Richtiger Value- und Growth-Mix Wann soll man in Wachstumsaktien investieren?

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Scuttlebutt ist heute einfacher als zu Fishers Zeiten

Der methodische Hauptkritikpunkt vieler Investoren – insbesondere von Privatanlegern – an Fishers Ansatz ist, dass die investigative Vorgehensweise nur sehr schwer in der Praxis umsetzbar ist. Detaillierte Recherchen sind sehr zeit- und kostenaufwändig. Zugleich erfordern sie ein Netzwerk aus Industriekontakten, die ein Anleger oft nicht hat.

In der Tat ist es selbst für viele professionelle Investoren im Alltagsstress so gut wie unmöglich, Unternehmen so in der Tiefe zu überprüfen, wie es Fisher für notwendig hält. Zudem kann der Zeitaufwand für „Scuttlebutt“ dazu führen, dass interessante Aktien schon stark steigen, bevor die Überprüfung beendet ist.

Allerdings bedeuten diese praktischen Probleme nicht, dass man nicht doch versuchen sollte, ein Unternehmen möglichst gut kennenzulernen, bevor man eine Investmententscheidung trifft. Und hierzu gehört nicht nur die oberflächliche Analyse von offiziellen Investoreninformationen und Presseberichten, sondern auch die Bereitschaft, unabhängige Informationsquellen anzuzapfen oder bei Veröffentlichungen zwischen den Zeilen zu lesen.

Fisher verlangte kein sklavisches Abarbeiten seiner 15 Anlagekriterien, sondern kritisches Mitdenken vom Investor, wofür eine gründliche Auseinandersetzung mit der Thematik Voraussetzung ist. Seine Devise war, besser wenige Firmen sehr gut zu kennen, als viele nur oberflächlich. Gerade heutzutage ist dies mit der Vielzahl von im Internet frei verfügbaren Informationen viel einfacher geworden. Man muss nur anfangen zu suchen.

Bewertungsblasen und kreative Buchführung

Als Philip A. Fisher vor 68 Jahren sein Buch veröffentlichte, spielten zwei Faktoren an den Börsen noch keine so große Rolle wie in der heutigen Zeit: Bewertungsblasen sowie die legale Manipulation von Unternehmenszahlen mittels Methoden der kreativen Buchführung.

Fisher hat sich alleine auf qualitative Investmentkriterien gestützt und damit die Bedeutung quantitativer Faktoren wie Bewertungskriterien bewusst heruntergespielt. Dies mag einerseits darin liegen, dass es in den 50er Jahren noch nicht so üblich war, selbst Top-Unternehmen an der Börse extrem hoch zu bewerten. Es kann auch in dem Bemühen geschehen sein, sich eindeutig von Benjamin Grahams Value-Stil abzugrenzen.

Dieser setzte vor allem auf die Analyse der Unternehmenszahlen mittels Bewertungskennziffern. Fisher war klar, dass herausragende Unternehmen fast immer hoch bewertet sind, insofern bei einer Value-Vorgehensweise durch das Raster fallen. Was er zu diesem Zeitpunkt allerdings wohl noch nicht vorhersehen konnte ist, dass es heutzutage regelmäßig zu spekulativen Exzessen und Blasen kommt, bei denen sich die Bewertungen für Top-Firmen dermaßen in die Höhe schrauben, dass sie selbst bei der positivsten Geschäftsentwicklung nicht gerechtfertigt sind.

Als Antwort gegen die zu starke Vernachlässigung von Bewertungsaspekten hat sich in der Nachfolge von Fisher der sogenannten Garp-Ansatz (Garp ist die Abkürzung für “Growth at a reasonable price”; Wachstum zum vernünftigen Preis, Anmerkung der Redaktion) entwickelt, der speziell von Peter Lynch propagiert wurde. Er findet in der Praxis insbesondere bei Large-Cap-Wachstums-Titeln Anwendung; mit ihm sollen extreme Überbewertungen vermieden werden.

Hierbei wird die Bewertung einer Aktie in Bezug gesetzt zum erwarteten Gewinnwachstum. Ein sehr hoher Wert signalisiert dem Anleger, dass selbst ein großartiges Potenzial bereits im Kurs eingepreist ist.

Nicht vorhersehen konnte Fisher, dass ab den 1980er Jahren mit der Einführung des sogenannten „Fair Value Accounting“ zunehmend auch legale Bilanzierungsmethoden an Popularität gewannen, die mittels kreativer Buchführung Wachstum geschickt vortäuschten. Insbesondere nach dem Platzen der Internetblase um das Jahr 2000 wurde deutlich, dass viele der vorgeblichen Wachstumsaktien ihre herausragende Performance vor allem Finanz-PR sowie Bilanztricks verdankten.

Die Darstellung von Wachstum durch die aggressive Bewertung von Vermögenswerten beziehungsweise Aktivierung von zukünftigen Gewinnen ist nach wie vor ein gravierendes Problem. Hierfür gibt es aufgrund der Variabilität der aktuellen Rechnungslegungsvorschriften keine einfache Lösung. Dies zeigt aktuell die Kontroverse um den Börsenliebling Netflix, dem von kritischen Journalisten und Fondsmanagern vorgeworfen wird, mithilfe optimistischer Bilanzierung zu überdecken, dass das ausgewiesene Wachstum in Wirklichkeit unprofitabel ist.

Führende Branchen-Analysten zum Beispiel von Goldman Sachs behaupten genau das Gegenteil.