Reaktionen und Einschätzungen Das sagen Volkswirte zu Russlands Einmarsch in die Ukraine

Russische Militärfahrzeuge passieren am Donnerstagmorgen einen Polizeiposten auf der nördlichen Krim

Russische Militärfahrzeuge passieren am Donnerstagmorgen einen Polizeiposten auf der nördlichen Krim: Russland greift mehrere Ziele in der Ukraine an und verunsichert damit die Welt und die Märkte. Foto: Imago Images / ITAR-TASS

Die Befürchtungen um einen Krieg in der Ukraine scheinen sich zu bewahrheiten: Das russische Militär greift wohl Ziele in der ganzen Ukraine an, auch russische Bodentruppen sollen die Grenzen an unterschiedlichen Stellen überquert haben. Russlands Präsident Wladimir Putin hat damit die internationale Gemeinschaft und die Finanzmärkte in einen Schockzustand versetzt. So fiel der Dax beispielsweise unter die Marke von 14.000 Punkten, die Rohstoffpreise wie beispielsweise bei Öl und Gold stiegen sprunghaft an.

Bereits in den vergangenen Tagen hatten Deutschland, die USA und weitere Länder Sanktionen gegen Russland erlassen. Nun dürfte sich die Situation nochmals verschärfen, schreiben auch die Volkswirte aus dem Private-Banking-Research von Hauck Aufhäuser Lampe

„Es dürften nun sehr schnell weitere Sanktionen gegen Russland auf den Weg gebracht werden. Größte Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer dürfte dabei auf der Art der Sanktionen liegen. Ein Ausschluss Russlands aus dem Zahlungsverkehr Swift dürfte eine der stärksten Waffen im Sanktions-Arsenal sein, mit jedoch auch negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft im Westen. Dies könnte die Volatilität an den Märkten nochmals verschärfen.“

Auch die Berenberg-Volkswirte Holger Schmiedung und Kallum Pickering gaben eine erste Einschätzung zu den Risiken des Konflikts ab. Dabei setzen sie voraus, dass Russland keine Nato-Mitglieder angreift. Schließlich habe das selbst die Sowjetunion nie getan: 

„Erstens könnte der Anstieg der Unsicherheit einen großen Schock für die Aktien- und andere Risikomärkte wie den Kreditmarkt bedeuten. Zweitens könnte die europäische Wirtschaft einen erheblichen Rückschlag erleiden. Negative Schocks für das Unternehmens- und Verbrauchervertrauen sowie noch höhere Energiepreise und damit eine höhere Inflation würden das Wachstum in nächster Zeit dämpfen. Drittens könnten die Märkte sogar befürchten, dass die Zentralbanken – insbesondere die Fed – in einer derartigen Situation der Unsicherheit auf eine erhöhte Inflation überreagieren könnten. Diese Befürchtungen wären wahrscheinlich verfrüht. Ob eine Zentralbank lediglich den Fuß vom Gaspedal genommen oder zu stark auf die Bremse getreten hat, zeigt sich in der Regel erst gegen Ende und nicht schon zu Beginn eines Zinserhöhungszyklus. Stattdessen würden westliche Zentralbanken notfalls intervenieren, um sicherzustellen, dass die Geld- und Kreditmärkte ausreichend reibungslos funktionieren.“

Die Berenberg-Analysten verweisen zudem auf China, dessen Reaktion ebenfalls entscheidend für die Entwicklung des Konflikts sein könnte. Ebenso sieht es Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel. Auch die Reaktion des Westens bestimme über die kommenden Auswirkungen: 

„Die wichtigste Frage ist, ob es durch Sanktionen zu einem Abschneiden Russlands vom internationalen Zahlungsverkehr und folglich möglicherweise zu einer Einstellung von Erdgaslieferungen kommen könnte. In diesem Fall wären Zahlungsausfälle russischer Schuldner mit Rückwirkungen auf einzelne Banken oder Gläubiger in Europa und weiter steigende Energiepreise wahrscheinlich. Da der Winter bisher relativ mild verlief, ist trotz relativ gering gefüllter Erdgaslager in Europa zunächst nicht mit Rationierungen zu rechnen. Noch ist die Lage zu unübersichtlich, um sich neu zu positionieren. In der Vergangenheit haben kriegerische Auseinandersetzungen zumeist nur kurzfristige Rücksetzer an den Aktienmärkten zur Folge gehabt. Allerdings ist noch nicht absehbar, wie tief die Kurse tatsächlich rutschen können. Solange nicht der Umfang des russischen Vormarsches und das Ausmaß der Sanktionen klar sind, sollten sich Anleger jedoch zurückhalten.“

Die Bethmann Bank und ihre Mutter ABN Amro veröffentlichten bereits gestern erste Einschätzungen zu dem Konflikt und verwiesen auf die verschiedene Wirkweise verschiedener Sanktionen. So schreiben die Bethmann- und ABN-Amro-Ökonomen rund um Hans van Cleef

„In dieser Hinsicht gibt es einen großen Unterschied zwischen Sanktionen, die auf Finanzsysteme abzielen, und solchen, die auf Öl- und Gaslieferanten und die Wartung abzielen. Andere Alternativen sind Sanktionen gegen die Lieferung von Chips oder anderen wichtigen Komponenten, die von der russischen IT und dem Militär verwendet werden. Da noch nicht klar ist, wie die Sanktionen aussehen werden und wie Russland darauf reagieren würde, wäre es zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation, was die langfristigen Auswirkungen sein könnten.“

Ebenfalls bereits gestern gab Norbert Frey, Leiter des Fondsmanagement bei der Fürst Fugger Privatbank, eine Einschätzung ab. Allerdings hatte Russland da noch nicht Ziele in der ganzen Ukraine angegriffen: 

„Wir rechnen in den nächsten Tagen und Wochen mit einem Anstieg der Volatilität, die den Anlegern gute Nerven abverlangen wird. Wir werden dabei eine Flucht in vermeintlich sichere Staatsanleihen, Gold und vor allem Cash sehen – wenigstens vorübergehend. Am Ende ist es eine politische Krise. Ein Blick in die Börsenhistorie zeigt, dass politische Börsen kurze Beine haben. Mittelfristig bleibt die Inflation der größte Unsicherheitsfaktor. Steigen infolge des Konflikts mit Russland die Gas- und Ölpreise, wird das die Inflation weiter anheizen. Wir halten Preise von über 100 US-Dollar je Barrel Rohöl für vorstellbar. Auch der Goldpreis dürfte sich bei einer Zuspitzung der Ukraine-Krise stärker entwickeln.“

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