Geldmarktfonds Richard Mulley von GSAM: „Diese zwei Kräfte bestimmen die Entwicklung des Marktes“

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Richard Mulley von GSAM: „Diese zwei Kräfte bestimmen die Entwicklung des Marktes“
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Richard Mulley von Goldman Sachs

Richard Mulley von Goldman Sachs: „Ein Geldmarktfonds mit stabilem Nettoinventarwert bietet beispielsweise eine Rendite von 4,3  Prozent, da die Renditen von US-Treasuries am vorderen Ende höher sind als die von Anleihen mit mittlerer und längerer Laufzeit.“ Foto: GSAM

private banking magazin: Herr Mulley, was genau macht ein Geldmarktfonds und welche Vorteile bietet er Investoren?

Richard Mulley: Ein Geldmarktfonds bietet den Anlegern Liquidität bei gleichzeitigem Kapitalerhalt. Diese beiden Anlageziele - Bereitstellung von Liquidität und Kapitalerhalt - werden durch Investitionen in ein Portfolio von hochwertigen, kurzfristigen Anleihen erreicht. Einfach ausgedrückt sind Geldmarktfonds ein transparentes, diversifiziertes und risikoaverses Instrument für Anleger, um ihre Barmittel zu verwalten und Geldmarktzinsen zu erlangen.

Welchen Spielraum haben Sie bei Geldmarktfonds?

Mulley: Bestimmte Geldmarktfonds-Parameter sind durch Vorschriften festgelegt, darunter Laufzeitbeschränkungen, Kontrahentenrisiko und zulässige Anlageinstrumente – zu denen in der Regel kurzlaufende Staatsanleihen, Commercial Paper, Pensionsgeschäfte und Einlagen gehören. Ungeachtet dieser Einschränkungen bieten Geldmarktfonds den Anlegern in vielerlei Hinsicht Flexibilität. In erster Linie sind Geldmarktfonds so konzipiert, dass sie den Anlegern einen zeitnahen Zugang zu Barmitteln ermöglichen. Das bedeutet, dass die Anleger noch am selben Tag, an dem sie Barmittel anfordern, über diese verfügen können. Einige Fonds bieten untertägige Liquidität, das heißt sie können den Liquiditätsbedarf eines Anlegers innerhalb einer Stunde decken.

Welche Vorteile gibt es noch?

Mulley: Sobald ein Anleger mit einem Vermögensverwalter zusammenarbeitet und sein Konto eingerichtet ist, kann er auch flexibel entscheiden, auf welche Geldmarktfonds er je nach seinem Anlagebedarf zugreift. Neben dem einfachen Zugang profitieren die Anleger auch davon, dass sie ihre Geldmarktfondsanteile erhöhen können und dabei den gleichen Zinssatz  – oder die gleiche Rendite – wie die bereits angelegten Barmittel erhalten. Dies ist nicht immer der Fall, wenn sie ihre Einlagen in bestehende Bankprodukte aufstocken.

 

 

 

Die Anleger können auch entscheiden, wie sie die erwirtschafteten Zinsen – oder Renditen – verwalten wollen: Sie können wieder angelegt oder ausgezahlt werden. Schließlich bieten viele große Geldverwalter den Anlegern Zugang zu Plattformen, über die sie ihre Geldmarktfonds-Bestände handeln und analysieren können. Diese Verwalter bieten in der Regel auch Flexibilität bei der Häufigkeit der Berichterstattung und dem Umfang der in der Geldmarktfondsberichterstattung enthaltenen Details. 

Warum können Geldmarktfonds besser oder schlechter sein?

Mulley: Die Fonds werden zunächst nach der Art ihrer Kategorie unterschieden. Der regulatorische Hintergrund für die Geldmarktbranche hat sich seit der weltweiten Finanzkrise erheblich verändert, wobei sich die Änderungen weitgehend darauf konzentrierten, den Anlegern mehr Klarheit und Schutz zu bieten. Zu den Vorschriften gehören die Einführung von Mindestliquiditätsniveaus und klar definierte Geldmarktfonds-Kategorien, die unseres Erachtens beide dazu beigetragen haben, das Vertrauen der Anleger in die Vorteile von Geldmarktfonds zu stärken.

Welche Unterschiede ergeben sich zwischen den USA und Europa?

Mulley: In den USA werden Geldmarktfonds in die Kategorien Government Funds und Prime Funds unterteilt. Wie der Name schon sagt, investieren Regierungsfonds in staatliche und staatlich garantierte Anlagen. Das Anlageuniversum von Prime-Fonds ist breiter gefächert; es umfasst auch Anleihen von Unternehmen, einschließlich solcher aus dem Finanzsektor. Bei Regierungsfonds bleibt der Nettoinventarwert (NIW) wie vor der Finanzkrise konstant bei 1,00 US-Dollar, aber institutionelle Prime-Fonds haben jetzt einen variablen NAV.

