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Wenn deutsche Nebenwerte zu Analystenkonferenzen einladen, wird die Gästeliste immer kürzer. Viele börsennotierte Unternehmen sind froh, wenn sie überhaupt noch von einem Analysehaus abgedeckt werden. Denn die Zahl der Anbieter ist rückläufig, spätestens seit Mifid II. Nach langem Ringen trat am 3. Januar 2018 die europäische Finanzmarktrichtlinie in Kraft. Sie sollte für mehr Transparenz und Anlegerschutz auf dem Finanzmarkt sorgen. Research-Leistungen müssen seitdem separat abgerechnet werden, ihre Kosten dürfen nicht mehr versteckt an die Käufer von Anlageprodukten weitergegeben werden.
Der Regulator verfolgte damit zwei Ziele: Erstens wollte er die Nebenkosten des privaten Vermögensaufbaus senken. Zweitens wollte die EU unterbinden, dass Banken und Finanzdienstleister mit ihren Research-Publikationen Aktienanlagen in den Markt drücken, die vor allem Vertriebsinteressen bedienen. In der Praxis ließ Mifid II den Ertragspool einer ganzen Branche schmelzen. Das hat mittlerweile wohl auch der Regulator erkannt. Doch dazu später mehr.
Regeln eines Geschäftsmodells wurden neu geschrieben
„Das sogenannte Unbundling hat die Regeln des einst ertragsstarken Geschäftsmodells für Aktien-Brokerage neu geschrieben“, sagt Matthias Desmarais, Leiter Equities von Oddo BHF. Banken mussten Aktienhandel, Aktien-Research und Corporate Access, bis dahin vereint, aufschlüsseln. Asset Manager, unabhängige Vermögensverwalter oder Fondsboutiquen überlegen seitdem genau, von welchem Haus sie zu welchen Aktien und zu welchem Preis Aktien-Research einkaufen.
„Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Liste der mandatierten Häuser immer kürzer wird“, so Desmarais. Ein Konsolidierungsprozess, an dessen Anfang das Private Banking und Asset Management noch stehen, ist in der Research-Branche weiter fortgeschritten. Große Brokerhäuser schluckten in den vergangenen Jahren kleinere unabhängige Anbieter, mehrere Banken haben ihr Aktien-Research aufgegeben oder ausgelagert (siehe Abbildung).
Ein Profiteur dieser Konsolidierung: die deutsch-französische Bankengruppe Oddo BHF. Sie hat mit der Commerzbank, der österreichischen Raiffeisen Bank International (RBI), der niederländischen ABN Amro, der BBVA aus Spanien und Natixis aus Frankreich den Aktienhandel und das Research mehrerer Banken an ihre Broker-Plattform angedockt. Oddo BHF setzt im margenschwachen Research-Geschäft auf Skalierung. Mit der paneuropäischen Plattform könne man ein größeres, spezialisiertes Research-Universum im Bereich europäischer Aktien, auch bei Small und Mid Caps, abdecken. Damit blieben die angeschlossenen Banken mit einer Coverage von inzwischen über 800 Emittenten – auch im Vergleich zu den internationalen US-Investmentbanken – relevant, sagt Desmarais.

In Deutschland deckt die Oddo BHF mit zehn Analysten 165 Aktien ab. Eine solche Coverage will das Bankhaus Metzler noch erreichen. Im Oktober vergangenen Jahres kündigte die Privatbank an, weitere Analysten einstellen und die Aktienabdeckung von derzeit 110 auf 160 bis 180 deutsche Titel steigern zu wollen. 2020 hatte die Bank erst rund 80 Aktien abgedeckt. Das Research-Geschäft müsse zur Strategie und Schwerpunktsetzung eines Hauses passen, sagt Pascal Spano, der das Research des Bankhauses leitet. „An diesem Punkt sind Banken zu verschiedenen Ergebnissen gekommen.“
Weil Metzler davon überzeugt ist, dass Kapitalmarktfinanzierungen für deutsche Unternehmen künftig wichtiger werden, wolle man sich insbesondere in Sektoren mit Finanzierungsbedarf personell vergrößern und die Abdeckung verbreitern. Die Wachstumsinitiativen einiger weniger Adressen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es durch den Rückzug mehrerer Research-Anbieter für börsennotierte Mittelständler immer schwieriger wird, eine Analystenabdeckung zu erhalten.
Sponsored Research gewinnt an Bedeutung
Gerade Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung bleibt oft als einzige Möglichkeit, Analysen von privaten Research-Anbietern gegen Bezahlung erstellen zu lassen, sogenanntes Paid oder Sponsored Research. Die meisten Banken und Research-Häuser bieten diese Dienstleistung selbst oder über ein Tochterunternehmen an. Um Zweifeln an der Unabhängigkeit dieser Analysen vorzubeugen, betonen die Anbieter unisono, dass von Emittenten finanziertes Research den gleichen Qualitätskriterien wie die übrige Coverage unterliege.

