Scheinbare Stabilität Das unheimliche Schuldenwachstum der Welt

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Scheinbare Stabilität des heutigen Finanzsystems

Heutzutage haben wir wieder einen relativ freien internationalen Kapitalverkehr. Hieran sollte man aber trotz seiner gelegentlich destabilisierenden Wirkungen auch nichts ändern, da er letztlich die Nebenwirkung einer weiter voranschreitenden Globalisierung ist, von der die reale Wirtschaft weltweit profitiert.

Zudem kann in den allermeisten Fällen ein Ausgleich weltwirtschaftlicher Ungleichgewichte durch Wechselkursveränderungen erfolgen. Gefährlich für die Stabilität wird der freie Kapitalverkehr vor allem dann, wenn sich unterschiedliche Länder in einer Währungsunion verbinden. Dies konnten wir unlängst hautnah bei der Eurokrise miterleben.

Die Deregulierung des Finanzsektors wurde seit 2008 wieder teilweise zurückgenommen, was das „offizielle“ Finanzsystem zugegebenermaßen sicherer gemacht hat. Allerdings hat es gleichzeitig eine Verlagerung vieler finanzielle Aktivitäten in einen nicht oder nur schwach regulierten Bereich gegeben, dass sog. Schattenbankensystem. Inwieweit dies destabilisierend wirkt, ist umstritten.

Die Analysten vom MGI argumentieren beispielsweise, dass von diesem Bereich keine großen Gefahren ausgehen, weil die in 2008 besonders zerstörerisch gewordenen Finanzinstrumente heute keine große Bedeutung mehr haben. Ich würde dies nicht so optimistisch sehen: Die Intransparenz des Schattenbankenbereichs ermöglicht das Entstehen und Verschleiern neuer Risiken, von denen jetzt außerhalb dieses Sektors kaum jemand etwas ahnen kann.

Am wichtigsten für die heutige Stabilität des gesamten Finanzsystems dürfte meiner Einschätzung nach die finanzielle Repression sein. Denn für die Tragfähigkeit von Schulden sind weder ihre Transparenz noch ihre Höhe entscheidend, sondern die laufende Belastung der Schuldner durch Zinszah-lungen und Tilgung. Hier schafft die Niedrigzinspolitik eine trügerische Erleichterung: Durch sie können Kreditnehmer sowohl das Niveau ihrer Schulden erhöhen als auch gleichzeitig die laufenden Belastungen senken. Dies schafft einen Anreiz, Kredite nicht mehr zu tilgen, sondern zu immer günstigeren Konditionen weiter zu prolongieren, was im Endeffekt das Schuldensystem aufbläht.

Eine lange Phase niedriger Zinsen schafft bei vielen Schuldnern die Illusion, dass dies immer so weitergehen kann. Viele Menschen, Regierungen und Unternehmen werden sich stärker verschulden (oder Kredite vergeben), als sie dies unter normalen Umständen getan hätten. Für einige von ihnen ist ein böses Aufwachen vorprogrammiert, wenn sich die Dinge anders entwickeln, als in den optimistischen Planungen vorhergesehen.

Zumindest in den USA ist die Niedrigzinspolitik jedoch an ihrem Ende angekommen. Die Fed wird in 2015 ihre Politik des „Quantitative Easing“ beenden. Dies wird für viele Schuldner (und auch ihre Kreditgeber) einen Realitätsschock mit sich bringen. Die Frage ist nur, wo und wann dieser am stärksten auftritt.

Risikofaktor Schwellenländer

Die am schwersten wiegenden Folgen einer Umkehr des Zinszyklus in den USA sind aber weniger in Nordamerika, sondern wahrscheinlich in den Schwellenländern zu erwarten. Denn laut den Zahlen vom MGI gehören die USA (neben Deutschland, Spanien Großbritannien und Irland) zu den wenigen führenden Wirtschaftsnationen, bei denen die privaten Haushalte ihre Verschuldung in Relation zum BIP seit der Finanzkrise zurückführen konnten. Damit ist einer der wichtigsten Krisenverursacher – der leichtfertige Umgang privater Haushalte mit nicht tragbaren Schulden – zumindest in den entwickelten Volkswirtschaften etwas entschärft.

In China hingegen hat sich die Gesamtverschuldung relativ zum BIP seit 2007 auf 284 Prozent fast verdoppelt. Während die privaten Haushalte hieran noch relativ gering beteiligt waren, sind die Anteile des Unternehmenssektors exorbitant gestiegen. Dies gilt sowohl beim nicht finanziellen (plus 74 Prozent auf 125 Prozent des BIP) wie beim finanziellen Bereich (plus 171 Prozent auf 63 Prozent des BIP). Das Schuldenwachstum im Bereich der nichtfinanziellen Unternehmen ist gerade in China auf die Expansion des Schattenbankensektors zurückzuführen, sodass nicht nur die Verschuldungsrisiken gestiegen sind; sondern diese auch aufgrund fehlender Transparenz möglicherweise unkontrollierbar werden können.