Anleger brauchen gerade gute Nerven. Wir bewegen uns in einem Rezessionsszenario, was viele Investoren erschreckt, nachdem die Börsen über viele Jahre immer wieder neue Höchststände vermeldet haben. Die Unsicherheit zwischen Sorgen und Hoffnungen spiegelt sich immer wieder in irrationalen Kurssprüngen wider, die oft den langfristigen Blick trüben. Eine Rezession ist auch mit der Chance verbunden, Exzesse an Märkten zu bereinigen. Damit bieten sich professionellen Investoren, die Geschäftsmodelle fundamental bewerten und von der Transformationskraft von Managern überzeugt sind, günstige Kaufgelegenheiten.
Es lohnt der Blick in den „Maschinenraum“
Im Deep-Value-Segment wird oft irrtümlich unterstellt, dass Investoren „schwache“ Unternehmen kaufen, die man gerne unter dem Begriff „Pennystocks“ zusammenfasst. Die Frage lohnt aber: Was sind „schwache“ Unternehmen? Sind beispielsweise Unternehmen, die unter den gegebenen Marktbedingungen und in ihrem Branchenumfeld nicht schnell genug wachsen, automatisch „schwach“? Value-Investoren haben einen detaillierteren Blick. Entscheidend ist, wie dominant ein Unternehmen in seinem Wettbewerbsumfeld positioniert ist und wie hoch die Gewinnspannen sind.
Hinter milliardenschweren Umsätzen stehen oft globale Spitzenkonzerne aus verschiedenen Branchen wie der Industrie, dem Konsumgüterbereich oder dem Finanzsektor, die sich mit einem operativen Problem befassen. Wenn das offenbar wird, verzichten viele Anleger auf den kritischen Blick in den „Maschinenraum“, oft auch, weil die notwendige Fachkenntnis fehlt. Sie wenden sich ab, verkaufen ihre Anteile, was den Kurs weiter belastet: Die Spirale ist in Gang gesetzt. Für Investoren, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Kern von Geschäftsmodellen in verschiedenen Branchen zu verstehen, können sich daraus günstige Chancen entwickeln.
Volkswagen ist ein Beispiel aus der Automobilbranche, dessen Aktienkurs aufgrund des anstehenden Transfers von kohlenstoffbasierten Kraftstoffen zu Elektrofahrzeugen extrem gelitten hat. Viele Anleger waren nervös, Hintergründe waren für Laien nur wenig kalkulierbar und Tesla wurde immer wieder als großer Gewinner wahrgenommen. In dieser Phase konnten wir Volkswagen für das Fünffache seines aktuellen Cashflows kaufen, was eine Rendite von 20 Prozent bedeutet. Zudem hat Volkswagen die Tochtergesellschaft Porsche für mehr als den Gesamtwert des gesamten Unternehmens verkauft.
Managementstärke zeigt sich in Krisenzeiten
Natürlich geht die Rechnung nicht immer auf, auch die sorgfältigsten Deep-Value-Analysten und Investoren können in diesem Segment danebenliegen. Aber bei 60 Prozent der Fälle, die sich über längere Frist ähnlich entwickeln wie VW, ist die Bilanz positiv und damit ein interessanter Baustein für die Asset Allocation breit diversifizierter Anleger.
Eine wichtige Motivation ist das Vertrauen in Menschen, die Unternehmen durch Krisen navigieren können, indem sie geeignete Maßnahmen ergreifen und Anpassungen vornehmen. Damit können sie starke Marken wieder auf die Erfolgspur zurückbringen, so dass sie die Nase in Zeiten konjunktureller Erholungsphasen schnell wieder vorne haben können. Wenn man sich die Vergangenheit ansieht, waren Makrodaten für die langfristige Rentabilität für solche Unternehmen völlig irrelevant. Kurzfristig belasten wirtschaftliche Faktoren sicherlich, aber längerfristig entscheidet die Managementstrategie vor allem im Krisenumfeld.
Ein weiteres Beispiel ist ein Chemieproduzent, der sein Produkt mit Erdgas herstellt. Aufgrund der makroökonomischen Entwicklungen sind die Kosten für den Rohstoff plötzlich fünfmal so hoch wie vorher. Das Unternehmen verliert weltweit an Wettbewerbskraft und muss seine Anlage stilllegen, während das Management die Verlagerung der Produktion prüft und die Kosten senkt. Die kurzfristige Ertragsschwäche ist unvermeidlich und auch die Talfahrt des Aktienkurses dürfte kaum aufzuhalten sein. Aber in fünf Jahren wird es keine Rolle mehr spielen, wie hoch der Gaspreis 2022 in Europa war. In fünf Jahren wird das Unternehmen sein Geschäft umgestellt und den neuen Gegebenheiten angepasst haben. Das sind die Chancen für Value-Investoren: Die Aktienkurse spiegeln die aktuellen Schwierigkeiten wider, aber nicht den Einfallsreichtum der Menschen, die unter Druck notwendige Weichenstellungen einleiten und umsetzen.
Einkaufschancen im Value-Zyklus
Wir gehen davon aus, dass ein Value-Zyklus durchschnittlich etwa sechs Jahre dauert. Der letzte hat mit dem Ausbruch der Pandemie vor zweieinhalb Jahren begonnen, bevor er vom russischen Einmarsch in die Ukraine unterbrochen wurde. Vier starke Jahre sollten uns also noch bevorstehen, auf die wir bestmöglich vorbereitet sein möchten. Jetzt die Unternehmen zu finden, die im aktuellen Marktumfeld zu den günstigsten weltweit zählen, die ein leistungsfähiges Management und die notwendige Finanzkraft haben, Krisen meistern zu können, bleibt eine entscheidende Aufgabe.
Über den Gastautor:
Richard Pzena ist Gründer, Fondsmanager und Vorstandsmitglied der amerikanischen Value-Boutique Pzena, die seit dem Jahr 1995 einen Deep-Value-Fokus verfolgt. Pzena verwaltete Mitte 2022 ein Vermögen von 45 Milliarden US-Dollar und beschäftigte knapp 140 Mitarbeitende.