Rechtssicherheit, Rückwirkung & Co. Was man jetzt zur Hängepartie der Erbschaftsteuerreform wissen muss

Wolfram Theiss ist Rechtsanwalt und Partner der Rechtsanwaltskanzlei Noerr LLP

Wolfram Theiss ist Rechtsanwalt und Partner der Rechtsanwaltskanzlei Noerr LLP

Nach zähem Ringen ist es der Regierungskoalition gelungen, sich auf den Entwurf für ein Gesetz zur Reform der Erbschaftsteuer zu einigen. Während dieser Kompromissvorschlag auch vom Bundestag verabschiedet wurde, haben SPD, Grüne und Linke ihre Ankündigung wahrgemacht, dem Gesetz im Bundesrat nicht zuzustimmen.

Am 8. Juli 2016 hat der Bundesrat deshalb den Vermittlungsausschuss angerufen. Strittig sind zahlreiche wesentliche Aspekte des Gesetzes, bei der es um die Neujustierung der Privilegien für Unternehmensnachfolger geht. Angesichts der diametral entgegengesetzten Positionen der Parteien ist es höchst fraglich, ob im Vermittlungsausschuss überhaupt ein Einvernehmen erzielt werden kann.

Das Reformgesetz ist schon jetzt hochkomplex. Und zwar so sehr, dass es für Nachfolger, die ein Unternehmen von Todes wegen übertragen erhalten, unkalkulierbar wird, ob und in welcher Höhe sie überhaupt eine Verschonung auf das Betriebsvermögen erhalten.

Politische Ränkespiele

Vor diesem Hintergrund rufen zahlreiche Praktiker und Wissenschaftlicher, unter ihnen der Ifo-Präsident Clemens Fuest, dazu auf, innezuhalten, und nochmals darüber nachzudenken, ob es nicht sinnvoll wäre, die Erbschaftsteuer soweit wie irgend möglich zu vereinfachen. Laut Fuest wäre es die einfachste und gerechteste Lösung, eine Erbschaftsteuer von 8 Prozent auf alles zu erheben, wobei die persönlichen Freibeträge erhalten bleiben.

Hingegen verfolgt die Politik Fuest zufolge einen grundlegend falschen Ansatz. Die Kombination aus hohen Steuersätzen und Ausnahmen für Unternehmen könne nicht zu einer gerechten und wirtschaftlich tragbaren Erbschaftsteuer führen. Eben weil es so viele Ausnahmen in dem Erbschaftsteuerrecht gebe, bleibe die Gerechtigkeit auf der Strecke.

Andererseits ist die Erbschaftsteuer ohne Ausnahmen für Unternehmensnachfolger nicht tragbar. Dieser Flat-Tax-Überlegung hat die CSU aber bereits eine Absage erteilt, wohingegen die Grünen – zumindest vordergründig – einem solchen Ansatz nicht abgeneigt sind.

Flat-Tax-Überlegungen

Jenseits aller politischen Ränkespiele hätte diese Flat-Tax für Unternehmensnachfolger insbesondere den Vorteil, dass über ihnen nicht mehr das Damoklesschwert einer unternehmensvernichtenden Erbschaftsteuer schweben würde.

Obwohl im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat schwierigste Verhandlungen zu erwarten sind, zeigt sich der Ausschussvorsitzende  Johann Wadephul (CDU) zuversichtlich, dass in diesem Gremium rasch eine Einigung gelingt. Deshalb sieht er auch nicht die Notwendigkeit, dass der Vermittlungssauschuss kurzfristig zusammentritt.

Ganz anders sieht das hingegen das  Bundesverfassungsgericht. Bekanntlich hätte der Gesetzgeber nach der Anordnung des Bundesverfassungsgerichts die Erbschaftssteuer bis zum 30. Juni 2016 reformieren und das entsprechende Gesetz in Kraft setzen müssen.

Da dies nicht geschehen ist, hat der Vorsitzende des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, die Bundesregierung, den Bundestag und den Bundesrat mit Schreiben vom 12. Juli 2016 nun darüber informiert, dass sich sein Senat nach der Sommerpause Ende September mit dem weiteren Vorgehen in dem Normenkontrollverfahren um das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz befassen wird.

Bundesverfassungsgericht kein Notgesetzgeber

Damit macht das Bundesverfassungsgericht sehr deutlich, dass es keinesfalls bereit ist, weitere Verzögerungen bei der Umsetzung der Reform des Erbschaftsteuergesetzes hinzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht könnte auf Grundlage des § 35 BVerfGG die Frist zur Reform des Erbschaftsteuergesetzes über den 30. Juni 2016 hinaus verlängern.

Gegebenenfalls könnte es aber auch anordnen, dass danach keine Erbschaftsteuer mehr erhoben werden darf. Allerdings darf das Bundesverfassungsgericht nicht als „Notgesetzgeber auf Zeit“ etwa verfügen, dass das Erbschaftsteuergesetz unter isoliertem Wegfall der Verschonungsregelungen für das Betriebsvermögen fortgilt.
 
Wie soll sich vor diesem Hintergrund nun ein Unternehmer oder Unternehmensnachfolger mit Blick auf die geplante Übertragung von Betriebsvermögen in der Zeit bis zum Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes verhalten? Angesichts der Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts  ist davon auszugehen, dass das (verfassungswidrige) Erbschaftsteuergesetz über den 30. Juni 2016 hinaus fortgilt.

Demgemäß könnten Unternehmer und dessen Nachfolger auf der Grundlage des fortgeltenden Erbschaftsteuergesetzes Übertragungen vornehmen. Allerdings: Das von dem Bundestag verabschiedete Reformgesetz zur Erbschaftsteuer bestimmt derzeit, dass es auf alle Übertragungen anzuwenden ist, deren Steuer nach dem 30. Juni 2016 entsteht.