Frau Kurdyavko, bei Umstrukturierungen von Schulden in Schwellenländern gibt es neue Entwicklungen. So hat die ecuadorianische Regierung im Juli eine Grundsatzvereinbarung mit einer großen Gruppe privater Anleihegläubiger erzielt, zu der auch BlueBay gehört. Sie waren positiv überrascht, weil diese Einigung sich von früheren Umschuldungsgesprächen unterscheidet, an denen Sie beteiligt waren?
Polina Kurdyavko: Drei Faktoren sind hier im Vergleich zu früheren Erfahrungen zu nennen. Innerhalb von weniger als zwei Wochen wurde im Juli eine grundsätzliche Einigung mit der Mehrheit der Anleihegläubiger erzielt. In der Vergangenheit haben Umschuldungen von Staatsanleihen wesentlich länger gedauert.
Zweitens ist der gute Wille zu nennen, der während der Verhandlungen an den Tag gelegt wurde. Sowohl die ecuadorianische Regierung als auch die Anleihegläubiger waren entschlossen, eine einvernehmliche Lösung für die Liquiditätsprobleme zu finden, mit denen das Land konfrontiert ist.
Und drittens: Vergleicht man diese Umstrukturierung mit anderen Unternehmen und Staaten der Schwellenländer, liefert Ecuador ein gutes Beispiel für eine gelungene Verringerung der Schuldenlast. Denn ganz wichtig ist bei Ländern mit hoher Verschuldung, dass ihre Liquidität während der Neustrukturierungsprozesse nicht beeinträchtigt wird.
Inwieweit ist Umschuldung derzeit ein Thema? Welche anderen Länder werden mit ihren Gläubigern einen Konsens finden wollen, und wie wichtig ist der Präzedenzfall Ecuador für diese weiteren Verhandlungen?
Kurdyavko: Ecuador ist ein wichtiger Präzedenzfall mit Blick auf die Staatsschulden der Schwellenländer. Eine Reihe von Staaten, darunter der Libanon, Argentinien und Sambia, um nur einige zu nennen, sind derzeit dabei, ihre Umschuldung voranzutreiben. Doch hier bestehen große Risiken. Wir hoffen, dass Länder wie Argentinien, denen es immer noch nicht gelungen ist, eine Einigung mit den Anleihegläubigern zu erzielen, dem Beispiel Ecuadors folgen werden. Einen einseitigen Vorschlag ohne die Einbindung der Anleihegläubiger zu unterbreiten, ist eine riskante Strategie.
Der wichtigste Aspekt bei einer erfolgreichen Umschuldung besteht darin, sicherzustellen, dass binnen relativ kurzer Zeit der Schuldendienst wieder aufgenommen wird, wie im Falle Ecuadors. Nötig ist hierfür die konsequente Umsetzung einer umfassenden Reformagenda, um die Bedienung der Staatsanleihen zu verstetigen.
Wie hat sich die Lockerung der Lockdown-Beschränkungen auf die Wirtschaftstätigkeit in verschiedenen Schwellenändern ausgewirkt?
Kurdyavko: Bislang waren wir von der Schnelligkeit der Erholung sehr angetan. In China beispielsweise bewegen sich Sektoren wie der Immobiliensektor wieder auf ihren Vorjahresniveaus. Einzelne Unternehmen haben im Vergleich zum Vorjahr sogar einen Anstieg des Umsatzvolumens um 25 bis 50 Prozent verzeichnet.
Ein weiteres überraschendes Beispiel ist Brasilien – die jüngsten Daten zeigen, dass die Zementproduktion, um ein Beispiel für die Erholung der Konjunktur zu nennen, bereits wieder das Niveau des Vorjahres erreicht hat.
Unserer Ansicht nach hängen die raschen Erholungen in erster Linie mit den Reformschritten zusammen, die die Länder vor einigen Jahren unternommen haben, um ihr Wachstum auf eine breitere Basis zu stellen. So hat der Korruptionsskandal Lava Jato in Brasilien, ein milliardenschwerer Korruptionsskandal von Politik und Staatsunternehmen, dazu geführt, dass weitreichende Reformen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene unumgänglich geworden sind – diese neue Flexibilität in den Schwellenländern befeuert den Erholungsprozess.
Bislang war dieses Kalenderjahr, salopp gesagt, in vielerlei Hinsicht untypisch. Erwarten Sie, dass wir zumindest im Hinblick auf die Sommersaison, die gewöhnlich mit abnehmender Liquidität und steigender Volatilität einhergeht, normale Trends sehen?
Kurdyavko: Der Herbst könnte eine Reihe von Unsicherheiten mit sich bringen, darunter die US-Wahlen, das mögliche Auslaufen von Unterstützungsmaßnahmen gegen die Folgen von Covid-19 sowie eine zweite Welle des Corona-Virus. Alle diese Faktoren könnten für Volatilität bei Risikoanlagen in den Schwellenländern sorgen. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass wir uns nicht noch einmal dem Volatilitätsausbruch vom März dieses Jahres stellen müssen. Viele Staaten haben die erforderlichen Schritte unternommen, um die Konjunkturflaute infolge des Corona-Virus anzugehen und den Unternehmenssektor zu unterstützen.
Welche Chancen sehen Sie auf der seit Jahresbeginn illiquideren Seite des Investmentspektrums in den Schwellenländern?
Kurdyavko: Wir beobachten hier derzeit große Verwerfungen. Einige Banken haben begonnen, die Risiken in ihren Portfolios deutlich herunterzufahren. Im zweiten Quartal wurden illiquide Assets verstärkt auf den Markt gebracht.
Allerdings muss man wissen: Die Zahl von Schwellenländer-Anlegern ist im Vergleich zu den entwickelten Märkten deutlich kleiner – für entsprechende Investments steht etwa zehn Mal weniger Kapital zur Verfügung als für die etablierten Märkte. Die Bewertung von illiquiden Assets ist mitunter in den zweistelligen Minusbereich gefallen. Im liquiden Bereich haben sich die Renditen hingegen wieder zwischen 4 und 6 Prozent eingependelt. Vor diesem Hintergrund finden wir die aktuellen Chancen im illiquiden Bereich sehr attraktiv.