der Marketing-Effekt durch die drei Sterne wurde von einer Agentur damals auf 2,5 Millionen Euro beziffert. Das Hotel hatte einen schwierigen Standort.“
Die drei Sterne hätten dafür gesorgt, dass auch zu weniger begehrten Jahreszeiten Gäste ins Hotel gekommen seien. „Wer möchte im Winter schon nach Travemünde?“ Kevin Fehling verzichtete für seine Idee von einem modernen Sternekonzept auf die Suche nach einem Investor. Stattdessen nahm er einen sechsstelligen Kredit auf. Die Marge liegt im einstelligen Bereich. 5 oder 6 Prozent sind es in einem guten Monat, in einem anderen auch mal ein Prozent, erzählt Zwei-Sterne-Koch Tim Raue.
„Ein Michelin-Stern kann Fluch und Segen zugleich sein“, sagt Ottenbacher. Im Vergleich zu Ländern wie Frankreich oder Belgien gebe es in Deutschland weniger Gourmets. Dort seien die Menschen eher bereit, für ein exquisites Essen auch tiefer in die Tasche zu greifen. Sobald ein Stern jedoch vergeben ist, steigt der Anspruch der Gäste – und auch der Preis. Daher könne man in Deutschland Sterne-Küchen sehen, die nur am Wochenende öffnen oder lediglich einige feste Menüs anbieten. Denn viele Gäste sind nicht bereit, einen dreistelligen Betrag für ein Essen zu bezahlen.
Bei diesen Restaurants ist dann auch der Geldgeber im Rücken wichtiger. Wenn – wie bei den Drei-Sterne-Beispielen – ein Hotel dahintersteht, ist das Leben deutlich entspannter. „Wenn man eine richtig große Gewinnmarge machen möchte, würde ich eher zu gutbürgerlicher Küche oder Systemgastronomie raten“, sagt Ottenbacher.