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Nachhaltige Nahrung „Pilze und Mikroalgen sind neue Quellen für nicht-tierische Proteine“

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Sie kennen die Unternehmenslandschaft genau. Wie kommt die Lebensmittelbranche insgesamt bei der Entwicklung und Produktion nachhaltig erzeugter Lebensmittel voran?

Nickell: Auf dem Markt für eiweißhaltige Lebensmittel sind zwei wichtige Entwicklungen zu beobachten. Zum einen streben konventionelle Hersteller von tierischen Eiweißnahrungsmitteln wie Milch, Fleisch, Fisch oder Eiern nach höherer Effizienz durch neue Technologien – denn höhere Effizienz geht mit einem geringeren CO2-Fußabdruck einher. Um das mit einer Zahl zu verdeutlichen: Die 10 Prozent der leistungsstärksten landwirtschaftlichen Betriebe haben ihren Fußabdruck durch die Einführung neuer innovativer Lösungen bereits um einen zweistelligen Prozentsatz verringert. Und besonders spannend dabei: Weil sich die meisten Innovationen in bestehende Produktionssysteme integrieren lassen, erfordert ihr Einsatz keine zusätzlichen Investitionen.

Zu den Neuentwicklungen gehören auch einige Produkte, die auf ganz bestimmte Probleme abzielen, etwa den Methanausstoß durch Kühe – ein Treibhausgas, das mit Blick auf die globale Erwärmung schädlicher ist als Kohlendioxid. Inzwischen ist ein innovatives Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt, das die Methanproduktion bei Milchkühen um 30 Prozent und bei Rindern sogar um bis zu 90 Prozent unterdrücken kann.

Sie sprachen im Zusammenhang mit den Neuerungen am Lebensmittelmarkt von zwei Entwicklungen. Was müssen wir über die zweite Art von Innovationen wissen?

Nickell: Beim zweiten Schwerpunkt in der Entwicklung eiweißhaltiger Lebensmittel geht es darum, neue Quellen für nicht-tierische Proteine zu finden – die Anwendungsmöglichkeiten reichen von der Verwendung von Raps bis zu Einzelzell- oder mikrobiellen Proteinen, also essbaren einzelligen Mikroorganismen. Eine kürzlich durchgeführte Studie dokumentiert, dass erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung und Produktion von Fleischalternativen, einschließlich laborgezüchtetem Fleisch, pflanzlichen Fleischalternativen, mikrobiellem Eiweiß, essbaren Pilzen, Mikroalgen und Insektenprotein gemacht worden sind.

Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren eine Kombination aus wissenschaftlichen Erfolgen und Investitionen erforderlich sein wird, um nicht nur neue Proteinquellen zu entwickeln, sondern auch zu testen, wie gut sie sich für die gesunde, ökologisch sinnvolle und ganzheitliche Ernährung des Menschen eignen.

Und letztlich spielen bei der Art der Ernährung, die das Klima und andere Nachhaltigkeitsfaktoren beeinflusst, auch die Lieferketten eine entscheidende Rolle. Ganz klar: Sie müssen daher ebenfalls auf den Prüfstand.

Müssten nicht auch gewisse Vermarktungsnormen überdacht werden? Die Gurken- und Bananenverordnung der EU wurde schon vor Jahrzehnten zum Sinnbild einer vieldiskutierten Lebensmittelverschwendung.

Nickell: In der Tat! Lebensmittelabfälle und deren Beitrag zu Treibhausgasemissionen sind ein riesiges Thema, zu dem viel geforscht wird. Bei diesen Abfällen handelt es sich nicht nur um das, was in Haushalten, Restaurants und Supermärkten weggeworfen wird, sondern auch um alle Lebensmittel, die zwischen der Erzeugung und den Vertriebsstellen verloren gehen. Auch hier gibt es Fortschritte, die in die richtige Richtung gehen. So ist das Kükenschreddern seit Jahresbeginn 2022 verboten. Deutschland ist mit der entsprechenden Änderung des Tierschutzgesetzes weltweiter Vorreiter.

Verschwendung wird oft auch bei den Verpackungen von Lebensmitteln betrieben. Wie kommt hier die Branche voran?

Nickell: Wir alle wissen, dass die Umweltverschmutzung durch Plastik ein großes Problem ist. Rund 75 Prozent aller erzeugten Kunststoffe landen, weltweit gesehen, im Abfall. Dabei sind 50 Prozent des globalen Plastikmülls auf Verpackungen zurückzuführen, einschließlich derjenigen, die für Lebensmittel verwendet werden. Absehbar ist: Das Investitionskapital der Anleger wird in Unternehmen fließen, die Lösungen anbieten, um die Verwendung von Kunststoffen innerhalb der Lieferketten drastisch zu reduzieren.

Bekanntlich ist in der Lebensmittelerzeugung auch in ethischer Hinsicht einiges im Argen. Kinderarbeit und die Ausbeutung von Saisonarbeitern sind nicht selten…

Nickell: Eigentlich hat die Landwirtschaft die entscheidende Aufgabe, die Menschen zu ernähren. Doch sie zerstört die Wälder, verunreinigt die Binnengewässer und verschmutzt die Ozeane mit Plastik. Und ja, die Landwirtschaft ist noch dazu für 11 Prozent aller Fälle von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen weltweit verantwortlich, während die Lebensmittelherstellung hier mit weiteren 15 Prozent zu Buche schlägt. Kinderarbeit ist leider weiterhin ein wichtiger Wettbewerbsfaktor. 60 Prozent dieser Kinder sind mit Arbeiten beschäftigt, bei denen sie häufig mit gefährlichen Chemikalien, darunter Düngemitteln und gefährlichen Geräten in Kontakt kommen.

Küken werden geschont, Kinder müssen schwere körperliche Arbeit leisten: Gibt es hier ebenfalls Ansätze zur Regulierung?

Nickell: Der neue EU-Rechtsrahmen für die Sorgfaltspflicht im Umwelt- und Menschenrechtsbereich zielt darauf ab, diese Probleme anzugehen. In den Vereinigten Staaten ist die Einfuhr von Produkten untersagt, wenn der Verdacht besteht, dass sie durch Kinderarbeit hergestellt wurden. Die von der Wohltätigkeitsorganisation Jeremy Coller Foundation ins Leben gerufene FAIRR-Initiative baut ein globales Netzwerk von Investoren auf, das sich auf die Risiken in der Lebensmittellieferkette im Hinblick auf die Tierhaltung konzentriert. FAIRR führt Forschungsarbeiten durch und arbeitet mit Aktionärsvertretern zusammen, die bei Unternehmen im Lebensmittel- und Agrarsektor auf die Berücksichtigung von ökologischen und damit finanziellen Risiken drängen. Es wäre wünschenswert, wenn diese Initiativen mit ihrem Anliegen in Zukunft noch stärker als bisher zu den Verbrauchern durchdringen. Jeder, der sich für gesunde und nachhaltig produzierte Lebensmittel entscheidet, sorgt dafür, dass auch die nachfolgenden Generationen sich noch entspannt an einen gedeckten Tisch setzen können.

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