Proxy Voting Engagiert über Bande

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Ein Gebiet, auf dem die Deutschen durchaus Nachholbedarf haben, wie Hans-Christoph Hirt findet. Der Leiter des Aktionärs-Dienstleisters Hermes EOS mit Sitz in London stuft britische Kapitalsammelstellen im weltweiten Vergleich als Vorreiter ein: „Sie pflegen besonders enge Kontakte zu Unternehmen und ihren Führungskräften.“ Über kurz oder lang dürfe Deutschland aber nachziehen, meint Hirt mit Blick auf die neue Gesetzesinitiative. 

Abstimmungsempfehlungen für Hauptversammlungen zu geben und dort selbst als Redner aufzutreten, gehört für Hermes EOS zum täglichen Geschäft. So dürfte vielen Beobachtern der Auftritt auf dem Aktionärstreffen der Deutschen Bank vor fünf Jahren im Gedächtnis geblieben sein. Hirt forderte damals die Anleger auf, den von Jürgen Fitschen und Anshu Jain geführten Vorstand nicht zu entlasten. Mit Erfolg, denn die beiden Manager mussten ihren Posten räumen.

Doch auch abseits der Hauptversammlungen führen Hirt und seine Kollegen im Auftrag ihrer Kunden regelmäßig Gespräche mit Führungskräften – immer bemüht, „Veränderungen anzustoßen, die zur langfristigen Wertschöpfung beitragen“. Die Gespräche seien kritisch-konstruktiv. Wenn Aktionärsdienstleister wie Hermes EOS den Gedankenaustausch mit Vorständen und Aufsichtsräten suchen, können beide Seiten davon profitieren, meint Hirt: „Sie bekommen durch die Gespräche mit uns ein besseres Gefühl dafür, was Investoren von ihnen erwarten.“ Dass Großanleger sich mittels Dienstleister über Bande Einfluss ausüben, dürfte künftig im Trend liegen.

Aktuell stellt die Viruserkrankung Covid-19 aktive Anleger vor ganz neue Probleme. Einerseits verlegen zahlreiche Unternehmen ihre Hauptversammlung ins Internet und halten virtuelle Aktionärstreffen ab. Diesen Weg beschreitet zum Beispiel die Allianz. Das Unternehmen argumentiert: „Der Schutz der Bevölkerung vor einer Ansteckung mit dem neuartigen Corona-Virus ist einerseits eine absolut sinnvolle Entscheidung: Die Gesundheit geht vor, gleichzeitig wird mit der Hauptversammlung auch der Weg für die Ausschüttung der Dividende freigemacht.“ Auch das ist ein wichtiger Punkt aus Anlegersicht.

Nicht vergessen werden darf andererseits, dass die Corona-Krise Unternehmen vor existenzbedrohende Herausforderungen stellt: Lieferketten reißen, weil Zulieferer nicht mehr produzieren, Umsätze brechen weg, weil Abnehmer ausbleiben. Mehr und mehr Unternehmen geraten so unter Druck und rufen nach staatlicher Unterstützung, darunter die Lufthansa. Auf diese schwere Krise müssen kritische Anleger und Stimmrechtsberater Rücksicht nehmen, wie Hermes-EOS-Chef Hirt einräumt: „Es geht nun darum, die Prioritäten anders zu setzen und Themen wie die operative und finanzielle Stabilität der Unternehmen in den Vordergrund zu rücken, die am Ende des vergangenen Jahres nicht wie heute im Vordergrund standen.“

Großanleger, die im neuen Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechte-Richtlinie nur Arbeit sehen, sollten die Regulierung als Chance begreifen. Hermes-EOS-Chef Hirt zumindest ist fest davon überzeugt, dass Firmen, deren Anteilseigner sich in die Unternehmensführung einbringen, langfristig eine bessere Performance erzielen. Demnach sollte es sich lohnen.

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