Phänomen „Big Bath“ Wie Manager Bilanzierungsspielräume nutzen

Ist seit Juni 2014 als Analyst am Flossbach von Storch Research Institute tätig: Kai Lehmann

Ist seit Juni 2014 als Analyst am Flossbach von Storch Research Institute tätig: Kai Lehmann

Als der neue Chief Executive Officer (CEO) der Deutschen Bank John Cryan jüngst das vorläufige Konzernergebnis des Geschäftsjahres 2015 kommentierte, ließ er die Kapitalgeber wissen, der Konzern wolle weiterhin hart daran arbeiten „Altlasten zu bereinigen“.

Die Bereinigung dieser Altlasten erfordere die massive Bildung von Rückstellungen, vornehmlich für Rechtsstreitigkeiten, Restrukturierungen und Abfindungen in Höhe von insgesamt 6,2 Milliarden Euro. Zudem müssten Geschäft- oder Firmenwerte aus vormals getätigten Unternehmensübernahmen im Umfang von 5,8 Milliarden abgeschrieben werden.

Diese „Sonderbelastungen“ führten dazu, dass das Unternehmen zum Ende des Geschäftsjahres 2015 einen Rekordverlust von 6,8 Milliarden Euro nach Steuern ausweisen musste. Der Aktienkurs gab im Zuge der Ergebnisveröffentlichung deutlich nach. Cryan führte die Notwendigkeit der Wertberichtigungen darauf zurück, dass der Konzern lange „auf der falschen Spur“ gefahren sei. Alt-CEO Josef Ackermann ließ wissen, er fühle sich „von dieser Kritik nicht angesprochen“.

Künftiges Bewertungsniveau gesenkt

Gegenwärtig ist offen, ob der neue oder der alte CEO der Bank Recht hat. Doch weist das geschilderte Beispiel einige Eigenschaften des sogenannten Big Bath auf, das gerade im Zuge eines Vorstandswechsels überproportional häufig zu beobachten ist. Hierbei werden möglichst viele Aufwendungen in die aktuelle Berichtserstattungsperiode verlagert.

Die schwachen Ergebnisse werden dabei häufig – zumindest implizit – den Vorgängern angelastet. Das neue Management kann durch diese Maßnahme die Benchmark für zukünftige Leistungsbeurteilungen senken.

Vor dem Hintergrund des obersten Zieles internationaler Rechnungslegungsvorschriften, entscheidungsrelevante Finanzinformationen zu vermitteln, sollten kommunizierte Ergebnisse eigentlich jederzeit einem „true and fair view“ (Wiedergabe der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens) folgen.

Der Konzernabschluss müsste also jederzeit ein der Realität entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage wiedergeben. Doch muss man festhalten, dass sich viele Vorstände diskretionäre Handlungsspielräume zunutze machen, die ein zeitliches Vor- und Nachverlagern von Erträgen und Aufwendungen in einem gewissen Maße ermöglichen. Die Anreize für eine derartige Einflussnahme auf das Ergebnis sind dabei so vielfältig wie die Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen.

Im Hinblick auf die Kapitalmärkte ist die wesentliche Motivation für ein Big Bath, die Erwartungen von Investoren und Analysten zu beeinflussen. Kapitalmarktadressaten haben eine Vorliebe für Stabilität statt Volatilität. Stabile Ergebnisse werden schwankenden bevorzugt, selbst wenn die beiden Ergebnisströme über die Gesamtperiode zu einer identischen Auszahlung führen.

Hinzu kommt die Beobachtung, dass Kapitalmarktadressaten eine überproportional hohe Abneigung gegen rückläufige Gewinne oder gar Verluste haben. Dies ist auf die Nichtlinearität ihrer Nutzenfunktionen zurückzuführen, die von Kahnemann und Tversky im Rahmen der Neuen Erwartungstheorie beschrieben wurde (siehe Abbildung 1).

Nicht nur werden Verluste als schlimmer empfunden als betragsmäßig gleichhohe Gewinne honoriert werden. Auch gibt es nahe dem persönlichen Referenzpunkt (an der Gewinnschwelle) einen Nutzenbereich, in dem die Adressaten sehr sensitiv auf gute oder schlechte Nachrichten beziehungsweise auf eine Diskrepanz zwischen erwartetem und eingetretenem Ergebnis reagieren.

Abbildung 1: Nutzenfunktion nach Kahneman und Tversky

Quelle: In Anlehnung an Kahneman/Tversky (1979)