Roundtable ESG in der Praxis: Zwischen Irrsinn und Nutzen

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Bleibt oder wird der Ertragsgedanken wichtig beziehungsweise wichtiger?

Amini: Sicherlich wollen unsere Kunden einen guten Return auf Ihre Anlagen, aber ich erlebe zunehmend, dass dies gerade in diesem Kundensegment nicht nur der alleinige Fokus ist. Eine gutes Risikomanagement und nachhaltige Lösungen werden genauso stark nachgefragt und sind mindestens genauso wichtig.

Jasperneite: Der Ertragsgedanke war immer zentral, das wird auch so bleiben, gerade in Zeiten hoher Inflationsraten.

Tsalkas: Nachhaltigkeit muss als ökonomischer Erfolgsfaktor betrachtet werden. Schwache Leistungen eines Unternehmens auf ökologischem oder sozialem Gebiet sind nach diesem Verständnis auch als Ertragsrisiken zu behandeln, die sich insbesondere bei veränderten rechtlichen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verwirklichen können. Aus diesem Grund werden unternehmensseitige Erträge zum wichtigen Indikator und gleichzeitig hat die Nachhaltigkeit einer Kapitalanlage, gemessen an den ESG-Kriterien, damit große Auswirkungen auf deren Risiko-Rendite-Profil.

Legen vermögende Unternehmer und Familien eines Family Office per se nachhaltiger an? 

Tsalkas: Grundsätzlich hängt auch im Family Office der Stellenwert eines nachhaltigen Investmentansatzes stark von der individuellen Philosophie der Person beziehungsweise der Familienmitglieder ab. Ein größeres Vermögen bedeutet nicht zwangsläufig auch ein höheres Interesse an ESG-Integration. Im Gegenteil, da vermögende Unternehmerinnen und Unternehmer in ihrem betrieblichen Alltag ja ebenfalls mit Nachhaltigkeitsanforderungen konfrontiert sind, bedingt das Wissen und die Erfahrungen im Hinblick auf die Umsetzbarkeit eher eine kritischere Grundhaltung. Stichwort Greenwashing. 

Jasperneite: Pauschale Antworten sind hier schwer zu treffen. Tendenziell gilt: Je jünger der Kunde oder die Kundin, umso größer das Interesse. Die Motivation ist immer die, Verantwortung für das Eigentum zu übernehmen, das mit den Investitionen einhergeht. Allerdings merken viele Kunden langsam auch, dass mit dem Kauf einer Aktie ja zunächst kein Impact einhergeht. Eigentumsrechte ändern sich, aber dem Unternehmen ist es doch recht egal, ob die Aktien von A oder B gehalten werden. Daher spielt ein glaubwürdiges Engagement des Asset Managers eine immer größere Rolle.

Christian Jasperneite von M.M. Warburg & Co.
Warburg-Chefstratege
Christian Jasperneite.
©M.M. Warburg & CO.

Haben Sie einen ganz persönlichen Initial-Moment aus einem Kundengespräch und der Motivation „nachhaltiger zu investieren“?

Jasperneite: Ein großer Privatkunde von uns hat vor einigen Jahren die klare Vorgabe gemacht, sehr nachhaltig zu investieren. Nach intensiven Gesprächen mit dem Kunden hat sich aber gezeigt, dass die geforderte Form von Nachhaltigkeit über den Kauf einzelner Wertpapiere gar nicht richtig dargestellt werden konnte. Inzwischen investiert der Kunde vermehrt direkt in einzelne kleine, nicht börsengehandelte, Unternehmen, weil seine Ziele so direkter und glaubwürdiger umgesetzt werden können. So gesehen hat gerade dieser Kunde auch die Grenzen nachhaltigen Investierens mit liquiden Wertpapieren aufgezeigt.

Tsalkas: Darf ich das Gespräch emotional aufladen?

Natürlich.

Tsalkas: Ein Mandant weit fortgeschrittenen Alters berichtete mir davon, dass er all seine Aktien aus wenig nachhaltigen Sektoren verkauft habe, weil seine Enkel auf diesem Planeten auch noch ein würdiges Leben führen können sollten. Er schloss unser Gespräch mit einer Empfehlung: den Dokumentarfilm „Mein Leben auf unserem Planeten“ von David Attenborough aus 2020.

 

 

Darf man Kunden zu einem höheren ESG-Engagement erziehen?