Schließlich sind die Interessenskonflikte offensichtlich. Eine Umfrage unter Portfolio- und Fondsmanagern der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) im Jahr 2020 ergab jedoch, dass rund drei Viertel der Befragten einen Mehrwert in „Sponsored Research“ sehen. 22 Prozent glauben, es sei sogar unabhängiger. Die Begründung: Die Interessen der Brokerhäuser seien offener nachvollziehbar als beim nicht bezahlten Research.
Entwicklung im Small-Cap-Markt schadet Nebenwerten zusätzlich
Ohnehin drängt sich die Frage auf, ob Research ganz unabhängig sein kann. Denn beleuchtet eine Bank einen Emittenten in einer Analyse kritisch, dürfte das Institut für das Unternehmen nicht unbedingt der erste Ansprechpartner bei der nächsten Kapitalerhöhung sein. Fest steht: Seit 2018 haben sich die Einnahmequellen der Research-Häuser ein Stück weit von Investoren hin zu den Emittenten verschoben. Erstens, weil die Verkaufskommissionen, die die Broker vor Mifid II erhalten haben, passé sind. Zweitens, weil aktive Asset Manager verstärkt auf ihre Kosten achten, wenn Anlagegelder zunehmend in passive Produkte fließen. Das erleichtert Preisverhandlungen nicht.
Drittens hat sich der Markt für Nebenwerte in der DACH-Region in den vergangenen beiden Jahren vergleichsweise schwach entwickelt. „Viele auf dieses Segment fokussierte Investoren spüren das deutlich“, sagt etwa Pierre Gröning, Vorstand von Montega, einer auf Nebenwerte fokussierten Investment-Banking-Boutique mit eigener Research-Abteilung.
Die Zahlungsbereitschaft für bloße Research-Studien und Aktienanalysen ist laut Gröning bei vielen Vermögensverwaltern, Family Offices und spezialisierten Fondsboutiquen in der Mifid-II- Welt gering. Gerade bei Small und Mid Caps müssen auch kleinere, spezialisierte Research-Häuser einen direkten Draht zu den Unternehmen bieten können. Die wenigsten der genannten Investoren hätten umfangreiche Research oder Corporate-Access-Verträge mit größeren Investmentbanken.
Neben hochwertigem Research zählt der Corporate Access
„Natürlich wollen Investoren hochwertiges Research konsumieren, um Emittenten besser zu verstehen und wichtige Informationen in ihre Anlageentscheidungen einfließen zu lassen“, so Gröning. „Darüber hinaus wollen sie sich aber mit Analysten zu den Investment Cases aus tauschen sowie einen direkten Zugang zu den Vorständen der Unternehmen haben, in die sie investieren.“ Dies könne über digitale Formate, Roadshows oder Konferenzen geschehen.
Montega startete daher 2021 mit Connect eine digitale Plattform für Kapitalmarkt-Events sowie den zielgerichteten Austausch zwischen Emittenten und Investoren. Im Juli 2024 gliederte das Hamburger Unternehmen die Plattform in die neu gegründete Airtime Software aus, um die „Weichen für weiteres Wachstum zu stellen“, hieß es. „Connect“ soll Emittenten ermöglichen, eigenständig mit passenden Investoren in Kontakt zu treten, für die sie sonst immer weniger sichtbar werden.
Was Emittenten belastet, kann für Nebenwerte Investoren wie Peter Kraus, Leiter Small Cap Equities bei Berenberg, auch ein Vorteil sein. Er sagt, die Qualität des Researchs im Nebenwerte Bereich habe zwar nicht abgenommen. „Dass die Abdeckung aber merklich zurückgegangen ist, kann ein Grund dafür sein, dass sich Investoren zunehmend auf Mid Caps konzentrieren.“
Für Unternehmen im Micro-Cap-Sektor – für Berenberg Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung unter einer Milliarde Euro – sei es schon immer schwer gewesen, eine Analystenabdeckung zu erhalten, allein aufgrund der Vielzahl der Titel. In Europa gebe es rund 6.000 Unternehmen in diesem Bereich. Zum Vergleich: In den USA sind es knapp 4.000 über alle Segmente hinweg. Für ein Unternehmen mit etwa 100 Millionen Euro Marktkapitalisierung müsse sein Team das Research in der Regel also selbst erstellen. Die Arbeit zahle sich aber aus: Die Wachstumsraten seien oft höher, die Unternehmen hätten oft starke Gewinnmargen und seien teilweise niedriger bewertet.
Unterscheidung zwischen Buy-Side- und Sell-Side-Research
Kraus, der auch den Aktienfonds Berenberg European Small Cap managt, und seine Kollegen können bei ihrer Arbeit auf das Research der Investmentbank von Berenberg zurückgreifen. Die Bank, die 2021 ein Analystenteam in Frankfurt zusammenstellte, baute in diesem Zug auch ihre Coverage im Small und Micro-Cap-Segment aus. Doch die Investmentbank ist nur einer von mehreren Brokern, die das Small-Cap-Equities-Team von Berenberg im Research nutzt. „Wir sind Portfoliomanager und Analysten zugleich. Wir haben kein Buy-Side-Research, das wir umsetzen müssen“, betont Kraus.

