Herr Buchhart, Herr Kessler, die vergangenen Jahre waren in vielerlei Hinsicht sehr fordernd – Geopolitik, Zinsen, Corona. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie beide davon erfuhren, dass Ihre Arbeitgeber zusammen gehen wollen?
Christof Kessler: Bei der Bekanntgabe der Fusionspläne wurde sehr überzeugend dargelegt, warum es mit der Barmenia zusammengeht. Die Motivation dahinter war von Anfang an klar und wurde von allen Seiten begrüßt. Es gibt immer zwei Fragen. Wie man es macht, war die eine Sache. Ob man es macht, das war unstrittig. Die Barmenia war komplementär zur Gothaer aufgestellt.
Anton Buchhart: Im Hinblick auf die Zeitschiene war das auch einer der großen Erfolgsfaktoren. Als uns die Geschäftsfelder, die Aufteilung der Kundengruppen und Sparten gezeigt wurden und wir das mit unseren übereinanderlegten, sah jeder schnell, dass es kaum Überschneidungen gibt. Mein erster Gedanke war, dass man schon früher darauf hätte kommen können.
Buchhart: Es gab auch kaum größere Konfliktfelder. Die Gothaer hatte ihren Schwerpunkt in der Sachversicherung, ist Mittelstands- und Firmenkunden orientiert. Die Barmenia hatte fast ausschließlich Privatkunden und war sehr stark in der Krankenversicherung.
Kessler: Die Lösung war offensichtlich. Die Barmenia Leben geht in der Gothaer Leben auf. Barmenia ist die Marke im Krankenbereich, Gothaer im Sachbereich für Unternehmerkunden, das war ebenfalls unstrittig. der Zusammenschluss war gut und überfällig aus noch einem weiteren Grund.
Welchen meinen Sie?
Kessler: Wir haben mehrfach eruiert, was uns ein wesentlicher Fortschritt in der IT kosten wird. Ein solcher Fortschritt ist sehr kostenintensiv. Da gelangt man schnell an die Frage, ob man sich das überhaupt leisten kann. Versicherer arbeiten durch die Bank weg mit Systemen, die angestaubt sind, um es freundlich auszudrücken.
Das darf nicht so bleiben. Um sich eine Modernisierung leisten zu können, braucht es große Budgets, relativ zur Größe der Beitragseinnahmen. Dafür ist eine solche Fusion perfekt. Wir können nun über die kommenden Jahre einen nicht unerheblichen dreistelligen Millionenbetrag in die Hände nehmen. Dazu kommt, dass es nicht ausreicht, nur diese Investition zu tätigen, sie muss auch mit Leben gefüllt werden.
Buchhart: In der Kapitalanlage ist es ähnlich. Größere Investitionen fließen jetzt auch in die Barmenia Gothaer Asset Management. Als Barmenia allein hätten wir das, zumindest in der Größenordnung, vermutlich nicht gemacht. Auch bei der Gothaer weiß ich nicht, ob sie allein so viel Geld in die Hand genommen hätte.
Was hat sich durch die Fusion noch verändert?
Kessler: Wir sind jetzt in Deutschland unter den Top-10 der Asset Manager in der Versicherungsbranche, was die Größe angeht. Was ich nicht erwartet hatte, war der Unterschied bei der Rekrutierung. Wir erhalten jetzt Bewerbungen von Menschen, die sich vor dem Zusammenschluss nicht beworben hätten. Wir ziehen andere Talente an. Das ist etwas Besonderes, was uns sehr freut.
Ist es so schwer, gutes Personal zu bekommen?
Als Anton Buchhart und ich in den Beruf eingestiegen sind, da war die Asset-Management-Branche eine Topbranche. Die heutigen Berufseinsteiger sehen das nicht mehr so. Sicher, es gibt Überzeugungstäter, die nach wie vor unbedingt in die Vermögensverwaltung wollen, weil ihnen beispielsweise das Thema Nachhaltigkeit am Herzen liegt. Aber in der Regel gilt: Für einen Einser-Master-Kandidaten ist Asset Management nicht mehr die erste Wahl. Die Zeit ist vorbei. Ein Einser-Kandidat von einer guten Universität entscheidet sich heute eher für eine Unternehmensberatung oder die KI-Branche.
