Die Lage in Russland Putins Rückkehr: Was ändert sich?

Nikolaus Görg

Nikolaus Görg

Erwartungsgemäß gibt es keine Überraschungen bei den russischen Präsidentschaftswahlen. Der amtierende Premier Putin wird sein neues/altes Amt antreten – aller Voraussicht nach mit einer Mehrheit von deutlich über 60 Prozent der abgegebenen Stimmen. Dennoch muss nicht alles beim Alten bleiben. Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen, dass der unter Putin/Medwedjew eingeleitete vorsichtige Reformkurs in der neuen Präsidentschaft sogar beschleunigt fortgesetzt werden sollte.

Die Popularität Putins innerhalb Russlands ist vor allem Folge der turbulenten zwei Dekaden vor seinem Amtsantritt. Die 80er Jahre waren geprägt vom Tode Breschnews und seiner beiden Nachfolger innerhalb kürzester Zeit sowie dem Aufstieg Gorbatschows. Die 90er brachten den Zerfall der Sowjetunion, den Putschversuch gegen Gorbatschow, die Rubelkrise und nicht zuletzt chaotische Privatisierungsversuche mit sich.

Putin als Stabilitätsgarant

Putin hat den Russen genau das gegeben, wonach sie gesucht haben: Stabilität. Er wurde stets – und nicht nur im Inland – als Garant für Stabilität gesehen. Solange die Gleichung „Putin = Stabilität“ galt, war Putin de facto unantastbar. Der stark steigende Ölpreis (zur Erinnerung: nur wenige Monate vor Putins erster Präsidentschaft von 2000-2004 lag der Ölpreis der Sorte Brent bei knapp 10 US-Dollar pro Barrel) tat sein Übriges. Durch den Anstieg wurden die enorm steigenden Sozialtransfers überhaupt erst möglich. Anfang 2000 betrug die Durchschnittspension knapp über 1000 RUB pro Monat, jetzt macht sie fast das Zehnfache aus (Quelle: Rosstat). Auch hat sich das BIP pro Kopf (gem. IWF, in Kaufkraftparitäten, US-Dollar) von 2000-2010 mehr als verdoppelt. 

Dennoch: Als Folge der Krise 2008/09 begann der Stern Putins zunächst langsam und seit Mitte 2010 schneller zu sinken. Die Popularitätswerte fielen ab diesem Zeitpunkt besonders rasant. Zeitlich fällt das ziemlich genau mit einer starken Nahrungsmittelpreisinflation einerseits sowie einem fiskalpolitischen Sparkurs andererseits zusammen. Die Entscheidung Putins, für das Präsidentenamt kandidieren und Medwedjew zu seinem Nachfolger als Premier ernennen zu wollen, erzeugte zusätzlichen Unmut. Sie führte nur wenige Monate später im Dezember 2011 zu einem überaus umstrittenen Ausgang der Parlamentswahlen: Die Putin-Medwedjew-Partei „Einiges Russland“ hatte die absolute Stimmenmehrheit verloren und konnte die Mandatsmehrheit nur knapp verteidigen. Seither dauern Protestbewegungen von noch nie dagewesenem Ausmaß an. 

 

Spätestens seit den Duma-Wahlen von 2011 war klar, dass nicht nur das Ausmaß der Zustimmung zurückging: Auch der Grad an Unzufriedenheit stieg an (der Prozentsatz derjenigen, die keine Angaben zur Zustimmung machen wollten, blieb über die Jahre konstant) und diese Stimmung spiegelte sich im Wahlergebnis wider. Das ist ein Alarmsignal für Putin, auch wenn er über höhere Popularitätswerte verfügt als die Partei „Einiges Russland“. Zum ersten Mal reicht es nicht mehr aus, nur Stabilitätsgarant zu sein. Unzufriedenheit wird offen geäußert, für Putin stellt sich das Legitimitätsthema. 

Ein Umstand ist dabei besonders kritisch für Putin: Meist nehmen Protestbewegungen für mehr Demokratie an höheren Bildungseinrichtungen ihren Ausgang. Dies war um den jüngsten Jahreswechsel nicht der Fall. Träger der Protestbewegungen waren vor allem Gruppen, die Putin politisch nicht ignorieren kann: Die Gruppe der 30–45-Jährigen und Vertreter höherer Einkommensschichten. Paradoxerweise ist gerade die Tatsache, dass die wachsende Mittelschicht natürlich auch andere Forderungen an eine Regierung und Staatsführung hat (mehr Teilnahme am politischen Prozess, Transparenz, Erleichterungen im Geschäftsleben, bessere Governance …), ein Erfolg der Putin-Ära. 

Dennoch scheint Putins Macht sicher – seine Stärke liegt natürlich auch zu einem Gutteil an der Schwäche der Opposition. Zu fragmentiert und unbedeutend agieren die wenigen zugelassenen Oppositionsbewegungen.

Erster Schritt: Korruptionsbekämpfung

Putin kennt das Potenzial für marktliberale Gedanken sehr gut. Er war aber auch Augenzeuge, wie Jelzin erst mit einer massiven Anti-Korruptions-Kampagne an die Macht kam. Das Thema „Korruption“ hat in Russland viel mehr Zugkraft als rein marktliberale Ideen. Insofern steckt hinter den Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen nicht notwendigerweise ein Gesinnungswandel, sondern Pragmatismus: Wenn er bei diesem Thema nicht glaubwürdig die Oberhand behält, muss er mit Schwierigkeiten rechnen. Insofern schenken wir diesen Bemühungen durchaus ein gewisses Maß an Glauben. Im Übrigen ist hier schon einiges auf den Weg gebracht worden – die Zahl der Verfahren gegen höhere Beamte wegen Bestechungsvorwürfen steigt seit 2009 deutlich an. Die schärfere Überwachung bei Ausschreibungen von Unternehmen im Staatsbesitz und deren Auftragsvergabe sollte sich auch positiv auswirken. 

Eine effizientere russische Wirtschaft ist notwendig. Die entscheidende Frage ist jedoch: Inwieweit kann und möchte Putin einen Wandel von der „managed democracy“ hin zu einer freieren Form auch vollziehen? Eine Erhöhung der Produktivität ist jedenfalls dringend not- wendig, weil die Kostenstruktur der öffentlichen Hand an den Ölpreis gekoppelt ist. Ein dauerhafter Fall des Ölpreises würde hohe Defizite in der öffentlichen Gebarung bedeuten. Insbesondere durch die Sozialtransfers bedarf es derzeit eines Ölpreises von rund 110 US-Dollar pro Barrel, damit der öffentliche Haushalt ausgeglichen ist. Kaum jemand hat die Volatilität des Ölpreises so schmerzlich erfahren müssen wie die Russen. In diesem Zusammenhang sind die Privatisierungsvorhaben zu sehen. Es geht dabei nicht nur um die Privatisierungserlöse, sondern in erster Linie um die Erhöhung der Produktivität der russischen Wirtschaft. 

Das Wahlergebnis mag vielleicht noch länger diskutiert werden. Das Legitimitätsthema sollte aber kein so großes werden wie bei den Duma-Wahlen im letzten Jahr. Der nächste entscheidende Schritt erfolgt, wenn Putin Anfang Mai seinen Premierminister (voraussichtlich Medwedjew) ernennt und dieser seine Regierungsmannschaft vorstellt. Erst dann wird man mehr Klarheit darüber haben, wie schnell oder langsam der Reformeifer tatsächlich seinen Niederschlag findet. 

 

Zur Person: Nikolaus Görg ist Investmentmanager bei der Wiener Privatbank Gutmann.

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