Portfoliomanager zum Einsatz Künstlicher Intelligenz „Die KI kann schneller auf Marktereignisse und Verluste reagieren“

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Welche Chancen und Risiken für Anleger sehen Sie?

Günther: Am Anfang muss man sicherlich die Erwartungen der Anleger richtig managen und vor allem aufklären. Hier ist noch ein weiter Weg zu gehen, denn die Diskussion bleibt heute noch häufig auf Ebene der Schlagworte stecken. Anleger sollten außerdem hinterfragen, ob sich ein Fonds lediglich mit Vokabeln wie maschinelles Lernen und Big Data schmückt. Eine längere Historie kann aufzeigen, ob der Manager die neue Technologie von der Theorie in die Praxis überführen kann. Und was den Diversifikationseffekt angeht:  Basierend auf Daten unserer Arbeit, für die wir über einen Zeitraum von fünf Jahren rund 20.000 Transaktionen getätigt haben, können wir bestätigen, dass sich der Effekt zeigt. Die Korrelation mit anderen Asset-Klassen liegt bei Werten unter 0,2.

Hinkel: Eine KI-Strategie sollte zudem im Vergleich zu herkömmlichen Investments noch schneller und flexibler auf Marktereignisse und auftretende Verluste reagieren können. Vor allem in der Marktphase zu Jahresbeginn 2016, als insbesondere die Aktienmärkte schwierig waren, zeigte sich, dass eine solche Strategie genau diesen Ansprüchen gerecht werden kann.

Sie liefern aber auch nicht immer.

Hinkel: Genau. Dieses Jahr beispielsweise wurden auch Mal Schwächen offenbart. Bei der Berücksichtigung von KI-Strategien geht es für uns jedoch nicht um ein kurzfristiges, sondern strategisches Engagement. In der langen Frist sollte eine solche Strategie überzeugen. Schwächephasen sind vollkommen normal.

Herr Günther, wo sehen Sie Grenzen beim Einsatz von KI-Strategien?

Günther: Die Eigenschaften, die Herr Hinkel in Verlustphasen nennt, würde ich für unsere Strategie beanspruchen, da sie sowohl long als auch short investiert und sich entlang Markttrends oder auch Trendkorrekturen ausrichten kann. Klar ist aber auch: Dieses System analysiert zwar Wahrscheinlichkeiten und leitet daraus mögliche Kursentwicklungen ab. Gewissheit über zukünftige Entwicklungen kann es insbesondere am Finanzmarkt aber nicht geben. Daher kann auch eine KI-Strategie in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn der Algorithmus Marktereignisse eben anders interpretiert.

Ein Beispiel?

Günther: Unsere Strategie hat die Aktienmärkte während der Rally Ende 2017/Anfang 2018 als stark überkauft eingestuft und sich zurückgehalten. Ein herkömmliches, rein trendfolgendes Handelsmodell hätte hier dagegen sorglos zugegriffen – und damit tatsächlich Gewinne verbucht, bevor dann Anfang Februar die Marktkorrektur einsetzte. Ende Juli 2018 hat die Strategie dagegen den Sell-off im Nasdaq korrekt antizipiert und über eine Short-Position profitiert. Hier haben viele traditionelle Modelle vermutlich weniger schnell und flexibel reagiert.

Hinkel: Ich denke, dass es oftmals auch Marktphasen gibt, in denen der gesunde Menschenverstand wichtig ist. Denn auch wenn KI-Ansätze historische Entwicklungen und Zusammenhänge durch Algorithmen schnell erkennen und für sich nutzen können, fällt es ihnen schwer, Stilbrüche zu antizipieren. Auch politisch geprägte Börsen können nur bedingt von einer KI-Strategie abgegriffen werden.

Schlussfrage: Die deutsche Bundesregierung hat vor wenigen Wochen die Eckpunkte einer nationalen KI-Strategie beschlossen. Welche Erwartungen verbinden Sie damit?

Günther: Das Wirtschaftsministerium schätzt die Effekte durch KI allein für das produzierende Gewerbe in den nächsten fünf Jahren auf rund 32 Milliarden Euro. Insofern sehen wir die nationale KI-Strategie auch für die Finanzbranche als Chance, von der nicht nur große Institute, sondern auch Mittelstand und Fintechs, sowie natürlich die Investoren profitieren sollten. Die Einbindung von KI läuft nicht von heute auf morgen. Aus eigener Erfahrung können wir sagen, dass dies sehr viel Beharrlichkeit und ständiger Weiterentwicklung bedarf. Es ist daher ein guter Schritt, wenn wir in Deutschland ein positives Klima für mutiges Unternehmertum und die Entwicklung neuer Technologien schaffen.

 

Über die Interviewten:
Sascha Hinkel ist seit 2012 für die Deka tätig und verantwortet seit 2013 die Fondsauswahl des Dachfonds Deka-PB Multimanager ausgewogen. Zuvor arbeitete der 36-Jährige für das Analysehaus Kepler Chevreaux.

Michael Günther ist Portfoliomanager bei der Fondsboutique Tungsten Investment Funds. Bei den Frankfurtern verwaltet er zusammen mit Kollege Pablo Hess seit 2013 den Absolute-Return-Fonds Tungsten Trycon Basic Invest HAIG auf Basis Künstlicher Intelligenz.

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