Buchhart: Als ich Anfang der 2000er ins Asset Management gegangen bin, herrschte gerade die Dotcom-Krise. Schnell war klar: Finanzbranche ist nicht immer nur Spaß. Ich war im Risikomanagement, das war ein gesuchter Job damals. 2007 kam die Finanzkrise. Da wurde ich im Bekanntenkreis auch schon mal merkwürdig bis kritisch auf meine berufliche Tätigkeit in der Finanzbranche angesprochen. Der Ruf der Finanzbranche hatte gelitten, hatte große Kratzer bekommen, und das selbstverständlich auch für Berufseinsteiger.
Kessler: Dazu kommt, dass ein guter Studienabgänger in den Bereichen Consulting, also Beratung, Wirtschaftsprüfung, Risikoprüfung und bei Wirtschaftskanzleien schon als Berufseinsteiger bei einem sechsstelligen Gehalt liegen kann. Das ist bei uns regelmäßig eher nicht der Fall
Buchhart: In der Finanzbranche waren wir über viele Jahre hinweg vergleichsweise sehr gute Verdiener. Dann kamen die von Christof Kessler erwähnten Branchen. Dazu kommen Ingenieurberufe, Biotech, IT und Tech-Unternehmen, die sehr hohe Gehälter zahlen können und wirklich coole Berufsfelder bieten. Wir müssen den jungen Menschen Jobs mit Kreativitätspotenzial anbieten. Kein Top-Bewerber will 80 Prozent Routinearbeit.
Kessler: It's a war for talents. In London gibt es den schon lange, jetzt ist er auch in Deutschland angekommen. Was sich zudem im Gegensatz zu früher verändert hat, ist, dass wir mehr Wettbewerb um die gleichen Kandidatinnen und Kandidaten haben.
Erarbeiten Sie kontinuierlich Alleinstellungsmerkmale heraus, um attraktiver für Talente zu sein?
Kessler: Auf jeden Fall, nur über das Gehalt geht es nicht. Wir können nicht einfach viel mehr zahlen als der Branchendurchschnitt. Ein wichtiger Faktor ist etwa der Standort. Zudem liegt uns seit langem das Thema Vielfalt am Herzen. Wir haben Mitarbeitende von allen Kontinenten und ein diverses, genderausgeglichenes Team. Wir sind modern aufgestellt und wollen das weiter forcieren. Wir gehen an die Universitäten und suchen Werksstudenten, am liebsten über andere Werksstudenten. Wir sagen konkret, mit welchen Themen wir uns befassen und welche Ansätze diese für eine gute Masterarbeit bieten. Wir kümmern uns intensiv und werden mit guten Bewerbungen belohnt.
Was erwarten Sie von den Werksstudenten?
Kessler: Sie solltenen diverse Programme wie Python beherrschen und sich für KI interessieren. Es reicht nicht mehr, die Daten aus der Bilanz zu lesen und einzuordnen. Es müssen hunderte Emittenten aufgearbeitet werden, die KI macht die Datenarbeit, danach beginnt die Brillanz des Analysten oder des Portfolio Managers damit, ein optimales Portfolio zu erstellen.
Ihr ESG-Ansatz ist doch sicher auch ein Magnet für Talente?
Kessler: Ja, das ist sicher so. Es gibt zwar auch junge Menschen, denen ESG, Umweltschutz und all das egal ist, oder die den Sinn des Ganzen infrage stellen. Das ist dann aber auch für uns ein Ausschlusskriterium. Die kommen nicht zu uns. Wir machen aus unserem Herzen keine Mördergrube. Wir sagen klar, wer zu uns passt und wer nicht. Die Barmenia Gothaer ist gerade dabei, die gemeinsame Zukunftsstrategie zu entwickeln. Da beiden Versicherern das Thema schon vor dem Zusammenschluss wichtig war, wird ESG absehbar weiterhin einen zentralen Anteil an unserer Strategie haben.
ESG ist allerdings auch mit enorm viel Bürokratie verbunden…
Buchhart: Ich denke, jeder, auch in der Politik, hat inzwischen begriffen, dass das Berichtswesen hoffnungslos ausgeufert ist. Zudem bringt es keinen großen Mehrwert in der Transformation der Realwirtschaft. Und das war ja das eigentliche Ziel. Ich möchte als Investor genau das begleiten. Wir sammeln Daten ohne Ende und keiner weiß so ganz genau, was damit geschehen soll. Derzeit gibt es 70 KPIs, also Key Performance Indicators.