Scheinbare Stabilität Das unheimliche Schuldenwachstum der Welt

Karl-Heinz Thielmann, Vorstand von Long-Term Investing Research - Institut für die langfristige Kapitalanlage

Karl-Heinz Thielmann, Vorstand von Long-Term Investing Research - Institut für die langfristige Kapitalanlage

Der Finanzkrise 2008 folgte einer der schwersten globalen Wirtschaftseinbrüche überhaupt. Das Ungewöhnliche hierbei ist, dass dies nicht – wie nach Finanzkrisen sonst in der Geschichte – in der Konsequenz zu einem Abbau der Verschuldung („Deleveraging“) führte. Sogar das Gegenteil war der Fall: Laut einer im vergangenen Monat erschienen Studie des McKinsey Global Institute (MGI) („Debt, and (not much) Deleveraging“) summierten sich die globalen Schulden 2014 auf 199 Billionen US-Dollar (beziehungsweise 286 Prozent des Welt-BIP).

Dies bedeutet gegenüber 2007 (142 Billionen US-Dollar oder 269 Prozent des Welt-BIP) einen Anstieg von nominal 5,7 Prozent jährlich. Selbst wenn man diese Zahl um Inflationseffekte bereinigt, bleibt netto ein deutlicher Anstieg der Verschuldung übrig.

Als Gründe für diese Entwicklung wurden vom MGI folgende Faktoren identifiziert:

  • Ein Anstieg der globalen Staatsverschuldung um 9,3 Prozent pro Jahr seit 2007. Dieser resultierte vor allem aus der direkten oder indirekten Übernahme von faul gewordenen privaten Krediten (zum Beispiel bei Bankenrettungsprogrammen).

  • Private Haushalte in Ländern, die vor der Finanzkrise noch nicht so stark verschuldet waren, haben ihre Kreditaufnahme deutlich gesteigert. Insbesondere Schwellenländer – und hier vor allem China – haben dabei eine herausragende Rolle gespielt.

  • Der klassische Bankkredit als Finanzierungsinstrument verliert für Unternehmen an Bedeutung. Stattdessen werden Verschuldungsformen – wie Unternehmensanleihen, Kredite durch Hedgefonds, Peer to Peer-Lending et cetera – immer beliebter.
Lediglich der traditionelle Finanzsektor (plus 2,9 Prozent pro Jahr seit 2007) und die privaten Haushalte in entwickelten Ländern blieben im Schuldenwachstum zurück.

Begünstigt wurde der weitere Anstieg der Verschuldung durch die Niedrigzinspolitik, mit der die globalen Notenbanken der Finanzkrise begegnet sind. Und wenn man sich auf die reine Wirkung als Krisenfeuerwehr bezieht, die einen globalen Wirtschaftskollaps wie in den 1930ern vermied, war diese Politik auch erfolgreich. Doch wurde dieser Erfolg um den Preis erkauft, dass die wahre Krise nur zeitlich nach hinten verschoben wurde? Denn die eigentliche Ursache der Finanzkrise – ein übermäßiger Anstieg der globalen Verschuldung – wurde nicht bekämpft.

Wie die Zahlen von MGI zeigen, wurde lediglich die Anstiegsrate von 7,3 Prozent pro Jahr vor der Krise auf 5,3 Prozent pro Jahr nach der Krise abgebremst. Sie liegt damit aber nach wie vor circa ein Prozent jährlich über dem Zuwachs beim globalen BIP. Ist aufgrund der weiter wachsenden Schulden eine neue Finanzkrise vielleicht sogar unvermeidbar?

Finanzkrisen müssen nicht sein

Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff haben vor einigen Jahren in ihrem Buch „Dieses Mal ist alles anders: Acht Jahrhunderte Finanzkrisen“ die verschiedenen Formen und Verlaufsmuster von Finanzkrisen historisch untersucht. Sie sind bei ihrer Analyse auf Vielzahl von unterschiedlichen Krisen gestoßen, die oftmals auch in relativer zeitlicher Nähe erfolgten. Nach der Lektüre ihres Buches kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass Finanzkrisen unvermeidlich sind, solange Menschen leichtfertig die Risiken von Verschuldung unterschätzen oder diese auf die Allgemeinheit abwälzen können. Doch kann man dies irgendwie verhindern?

Reinhart und Rogoff haben nicht nur die verschiedenen Krisen beschrieben, sondern ebenfalls eine Periode bemerkenswerter Stabilität im globalen Finanzsystem: die 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Insbesondere drei Faktoren erwiesen sich damals bei der Verhinderung von Finanzkrisen als relevant: 1) Kapitalverkehrskontrollen im Rahmen des Breton-Woods Systems fester Wechselkurse, die internationale Finanzflüsse stark einschränkten; 2) eine in Folge der Weltwirtschaftskrise nach 1929 sehr restriktiv gewordene Bankenregulierung; sowie 3) die finanzielle Repression der 50er und 60er Jahre, bei der Zinsen unter den Inflationsraten lagen und Gläubiger so schleichend enteignet wurden. Die Krisenfreiheit wurde also nur auf Kosten einer sehr restriktiven Regulierung erreicht.

Ein auf massiven Staatseingriffen beruhendes System ist aber immer brüchig; in den 70er und 80er Jahren kehrten sich die Entwicklungen daher um. Das Bretton-Woods System scheiterte, weil die USA aufgrund wachsender Verschuldung und Inflation ihre Rolle als Stabilitätsanker im System nicht mehr erfüllen konnten. Anfang der 80er wurde die Deregulierung als Wachstumsquelle (wieder) entdeckt, weshalb nicht nur die reale Wirtschaft, sondern auch der Finanzsektor von staatlichen Vorschriften befreit wurde. Die Hochzinspolitik des 1979 ins Amt gekommenen US-Fed-Chairmans Paul Volcker setzte der Inflationierung (und damit gleichfalls der finanziellen Repression) ein Ende.