Dem Ausspruch von Nobelpreisträger Harry Markovitz folgend ist Diversifikation das einzige „free lunch“ bei der Kapitalanlage. Es sieht danach aus, dass dieses kostenlose Mittagessen im Jahr 2022 gestrichen worden wäre. Denn die traditionellen Methoden der Diversifikation sind an ihre Grenzen gestoßen, als die beiden wichtigsten Anlageklassen – Aktien und Anleihen – zeitgleich unter Druck gerieten. Für Anleger markiert dieses Phänomen einen Umbruch. Sie müssen nun Wege finden, mit der neuen Realität umzugehen.
Zunächst ein Blick zurück: Seit der globalen Finanzkrise haben Anleger mehrere Perioden schwerer Marktturbulenzen erlebt – insbesondere die europäische Staatsschuldenkrisen, die als „Taper Tantrum“ bekannte Übersteuerung in der geldpolitischen Straffung in den USA und schließlich die Turbulenzen zum Beginn der Covid-19-Pandemie. Glücklicherweise erwiesen sich die heftigen Rückgänge jedes Mal als vorübergehend, und der Aufwärtstrend bei Aktien und Anleihen setzte bald wieder ein.
Die Grenzen traditioneller Methoden
Da sich zahlreiche Anlageklassen seit 2009 im Gleichschritt positiv entwickelten, erfüllten die meisten Multi-Asset-Ansätze – darunter auch das traditionelle 60/40-Portfolio – weitgehend die langfristigen Renditeziele der Anleger. Aufgrund des überwiegend positiven Umfelds in den 2010er-Jahren wurde zudem die Diversifikation der Portfolios, die ein Hauptmerkmal von Multi-Asset-Lösungen ist, nur selten auf die Probe gestellt.
Im vergangenen Jahr war dann allerdings einiges anders. Als aggressive Maßnahmen der Zentralbanken zur Eindämmung der Inflation die Märkte erneut in Turbulenzen brachten, erwiesen sich die traditionellen Methoden der Diversifikation auf einmal als nicht mehr ausreichend.
Zuvor waren festverzinsliche Wertpapiere traditionell das von Anlegern bevorzugte Instrument, um Abwärtsbewegungen am Aktienmarkt auszugleichen oder wenigstens abzumildern. Doch genau darauf konnten sich viele Anleger nicht mehr verlassen, als Aktien und Anleihen während des größten Teils des Jahres 2022 gleichzeitig aggressiv verkauft wurden. Bis zum Jahresende hatten Anleihen das schlimmste Jahr in der Geschichte erlebt, während die meisten großen Aktienmärkte ebenfalls deutlich im Minus lagen.
Was viele Investoren überrascht hat, ist eigentlich keine neue Erkenntnis: Die traditionelle Diversifikation kann Anleger aus unserer Sicht schon seit Längerem nicht mehr in dem Maße schützen wie früher. Als die Korrelation der beiden wichtigsten Anlageklassen im vergangenen Jahr ihren perfekten Sturm erlebt hat, war dies nur eine schmerzhafte Erinnerung daran.
Wie Anleger reagieren können
Was also können Anleger tun, um eine Form und ein Maß an Diversifikation zu erreichen, die auch in Krisenzeiten wirksamen Schutz gegen Turbulenzen bietet? Entscheidend ist eine Veränderung der Perspektive. Wir sind davon überzeugt, dass es bei der Diversifikation nicht einfach darum geht, in zahlreiche Anlageklassen zu investieren, sondern vielmehr darum, eine ausreichend große Anzahl verschiedener Renditetreiber – also Risikoprämien – an den Märkten zu identifizieren, die miteinander nicht korreliert sind, und zwar in verschiedensten Marktbedingungen und nicht nur in Schönwetterperioden. Anleger müssen also zunächst einmal raus aus der üblichen Schubladendenke.
Der Grundgedanke dahinter ist, dass man als Anleger nicht für die Allokation von Kapital in eine bestimmte Anlageklasse entlohnt wird, sondern für die Übernahme spezifischer Risiken. Hat man sich erst einmal mit der Perspektive angefreundet, in Risikoprämien statt in Assetklassen zu denken, müssen die für ein Investment infrage kommenden Renditetreiber ausgewählt und so ausbalanciert werden, dass sie sich gegenseitig ergänzen und in verschiedensten Marktumgebungen einen Mehrwert für Anleger bieten können.
Die ausgewählten Renditetreiber sollten sowohl zyklischer als auch antizyklischer Natur sein und außerdem über diverse Anlageklassen und unterschiedliche Arten von Investmentstrategien verteilt sein. In einigen unserer Anlagelösungen verbinden wir beispielsweise sechs unterschiedliche Anlagestrategien und kombinieren damit insgesamt 20-30 unterschiedliche Risikoprämien, um bestmögliche Diversifikation zu erreichen.
Die Kombination einer großen Bandbreite von Risikoprämien ermöglicht es den Portfoliomanagern, die Palette der Möglichkeiten zu erweitern und Zugang zu diversifizierten Renditequellen zu haben. Ziel: Eine höhere Rendite bei geringerem Risiko.
