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Rentenmärkte Spannungen könnten EU stärken

Besucher im Güell-Park in Barcelona (Ende Mai 2020): Europa ist sich in der Frage, wie man Wirtschaft und Tourismus wieder ankurbeln soll, uneins.

Besucher im Güell-Park in Barcelona (Ende Mai 2020): Europa ist sich in der Frage, wie man Wirtschaft und Tourismus wieder ankurbeln soll, uneins. Foto: imago images / ZUMA Wire

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der weltweiten Pandemie sind verheerend: Allein im Euroraum ging das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2020 um 3,8 Prozent zurück – obwohl nur wenige Wochen im März vom Lockdown betroffen waren. Ökonomen rechnen erst für das vierte Quartal mit einer gewissen Erholung. Im Gesamtjahr 2020 dürfte das BIP um insgesamt 10 Prozent oder mehr sinken.

Einige Länder waren erfolgreicher in der Virus-Bekämpfung und haben weniger starke Auswirkungen erlitten. Dadurch waren sie in der Lage, ihre Wirtschaft früher wieder zu öffnen als andere. Italien und Spanien erlauben beispielsweise keinerlei Ein- und Ausreisen, während Litauen, Estland und Lettland einen Block gebildet haben, innerhalb dessen Bewegungsfreiheit gewährt wird.

Für die vom Tourismus abhängigen Länder dürfte es noch schwer werden. In Spanien beispielsweise entfallen rund 15 Prozent des BIP auf den Reise- und Tourismussektor, so dass ein anhaltender Rückgang der Reisetätigkeit Spanien stärker in Mitleidenschaft ziehen dürfte als andere Länder.

Lange Erholungsphase

Es dürfte letztlich mehrere Jahre dauern, bis sich die europäische Wirtschaft von den Folgen der Covid-19-Pandemie erholt. Die Situation ist für alle Akteure neu, denn nie zuvor wurde die Wirtschaft in diesem Ausmaß gestoppt und dann wieder hochgefahren.

Beispiel Großbritannien: Die Regierung hat am 12. Mai angekündigt, ihr Kurzarbeitsprogramm bis Oktober zu verlängern, so dass Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, noch weitere Monate über ein Einkommen verfügen. Die Bank of England (BoE) dürfte bei ihrer nächsten Sitzung im Juni neue  Maßnahmen zur quantitativen Lockerung bekanntgeben und ihre Geldpolitik stark lockern sowie Anleihekäufe über den Sommer hinaus fortsetzen.

Dazu kommen noch die bisher ungelösten Brexit-Folgen: An erster Stelle steht ein Handelsabkommen. Es gibt einen Entwurf, aber die EU-Länder verlangen Zugang zu britischen Fischfanggewässern – ansonsten wollen sie keiner Einigung zustimmen. Eine Einigung zeichnet sich nicht ab.

EZB könnte Notfallprogramm aufstocken

Die Europäische Zentralbank (EZB) verfolgt bislang eine ultralockere Geldpolitik. Bei ihrer jüngsten geldpolitischen Sitzung kündigte die EZB neue langfristige Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO III) mit einem Zinssatz von -1 Prozent sowie Pandemic Emergency Longer-Term Refinancing Operations (PELTROs) mit einem Satz von -0,75 Basispunkten an. Für Banken stehen derzeit also äußerst günstige Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die EZB meldete zudem, dass ihr zur Bekämpfung der Pandemie aufgelegtes Notfallprogramm zur quantitativen Lockerung, das Anleihekäufe in Höhe von 750 Milliarden Euro vorsieht, möglicherweise aufgestockt werden muss.

Unterdessen hat das deutsche Bundesverfassungsgericht entscheiden, dass das in der Zeit von 2015 bis 2018 durchgeführt Anleihekaufprogramm der EZB „den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ nicht beachtet und möglicherweise Haushaltsdefizite finanziert hat. Das Urteil bezog sich zwar nicht auf das aktuelle, mit dem Corona-Virus verbundene Programm. Einigen Beobachtern zufolge könnte es aber dazu kommen, dass auch dieses Programm als rechtswidrig eingestuft wird.

Spanien und Italien wurden am stärksten vom Corona-Virus getroffen und haben erklärt, dass sie weitere Unterstützung benötigen. Sie befürworten die Ausgabe von „Corona-Bonds“ – eines neuartigen Schuldinstruments, das von allen Ländern der Eurozone finanziert werden müsste, um die Auswirkungen der Krise zu finanzieren. Unter anderem Deutschland und die Niederlande haben sich indes gegen die Anleihen ausgesprochen.

Nord gegen Süd

Die nördlichen Länder befürworten allgemein Darlehen, die zurückgezahlt werden müssen, während die südlichen Länder direkte Zuwendungen erhalten wollen. Diese Art von Uneinigkeit erinnert an die europäische Staatsschuldenkrise des Jahres 2011, bei der sich ebenfalls Italien und Spanien auf der einen und Deutschland und die Niederlande auf der anderen Seite gegenüberstanden. Die beiden Seiten der Eurozone diskutieren erneut darüber, wer für die aktuelle Krise bezahlen soll – und wie eine solche Bezahlung erfolgen soll.

Abgesehen von britischen Gilts bieten unserer Einschätzung nach auch die Märkte für Staatsanleihen der europäischen Peripherieländer Italien, Griechenland und Portugal gute Chancen für Anleger. Aus unserer Sicht schaffen die aktuellen Spannungen innerhalb der EU in Wahrheit eine gute Gelegenheit, um Europa zu stärken. Wir sind außerdem der Ansicht, dass Anleger in Europa Anleihen mit langer Duration bevorzugen sollten, da das Wachstum schwach und die Inflation somit sehr gering ausfallen werden.

Zudem sind europäische Investment-Grade-Anleihen derzeit chancenreich. Die Renditen waren zwar über Jahre hinweg sehr niedrig gewesen, wir sehen in diesem Bereich derzeit jedoch eine Chance für Anleger auf der Suche nach Erträgen, da es hochwertige europäische Unternehmen gibt, die die Krise überleben und sich langfristig gut entwickeln werden. Langfristig orientierte Anleger sollten den Zeitpunkt nutzen, um europäische Staats- und Unternehmensanleihen einer genaueren Prüfung zu unterziehen.

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