Europa Ralf Zimmermann: Die Ergebnisse des jüngsten EU-Gipfels

Ralf Zimmermann, Döttinger / Straubinger

Ralf Zimmermann, Döttinger / Straubinger

Ein weiterer EU-Gipfel liegt hinter uns. Beschlossen wurden – zunächst einmal – hehre Absichtserklärungen. Die Umsetzungsrisiken werden sich aber immer wieder in den Vordergrund schieben. Auch wird die EZB dem Markt noch nicht die von vielen erhoffte Panzerfaust („Bazooka“) zeigen.

Es ist noch zu früh, deutlich das Aktienrisiko zu erhöhen. Bis auf Weiteres bleibt es bei einem taktischen Oszillieren innerhalb einer moderaten Risikoquote.

Zu den Maßnahmen im einzelnen:

Fiskalpakt, noch keine Fiskalunion: Im Kern haben sich die Regierungschefs (ohne Großbritannien) auf eine moderatere Variante der deutschen Schuldenbremse geeinigt. In den nationalen Verfassungen soll verankert werden, dass das strukturelle, d.h. das konjunkturunabhängige Defizit nicht 0,5% übersteigen soll (in Deutschland: 0.35%). Übermäßige Defizite sind demnach regelgebunden zurückzuführen. Im Ergebnis bedeutet dies – sofern umgesetzt – einen Fiskalpakt, aber keine Fiskalunion. Die nationale fiskalische Souveränität bleibt bestehen, direkte Zugriffsmöglichkeiten auf die nationalen Haushalte sind nicht vorgesehen. Eurobonds, die als risiko-nivellierendes Gegenstück einer Fiskalunion zu sehen sind, gehen mit dem Gipfel also noch nicht einher.

Ökonomisch ist die Schuldenbremse zu begrüßen, vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen ist dieses Kernstück aber zunächst nur eine politische Absichtserklärung. Es bestehen erhebliche Umsetzungsrisiken, da in allen Ländern zumindest die nationalen Parlamente zustimmen müssen – in Irland möglicherweise sogar das Volk. Der französische Präsident ist mit diesem Vorhaben in diesem Jahr schon einmal an der sozialistischen Opposition gescheitert. In vielen Ländern bestehen beträchtliche Widerstände, zum einen gegen das „Spardiktat“, zum anderen gegen den teilweisen Verzicht auf Souveränität, und schließlich gegen eine Reihe von anderen Einzelmaßnahmen. Die Anleger werden also längere Zeit nicht wissen, ob diese Regeln auch umgesetzt werden – abgesehen davon, ob Regelbruch dann überhaupt wirksam sanktioniert werden wird.

Keine EZB-Panzerfaust: Diese Unsicherheit über die fiskalische Solidität betrifft nicht nur die Investoren, sondern vor allem auch die EZB. Das ist bedeutsam, weil viele Marktteilnehmer auf die berühmte Panzerfaust der EZB hoffen, also die Ankündigung, unlimitiert Staatsanleihen bedrohter Länder zu kaufen. Dieser Hoffnung verpasste Draghi auf seiner Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag einen Dämpfer. Und in der Tat ist es zunächst unwahrscheinlich, dass die EZB den Druck des Rentenmarktes auf die Politik deutlich herausnehmen wird. Es sind allein die Warnschüsse der Rentenanleger, die die Umsetzung der EU-Beschlüsse und weiterer Reformen begünstigt.

Höhere Finanzkraft über IWF-Beteiligung? Unsicherheit bleibt: Der jetzige „gehebelte“ Rettungsfonds EFSF soll wie geplant starten – allerdings wird die Feuerkraft durch die wohl anstehende Herabstufung von Frankreich bedroht (siehe auch unseren Kommentar vom 6. Dezember). Der künftige Rettungsfonds ESM soll um ein Jahr auf Juli 2012 nach vorne gezogen werden. Eine Erhöhung des Volumens von Euro 500 Mrd. ist bislang nicht geplant, soll aber im Frühjahr 2012 geprüft werden. Das wohl wichtigste Element des Gipfels – und wohl der Grund für den Kursanstieg am Freitag – ist die Absicht der EU, die Mittel für den IWF um Euro 200 Mrd. zu erhöhen, davon sollen Euro 150 Mrd. von der Eurozone kommen. Von Drittstaaten sollen weitere Euro 100 Mrd. kommen. In der Summe könnte dies – auf den ersten Blick – reichen, den anstehenden gewaltigen Finanzierungsbedarf von Italien und Spanien zu decken. Allerdings ist auch hier die Unsicherheit hoch:

Wie funktionsfähig ist eine „Hebellösung“ (Kern des jetzigen Rettungsfonds EFSF) überhaupt noch, wenn die Ratingagenturen Frankreich herabstufen? Die EFSF-Anleihen werden dann keine AAA-Note mehr erhalten, wie bislang noch vorgesehen. Die Risikonivellierung zwischen Italien/Spanien und dem bisherigen AAA-bewerteten Kern wird entsprechend geringer ausfallen. Oder anders formuliert: Die Hilfen des Euro-Kerns für die Euro-Peripherie werden teurer.