Harte Arbeit, die sich auszahlt
Sobald man das Verhalten der einzelnen Risikoprämien verstanden hat, werden sie unterteilt in „risk on“ (gleich hohe Korrelation zum Aktien-Beta) und „risk off“ (negative Korrelation zum Aktien-Beta in angespannten Marktumgebungen) und direktionalere Strategien, bei denen das Beta im Laufe der Zeit variieren kann. Hierbei ist es wichtig, die erwartete Rendite, die Korrelation und die Volatilität jeder einzelnen Risikoprämie akribisch zu untersuchen. Analysen, die genau auf diesen Zweck abzielen, helfen dabei, den Anlageprozess effizient zu steuern und die laufende Überwachung des Portfolios zu gewährleisten.
Ein wichtiges Element, das es ebenfalls zu berücksichtigen gilt, ist der Grad der Diversifikation, den jede einzelne Risikoprämie in das Portfolio einbringt. So werden verschiedene Korrelationsanalysen verwendet, um die Abhängigkeit des Portfolios von einzelnen Risikoprämien aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten und sicherzustellen, dass das Portfolio einer „wahren Diversifikation“ unterliegt. Diese Untersuchungen kosten Zeit und sind weit davon entfernt, ein „free lunch“ zu sein: Von der sorgfältigen Erforschung einer Risikoprämie bis zur vollständigen Implementierung ins Portfolio kann es auch schon einmal mehr als ein Jahr lang dauern.
Das Ergebnis der harten Arbeit ist allerdings lohnend, denn die umfassende Erforschung einzelner Risikoprämien und ihrer Zusammenhänge ermöglicht es am Ende auch, durch eine gezielte Steuerung der Allokationen Anlagestrategien auf unterschiedliche Risikoneigungen zuzuschneiden und mit erwarteten Maximalvolatilitäten in Stressphasen zu kennzeichnen.
So elaboriert dieser Ansatz ist, so wichtig ist es zugleich, die Einzeltitel nach bekannten Faktoren wie Bewertung, Qualität oder Momentum zu analysieren – um nur einige zu nennen – letztlich mit dem übergeordneten Ziel, auch in dieser Hinsicht ein hohes Maß an Diversifizierung aufrechtzuerhalten und gleichzeitig von Markttrends und Marktineffizienzen zu profitieren. Der Leitgedanke sollte dabei stets sein, die Attraktivität verschiedener Risikoprämien im Hinblick auf ihr Risiko-Rendite-Profil sowie die Korrelationsvorteile, die sie im gesamten Portfoliokontext bieten können, zu bewerten. Auf diese Weise können Anleger eine neue Qualität an Diversifikation erreichen, die mit vielen herkömmlichen Multi-Asset-Konzepten nicht erreichbar wäre.
Währungen und stabile Aktien im Portfolio
In der konkreten Umsetzung im Portfolio kann dies zum Beispiel bedeuten, als Alternative zu klassischen Staatsanleihen beispielsweise währungsbezogene Risikoprämien zu nutzen. Attraktiv bewertete Währungen können schließlich erfreulich defensive Eigenschaften bieten – das einfachste Beispiel ist der japanische Yen gegenüber dem Euro.
Ein weiteres Beispiel können stabile und risikoarme Aktien sein. Solche Titel haben in den vergangenen Monaten bewiesen, dass sie in Zeiten erhöhter Volatilität – aber auch in Zeiten erhöhter Inflation – gute Ergebnisse bringen können. Stabile, qualitativ hochwertige und attraktiv bewertete Unternehmen sind naturgemäß weitaus besser in der Lage, sich in diesem anhaltend schwierigen wirtschaftlichen Umfeld gut zu schlagen. Insbesondere suchen wir dabei nach Unternehmen mit Preissetzungsmacht, die in der Lage sind, inflationsbedingte Preissteigerungen weiterzugeben. Aus unserer Sicht ist dies nicht nur im aktuellen Umfeld eine wertvolle Eigenschaft, sondern auch ein äußerst attraktiver Baustein für Portfolios in den kommenden Monaten und Jahren.
Denn risikobehaftete Vermögenswerte mögen zwar einen starken Start ins Jahr 2023 hingelegt haben, doch dürften Phasen erhöhter Turbulenzen das Marktumfeld in absehbarer Zukunft prägen, da die Zentralbanken weiterhin die Zinsen anheben, um die Inflation abzukühlen, und der verheerende Krieg in der Ukraine weitertobt.
Unserer Ansicht nach werden Risikoprämien, die nur aus dem traditionellen Anlagebereich stammen, nicht ausreichen, um das immer komplexer werdende Marktumfeld zu meistern. Anleger müssen sich stärker auf alternative Risikoprämien konzentrieren, um ihre Portfolios wirksam zu diversifizieren – ohne Einbußen bei der Rendite.
Über den Autor
Asbjörn Trolle Hansen ist seit Anfang 2004 Head of Multi Asset bei Nordea Asset Management.