Und in Europa?

Mulley: In Europa werden die Fonds in vier Kategorien eingeteilt: konstanter Nettoinventarwert bei öffentlichen Anleihen (CNAV), Nettoinventarwert bei geringer Volatilität (LVNAV), kurzfristiger variabler Nettoinventarwert (kurzfristiger VNAV) und Standard-VNAV. Die erste Kategorie - Public Debt CNAV - ähnelt den US-Regierungsfonds, während LVNAVs den Prime-Fonds ähneln, die in Staats- und Unternehmensemittenten investieren. Die Standard-VNAV-Fonds sind hinsichtlich ihres investierbaren Universums ebenfalls mit Prime-Fonds vergleichbar, allerdings variiert der NAV auf der Grundlage des täglichen Marktwerts der Wertpapiere, in die der Fonds investiert. Das zweite Unterscheidungsmerkmal von Geldmarktfonds ist weniger technischer als vielmehr anlageorientierter Natur: die Rendite. Die Rendite wird zum Teil von der Fondskategorie bestimmt, da sie von der Rendite der zugrunde liegenden Instrumente abhängt, spiegelt jedoch innerhalb jeder Kategorie die Durationsvorstellungen der Geldmanager und die Kreditauswahl wider.

Können sie das genauer erklären?

Mulley: Die Durationsvorstellungen zeigen sich in der Regel in der gewichteten durchschnittlichen Laufzeit (WAM) eines Geldmarktfonds, und es ist üblich, dass alle Fonds einer bestimmten Kategorie eine ähnliche Duration aufweisen. Wie das Jahr 2022 gezeigt hat, können der Zeitpunkt und die Umsetzung von Durationsansichten jedoch zu Performance-Divergenzen führen, insbesondere wenn sich die Form der Renditekurve ändert. Ein Anlageverwalter, der beispielsweise eine deutsche Staatsanleihe mit einer Laufzeit von einem Jahr kaufte, die am 1. Januar 2022 eine Rendite von minus 0,6 Prozent abwarf, hätte schlechter abgeschnitten als ein Anlageverwalter, der in ein auf Euro lautendes, variabel verzinsliches Instrument investierte, das von der 2,5 prozentigen Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank im vergangenen Jahr profitiert hat.

 

 

 

Im Gegensatz dazu kann die Kreditauswahl in allen Phasen eines Anlagezyklus unabhängig vom geldpolitischen und zinspolitischen Hintergrund zu einer Leistungsdifferenzierung führen. Wir sind der Ansicht, dass Geldverwalter, die die Hauptmerkmale eines Geldmarktfonds – Kapitalerhalt und Liquidität – durch ein diversifiziertes Engagement in qualitativ hochwertigen Anlagen in den Vordergrund stellen, tendenziell besser abschneiden als Fonds, die auf der Suche nach höheren Renditen Kompromisse bei der Stabilität eingehen. Anders ausgedrückt: Wir sind der Meinung, dass "konservative" Fonds mit diversifizierten Engagements tendenziell bessere Geldmarktfondslösungen sind als solche, die kurzfristig eine hohe Performance aufweisen.

Aktuell werden knapp fünf Billionen Dollar in US-Geldmarktpapieren gehalten, ungefähr so viel wie zu Beginn der Covid-Krise Anfang 2020, wie wird es weitergehen?

Mulley: Die Entwicklung des Marktes ist höchst ungewiss und schwer vorhersehbar, wird aber in der Regel von zwei wesentlichen Kräften bestimmt: der Stimmung der Anleger und dem regulatorischen Umfeld. Die Anlegerstimmung steht in der Regel in einem umgekehrten Verhältnis zur Vorliebe für Bargeld. Seit dem Ausbruch der Pandemie im Jahr 2020 hat eine Vielzahl von makroökonomischen Faktoren – darunter eine starke, aber kurzlebige Rezession, gefolgt von einer aggressiven Straffung der Geldpolitik zur Bekämpfung der Inflation und dem Ausbruch des Krieges in Europa - die Anleger dazu veranlasst, Stabilität in Bargeld zu suchen.

Und wie wird es weitergehen?

Mulley: Für 2023 erwarten wir, dass einige, aber nicht alle Widrigkeiten des Jahres 2022 nachlassen werden. Das Wachstum verlangsamt sich, aber das gilt auch für die Inflation und das Tempo der geldpolitischen Straffung. Infolgedessen könnten die Barbestände und Geldmarktfondsbestände in den kommenden Monaten ihren Höchststand erreichen. Eine Verringerung der Bilanzsumme der US-Notenbank könnte auch die Bestände an Geldmarktpapieren dämpfen.