Arnold: Wir verwalten die Gelder unserer Kunden und haben eine treuhänderische Pflicht. Daher entscheiden die Kunden. Ich kann jedoch Alternativen anbieten und mittels Daten und Technologie überzeugende ESG-Strategien entwickeln. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, unsere Kunden auf ihrer Netto-Null-Reise zu begleiten.

Glauben Sie denn, dass im breiten Geschäft die Präferenzabfrage zu einem echten Gamechanger werden kann. Auf einmal geht nach einem Beratungsgespräch nur noch ESG über den Tisch?

Victoria Arnold
Victoria Arnold: ESG-Expertin
von Blackrock. ©Blackrock

Arnold: Ich habe keine Kristallkugel. Aber es ist ja die Idee der Regulierung, die Finanzströme in diese Richtung zu leiten. Ich glaube, es wird anfänglich noch etwas holprig verlaufen. Viele Fragen werden sehr spezifisch gestellt, Datenpunkte werden eher theoretisch abgefragt. Es bedarf viel Aufklärungsarbeit und das dauert etwas.

Jasperneite: Gestatten Sie mir eine eher persönliche Anmerkung: Was hier gerade passiert, grenzt an Irrsinn. Kunden werden damit überfordert sein. Wir schütten hier das Kind mit dem Bade aus. Statt Kunden vernünftig an das Thema heranzuführen, werden am Ende alle nur verunsichert und genervt sein. Zudem ist die verfügbare Datenlage noch nicht so weit, dass Asset Manager kurzfristig das liefern können, was eigentlich geliefert werden müsste. Die Grundidee war richtig, die gesetzliche Ausführung mangelhaft. Deswegen glaube ich nicht an einen Gamechanger.

Tsalkas: Ich sehe es nicht ganz do dramatisch: Potenzial zur Veränderung ist gegeben, wie signifikant diese am Ende sein wird, bleibt abzuwarten. Im Moment herrscht in Bezug auf das vom europäischen Gesetzgeber vorgegebene Drei-Stufenmodell in der Tat noch viel Unklarheit, insbesondere in der Branche selbst. Eine klare Abgrenzung der drei Kategorien untereinander ist im Einzelfall kaum möglich. Ein Home-Run für die ESG-Integration ist daher eher nicht zu erwarten. 

Knapp: Ich kann diesen Aspekt aus der technischen Seite beleuchten. Der Markt konvergiert immer mehr zu Standardisierung und dazu trägt auch die EU-Regulierung bei. Im Produktbereich allerdings nimmt die Zahl der kundenindividuellen ESG-Indizes stark zu und im gesamten ETF-Bereich gibt es fast keine Standardlösungen.

 

 

Da sind Sie als Anbieter auch in der Pflicht.

Arnold: Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Debatte nicht Schwarz-weiß ist. Vielmehr befinden wir uns alle aktuell in einem gesellschaftlichen und unternehmerischen Transformationsprozess. Es gibt unterschiedliche Ansätze, weil es verschiedene Kundenpräferenzen und -Bedürfnisse gibt. So sind beispielsweise die Bedürfnisse von einem Privatkunden, der keine Anlagebedingungen berücksichtigen oder Mindestrenditen erwirtschaften muss, stark abweichend von den Ansprüchen einer Pensionseinrichtung.

Wie bewerten Sie die einzelnen Buchstaben? Das E, S und G.

Arnold: Wichtig zu verstehen ist, dass wir E (Environmental), S (Social)  und G (Governance) Faktoren als finanziell materielle Faktoren betrachten. Es geht ja darum, wie sich E, S und G Themen auf die mögliche Bewertung eines Unternehmens auswirken können. Unter E fällt das Klima. Klimarisiken sind für uns Investmentrisiken. Hier geht es im Wesentlichen um physische und transitorische Investmentrisiken, die analysiert und gemanagt werden müssen. Hier liegt ein spezieller Fokus darauf, natürlich wegen des Pariser Klimaabkommens und die dadurch angestrebte Netto-Null Wirtschaft. Aber es ist auch ein Faktor, der quantitativ leichter messbar ist als manch andere Themen zum Beispiel im Social oder S-Bereich. Für viele der S-Aspekte sind quantitative Bemessungen schwieriger. Beispielsweise die Frage, wie sich Bildung auf eine Gesellschaft auswirken kann oder wie Diversität und Inklusion in einem Unternehmen gemessen und sich möglicherweise auf die Performance eines Unternehmens auswirken können. Hier gibt es auch manchmal Themen-bezogene Anlagelösungen, wie einen Diversity- und Inclusion-ETF.