Rahmendaten Schwellenländer Kapitalabflüsse bringen EM-Notenbanker in Zwickmühle

Willem Verhagen, Senior Economist ING IM

Willem Verhagen, Senior Economist ING IM

Ein stagnierendes Wachstum und sinkende Leitzinsen haben die Erträge in den entwickelten Ländern einbrechen lassen. Anleger drängten in der Hoffnung auf höhere Renditen in die Emerging Markets. Infolgedessen stiegen dort die Asset- und Devisenkurse, was in mehreren Ländern zu einem rapiden Kreditwachstum führte. Die Kehrseite dieser Entwicklung war ein Anstieg der Leistungsbilanzdefizite, die internationale Investoren aber offenbar nur zu gerne finanzierten. Das liegt vor allem daran, dass schon die Erwartungen an die künftige Preis- und Devisenkursentwicklung tendenziell eine Eigendynamik entwickeln.

Kapitalzuflüsse in dieser Größenordnung führen zu einer von innen getriebenen Verbesserung der heimischen Bilanzen. Der Wert des im Privatsektor gehaltenen Vermögens steigt möglicherweise schneller als die Verschuldung. Zugleich sieht die Zahlungsfähigkeit besser aus als sie ist, denn der Kreditboom drückt das Wachstum letztlich auf ein unhaltbares Niveau. Jeder geldpolitische Versuch, dieses Wachstum zu zügeln, könnte sich jetzt als „Bumerang“ erweisen – denn höhere Leitzinsen ziehen nur noch mehr Kapital an.

Notenbanker in der Zwickmühle

Volkswirtschaftliche Modelle beschreiben diesen Anstieg der Vermögenspreise als stabilisierende Kraft. Bewertungen werden ab einem bestimmten Punkt so unattraktiv, dass der Kapitalzufluss versiegt. Die Praxis kennt eine solche Bewertungsobergrenze allerdings nicht. Vermögenspreise können über sehr lange Zeit steigen. Ist die „Party“ dann vorbei, zeigt sich alsbald, dass es umgekehrt auch keine Bewertungsuntergrenze gibt.

Der vor einem Jahr einsetzende Anstieg der voraussichtlichen Renditen, die Anleger in den entwickelten Märkten erzielen können, hat die starken Kapitalzuflüsse in die Schwellenländer allmählich versiegen lassen. Nun sehen sich deren Notenbanker abermals in der Zwickmühle: Straffen sie die Geldpolitik nicht, könnte sich der Kapitalabfluss beschleunigen und die Entwicklung der Wechselkurse in eine Negativspirale geraten. Die Vermögenswerte fallen, während der nominale Schuldenstand unverändert bleibt. Gleichzeitig nimmt der Pessimismus im Hinblick auf Wachstums- und Solvenzaussichten zu und schafft für das jeweilige Land bittere Realitäten.

Kapitalabflüsse schwächen Rahmendaten

Hinzu kommt, dass der rasante Wertverfall zu einem rapiden Anstieg der Inflation beziehungsweise der Inflationserwartungen führen könnte. Um diese im Griff zu haben, müsste die Geldpolitik über einen längeren Zeitraum straff bleiben, als dies bei anhaltend stabilen Erwartungen der Fall wäre. Massive Kapitalabflüsse können daher einen sich selbst erfüllenden Prozess in Gang setzen, der die zugrunde liegenden Rahmendaten in den Emerging Markets erheblich schwächen würde. Und sind die Märkte erst einmal in Panik, dann bedarf es eines festen geldpolitischen Handelns, um diese Negativspirale zu durchbrechen.

Umgekehrt ist es allerdings auch gut nachzuvollziehen, warum eine geldpolitische Straffung für die Märkte nur schwer zu ertragen ist: Für eine Volkswirtschaft mit übermäßig hohem Schuldenstand ist eine solche Maßnahme wenig attraktiv. Steigende Zinsen sowie die damit einhergehende Verlangsamung des Wirtschaftswachstums bedeuten eine geringere Liquidität und üben darüber hinaus zunehmenden Druck zur Entschuldung aus. Allerdings erweist sich dies häufig als die weniger schmerzhafte Wahl – vor allem, wenn die Zentralbank sich rechtzeitig dem Abwertungsdruck widersetzt.

Anpassungsprozess erfolgreich eingeleitet

Aus der Erfahrung heraus wissen wir: Es sind insgesamt weniger Leitzinserhöhungen erforderlich, um den negativen Rückkopplungs-Mechanismus zu durchbrechen, je proaktiver die Währungshüter ihre Geldpolitik steuern. So besteht zumindest eine reelle Chance, dass die Straffung so allmählich verlaufen kann, dass die heimischen Marktakteure Zeit haben, sich darauf einzurichten. Andernfalls werden ihnen praktisch über Nacht drakonische Anpassungen aufgezwungen, wenn die Abwertungserwartungen aus dem Ruder laufen. Der wirtschaftliche Schaden ist dann weitaus höher und dauerhafter.

Erfreulich ist, dass es den Schwellenländern anscheinend gelungen ist, diesen allmählicheren Anpassungsprozess erfolgreich einzuleiten. Die Auflösung der EM-Ungleichgewichte wird die Weltwirtschaft daher nicht aus der Bahn werfen. Das größte Risiko besteht in einer erneuten Panik in den Emerging Markets, die beispielsweise durch einen Anstieg politischer beziehungsweise sozialer Unruhen ausgelöst werden könnte.

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