Über den höheren Beitrag zum IWF beginnt bereits jetzt der Streit. Die US-Regierung hat am Wochenende verdeutlicht, dies sei im Wesentlichen eine europäische Angelegenheit, und will keine zusätzlichen Mittel bereitstellen. Wenn große Drittstaaten nicht zahlen, kann dies die Einigung in der Eurozone erschweren. Der deutsche Beitrag soll darin bestehen, dass die Bundesbank Währungsreserven (möglicherweise auch Gold) in Höhe von Euro 45 Mrd. an den IWF überträgt. Allerdings soll der Deutsche Bundestag darüber abstimmen und die damit einhergehende Erhöhung des Risikos für Deutschland absegnen. Das Ende Oktober abgegebene Versprechen der deutschen Regierung, den bisherigen Garantierahmen von Euro 211 Mrd. nicht zu überschreiten, klingt noch im Ohr … Eine brisante ungeklärte Frage ist auch: Leisten die großen Hilfekandidaten Italien und Spanien auch einen Beitrag? Wenn ja – was wahrscheinlich ist –, mindert dies natürlich den Gesamtwert des Beitrags.

Der künftige Rettungsfonds ESM: Erneut „Ja, aber …“ aus der Sicht des Kapitalmarktes

Positiv aus Kapitalmarktsicht ist: Die Privaten sollen nach dem Willen der Regierungschefs künftig nicht mehr beteiligt werden, wenn ein Land Hilfen vom ESM beantragt. Dies bedeutet eine Wende um 180 Grad insbesondere der deutschen Politik. Die ursprüngliche Regelung, die Privaten innerhalb des ESM-Regimes über einen Schuldenschnitt an künftigen staatlichen Hilfen mit zu beteiligen, hat sicher die Sensibilisierung für das Risiko der Euro-Peripherie erhöht. Insofern könnten sich mit dieser Neuregelung die unmittelbaren Risiken für Portugal verringern, nach Griechenland den offensichtlichsten Kandidaten für einen Schuldenschnitt. Und in der Tat ist die portugiesische Zinskurve (Zinsen auf 10-jährige Anleihen minus Zinsen auf 2-Jährige) als Indikator für eine unmittelbare „Rasur“ weniger negativ als noch Anfang November. Aber es gilt unverändert: Über die Kreditwürdigkeit entscheiden letztlich die Fundamentaldaten. ESM-Kredite erhalten dieselbe Hierarchiestufe wie IWF-Kredite, sie sind also vorrangig vor privaten Ansprüchen. Private werden nüchtern die Schuldentragfähigkeit analysieren und die Risiken eines Kaufs portugiesischer oder anderer Anleihen wohl abzuwägen wissen – zumal es im Zusammenhang mit IWF-Krediten immer wieder auch private Umschuldungen gegeben hat.

Aus der Sicht des Marktes ist negativ: Der ESM erhält keine Banklizenz. Damit hätte sich der Rettungsfonds ungehindert über die EZB refinanzieren können, was eine indirekte Staatsfinanzierung durch die Notenbank bedeuten würde. Nun bleibt es dabei, dass er den – unbequemen – Weg über den Kapitalmarkt und die Emission von Anleihen beschreiten muss.

Darüber hinaus zeigt der ESM, wie hoch die Risiken der kommenden politischen Abstimmungsprozesse und die mögliche Verwässerung der Maßnahmen sind. Nach den Gipfel-Beschlüssen werden Hilfsentscheidungen des ESM mit einer qualifizierten Mehrheit von 85% getroffen. Damit haben große Länder wie Deutschland oder Frankreich ein Vetorecht. Notorische „Wackelkandidaten“ wie die kleinen Länder Finnland oder Slowakei haben dies nicht. Finnland hat daraufhin bereits angedroht, sich vom ESM zurückzuziehen, sollte diese Mehrheitsregel nicht aufgegeben werden.

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