Risikokennzahlen auf dem Prüfstand, Teil 1 Volatilität – Die Mutter aller Risikokennzahlen

Paul Skiba vom Vermögensverwalter BPM – Berlin Portfolio Management

Paul Skiba vom Vermögensverwalter BPM – Berlin Portfolio Management



Was wäre ein passenderer Start für eine Serie zu Sinn und Unsinn von Risikokennzahlen als die zum Synonym des Risikos gewordene Volatilität einer Anlage? Seit Harry Markowitz in seinem 1952 erschienen Aufsatz „Portfolio Selection“ das Risiko eines Wertpapieres über dessen Volatilität definierte und William Sharpe 1964 das Capital Asset Pricing Model (CAPM) auf dieses nobelpreisgekrönte Fundament setzte, gilt die Volatilität als ungeliebter Gegenspieler der Rendite bei der Bewertung von Investitionsentscheidungen.

Im Folgenden wollen wir uns mit der Berechnung und Interpretation dieser „Mutter aller Risikokennzahlen“ befassen, ohne dabei ihre Mängel und Anwendungsgrenzen aus den Augen zu verlieren.

Es gilt dabei zu bedenken, dass jede Kennzahl und jedes Modell per Konstruktion Vereinfachungen der Wirklichkeit sind. Insofern wohnt einer jeden Kennzahl eine natürliche Abweichung von der Realität inne. Die Kunst besteht nicht in der perfekten Modellierung, sondern vielmehr im genauen Verständnis dessen was eine Zahl aussagen kann und was nicht.

Was misst die Volatilität überhaupt?

Ihren Siegeszug durch die Finanzwelt verdankt die Volatilität wohl auch ihrer einfachen Berechenbarkeit als Wurzel der Varianz und damit Standardabweichung eines Wertpapieres. Das war insbesondere in vordigitaler Zeit ein klarer Vorteil.

Die geläufige Formel für die annualisierte Volatilität ist Standardabweichung der Renditen mal Quadratwurzel des Annualisierungsfaktors. Diese beinhaltet bereits eine Reihe restriktiver Annahmen, welche beachten werden wollen, um überhaupt eine aussagekräftige Zahl zu erhalten. Es handelt sich hier außerdem um die durchschnittliche Schwankung um einen Mittelwert, ohne dass die Richtung der Abweichung von Bedeutung ist.

Zunächst ist dies kein Malus, da wir uns als Investor ja noch nicht für eine Long- oder Short-Position entschieden haben. An dieser Stelle sei jedoch auf die konzeptionelle Symmetrie der Volatilität hingewiesen.

Wir wissen wie wir messen, aber was genau messen wir? Wir interessieren uns für Preisänderungen des Wertpapieres, da diese unser Risiko darstellen. Oft sieht man die Rechnung Preis von heute minus Preis von gestern. Um diese Werte vergleichbar zu machen, teilt man das Ergebnis dann durch den Preis von gestern und erhält die relative Wertveränderung in Prozent.

Ein einfaches Beispiel führt uns die Schwachstelle dieser Methode vor Augen: Ein USD-Investor und ein Euro-Investor gehen ein Währungsgeschäft ein. Der Wechselkurs steht bei 1,12 aus Sicht des Euro-Investors und bei 0,89 aus Sicht des USD-Investors. Nun ändert sich der Wechselkurs über Nacht von 1,12 auf 1,14. Der Euro-Investor macht also einen Gewinn von (1,14 - 1,12) / 1,12 = 1,79 Prozent. Die Gegenpartei blickt auf einen Wechselkurs von 1 / 1,14 = 0,88 und einen Verlust von (0,88 – 0,89) / 0,89 = minus 1,12 Prozent. Rechnen Sie selbst nach. Es handelt sich bei der Abweichung nicht um einen Rundungsfehler.

Problem der Asymmetrie

Ist der EUR/USD-Kurs auf dieser Seite des Atlantiks also volatiler? Das Problem ist die Asymmetrie dieser Methode, welche Gewinne und Verluste unterschiedlich behandelt. Das Ergebnis der symmetrisch gemessenen Volatilität wird verfälscht.

Abhilfe schafft hier die sogenannte Log-Rendite, welche die Differenz der natürlichen Logarithmen der Preise von gestern und heute ist. Für unser EUR/USD-Geschäft rechnen wir also Log(1,14) - Log(1,12) = 1,77 Prozent und Log(1/1,14) - Log(1/1,12)= minus 1,77 Prozent und sehen, dass beide Investoren derselben Schwankung ausgesetzt sind. Dieses Ergebnis verträgt sich auch mit der Aussage, dass Volatilität nicht zwischen Long- und Short-Seite unterscheidet. Vergewissern Sie sich, dass Sie beim Vergleichen von Volatilitäten dieselbe Berechnungsgrundlage nutzen.

Um Tagesschwankungen besser interpretieren und vergleichen zu können, wird die Volatilität oft auf Jahresbasis (annualisiert) angegeben. Hierzu multiplizieren wir beispielsweise die Quadratwurzel aus 250, als angenommene Anzahl der Beobachtungen pro Jahr. Die Herleitung ist einfach, da wir die Varianz mit 250 multiplizieren und beim anschließenden Wurzelziehen selbiges für die 250 vornehmen.

Diese Rechnung kommt mit einem ganzen Rattenschwanz von Annahmen daher. Die wichtigste zuerst: Sie ist nur für Log-Renditen gültig und auch nur wenn diese normalverteilt sind. „Tail-Risiken“ fallen also unter den Tisch.

Jetzt wird es kniffliger: Sie beruht auf der Annahme stationärer Volatilität sowie unabhängig verteilter Renditen. Was bedeute das für uns? Vereinfach gesagt, sollte die Volatilität sich im Zeitverlauf gleichmäßig um einen konstanten Wert bewegt und nicht für längere Zeiträume oder in bestimmten Phasen von dieser Eigenschaft abweicht. Betrachten wir die Schwankungen einer beliebigen Anlage über mehrere Jahre, sehen wir bereits, wie weit hergeholt diese Annahme ist (siehe nachfolgender Chart).

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An dieser Stelle sollten wir erkennen, dass Volatilitätsindizes wie der V-Dax New trotz Annualisierung nie als implizite Volatilität über das nächste Jahr interpretierbar sind. Es handelt sich lediglich um eine Momentaufnahme für einen kurzen Zeitraum.

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EXKURS: Was ist die implizite Volatilität?
Als implizite Volatilität bezeichnet man die am Markt gehandelte Volatilität einer Anlage. Man kann sie insofern als „erwartete“ Schwankung verstehen. Im Gegensatz zur realisierten Volatilität beruht sie nicht auf historischen Daten, sondern errechnet sich aus dem Marktpreis eines Portfolios von Put- und Call-Optionen sowie eines Forward-Kontraktes auf den Basiswert. Der Volatilitätsindex V-Dax New indiziert die implizite Volatilität des Dax für einen Zeitraum von 30 Tagen.
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Noch wilder wird es durch die Annahme unabhängiger Renditen. Dies bedeutet, dass die Wertentwicklung von heute unabhängig von der gestrigen ist. Eine Aussage die jede Chart-Technik und Trendfolge ad absurdum führt.