Im Research wird unterschieden, ob der Bericht von der „Sell Side“ stammt, die selbst mit Aktien handelt, oder von der „Buy Side“, die Kundenvermögen verwaltet und für private und institutionelle Anleger Aktien kauft. Die Studien haben somit einen unterschiedlichen Zweck und Inhalt. Dennoch können die Analysen des Equity Researchs als Grundlage unter mehreren für die „Buy-Side-Berichte“ dienen – etwa, wenn eine Bank in ihrem Investmentkomitee die Hausmeinung zu Aktien festlegt, die in der Anlageberatung empfohlen werden.
Als Mifid II in Kraft trat, befürchteten viele Beobachter, dass die Regelung kleinere Finanzinstitute und unabhängige Wertpapierdienstleister ohne eigene Research-Abteilung besonders hart treffen würde, weil sie sich die teuren Pakete schlicht nicht leisten könnten. Die DRH Vermögensverwaltung aus Dresden etwa verzichtet seit Anfang 2020 auf den klassischen Bezug externer Research-Dienstleistungen. „Stattdessen nutzen wir Echtzeitdaten aus dem Pool des Infront Investment Manager, Microsoft Finance und andere Plattformen, um Unternehmensdaten und -fakten frei zugänglich zu beziehen“, erklärt der geschäftsführende Gesellschafter Marco Rumpf.
Nebenwerte tauchen in den Portfolios der DRH-Kunden allerdings selten auf: Ziel des Investmentansatzes des Vermögensverwalters ist es, die 100 bis 120 weltweit erfolgreichsten Werte in den Mandanten portfolios zu allokieren. „Die nach unserem Investmentansatz ausgewählten Werte werden in der Folge regelmäßig quartalsweise überwacht und im Bedarfsfall angepasst“, so Rumpf. Die Kosten für externes Research hätten sich seit 2018 für das Unternehmen nicht erhöht.
Durch Brexit fielen britische Anbieter aus der Mifid-II-Regulierung
2025, sieben Jahre nach Inkrafttreten von Mifid II, sind die Research-Budgets von Asset Managern und Vermögensverwaltern weiter knapp bemessen. Daran konnte auch der Brexit nichts ändern, durch den britische Unternehmen aus der Mifid-II-Regulierung gefallen sind. „Kaum ein Asset Manager dort möchte heute noch mit seinen Kunden die Diskussion führen, warum neue Brokerhäuser hinzukommen“, sagt Desmarais von Oddo BHF. Im Juli 2024 erlaubte die britische Finanzmarktaufsichtsbehörde FCA, Analysen und Handelsausführung wieder gebündelt abzurechnen, und machte damit die Mifid-II-Vorgaben rückgängig.
Auch in der EU gibt es verschiedene Initiativen, die Richtlinie abzumildern. „Es ist jedoch festzustellen, dass dies aktuell in Brüssel auf der Prioritätenliste nicht besonders weit oben steht“, sagte Klaus Soer, Leiter Research der Quirin Privatbank, diesem Medium noch im November 2024. Eine Auffassung, die auch andere Brancheninsider vertraten. Offensichtlich sind die politischen Bemühungen jedoch weiter als gedacht.
Wird das Unbundling zurückgenommen?
So überraschte die jüngste Nachricht über EU-Pläne, das Unbundeling aus Mifid II rückgängig machen zu wollen. Die europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde Esma hat zu dem Vorhaben bis Ende Januar Kommentare von Marktteilnehmern gesammelt. Auch die DVFA äußerte sich zu der Konsultation – und begrüßte den Vorschlag. „Eben weil eine Rücknahme einer Regulierung selten ist, befürworten wir diesen Schritt ausdrücklich“, sagt Roger Peeters, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der DVFA.
Doch nicht alle Vorschläge stoßen auf Zustummung. So schlägt die Esma vor, dass Asset Manager jährlich den Wert, den Nutzen und die Kosten ihrer Research-Dienstleister überprüfen könnten. Den Vorschlag lehnt die DVFA ab, weil der Wettbewerb stark genug sei: „Daher haben Investmentfirmen einen starken Anreiz, die Qualität des Researchs selbst zu überwachen, da dies ein Schlüsselelement für die zukünftige Performance ist“, heißt es in der Stellungnahme. Ohnehin sei fraglich, ob die Marktteilnehmer zum Bundling zurückkehren. Schließlich koste es abermals eine Menge Geld, um IT-Systeme und Prozesse anzupassen.
Klar ist: Der Research-Markt wird in den kommenden Jahren in Bewegung bleiben. Und eine gute Nachricht gab es für die Branche schon 2024: In der ersten Jahreshälfte sind die Research-Budgets der Asset Manager laut dem britischen Analysehaus Substantive Research erstmals seit 2018 wieder gestiegen, wenn auch in Europa um bescheidende 4 Prozent. Anstatt dass Research-Anbieter Jahr für Jahr zusehen müssen, wie die Preise sinken, gebe es nun wieder einen Markt mit Gewinnern und Verlierern, so Substantive Research. Und davon könnten am Ende auch Emittenten und Investoren profitieren, wenn Nebenwerte im Aktien-Research wieder auf den Radar kommen.