Wer einige Jahre in der Finanzbranche als Journalist tätig ist, der entwickelt ein grundsätzliches Verständnis von der Organisation der Unternehmen, über die berichtet wird. Geschäftsbereiche wie das Firmenkundengeschäft, Personalwesen oder Reporting sind etwa einigermaßen klar vom Portfoliomanagement getrennt, dementsprechend auch das Aufgabenfeld der jeweiligen Mitarbeiter.
Jedenfalls sollte man das meinen. Zuletzt verschoben sich aber diese Grenzen. Etwa zwischen Portfoliomanagement und Reporting und sogar IT – wie manch ein Portfoliomanager und Vermögensverwalter in Gesprächen mit den Journalisten offenlegte, die eigentlich gedacht hatten, in ihrer Auffassung von Unternehmensstrukturen gefestigt zu sein.

„Mit dem Einsatz von Nachhaltigkeitsstrategien muss das Portfoliomanagement neben der traditionellen Finanzanalyse auch nachhaltige Kennzahlen analysieren und reporten“, bestätigt auch Harald Brock von Investify Tech, der mit Vermögensverwaltern zwischen Portfoliomanagement, IT und Reporting zusammenarbeitet.
Nicht nur wandelten sich in diesem Zusammenhang alte Berufsbilder und Organisationsstrukturen, auch gänzlich neue Jobs und Berufsprofile entstanden. Mit teils abenteuerlichen Namen: So suchte eine deutsche Privatbank jüngst einen „Spezialisten Financial Reporting mit Schwerpunkt ESG/Artikel 8 Taxonomie“. Aufgabenfeld? Reporting mit Schwerpunkt auf ESG zum einen, Kontaktperson für „Kollegen und Kolleginnen in allen betroffenen Fachbereichen“ zum anderen.
Zwischen Technik und Taxonomie
Nicht nur für die Kollegen und Kolleginnen aus dem betroffenen Fachbereich Portfoliomanagement stand zuletzt die Vorbereitung auf einen der vorerst finalen Akte einer schon länger andauernden Saga an: dem PAI-Statement nach SFDR Artikel 4 unter Beachtung der RTS. Was kompliziert klingt, lässt sich so erklären: Hinter PAI versteckt sich die Bezeichnung Principal Adverse Impact, die im Wesentlichen eine negative Auswirkung einer Investition auf die Nachhaltigkeit bezeichnet.
Sie gehört wiederum zur EU-Verordnung SFDR, der Sustainable Finance Disclosure Regulation – in Deutschland als Offenlegungsverordnung bekannt und dafür gedacht, der Finanzbranche mehr Transparenz in Sachen Nachhaltigkeit aufzuerlegen. Und hinter RTS verbergen sich die Regulatory Technical Standards oder technischen Regulierungsstandards, die seit Anfang 2023 die genaue und finale Umsetzung der SFDR regeln.
Schon im Frühjahr 2021 trat das erste Level der Offenlegungsverordnung in Kraft, sie gilt seitdem im Zusammenspiel mit anderen regulatorischen Vorgaben. Nach Mifid II ist seit August 2022 etwa die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen im Beratungsgespräch verpflichtend, als Rahmen dafür gelten neben der Offenlegungs- etwa auch die Taxonomie-Verordnung und die PAIs. Außerdem werden Fonds nach der Offenlegungsverordnung und ihren Artikeln 6, 8 und 9 klassifiziert.
Das verändert Produkte, Vermögensverwaltungen und Anlageberatung. Die PAI-Statements sollen unter Finanzberatern und -unternehmen im Sinne der Offenlegungsverordnung Transparenz zur Nachhaltigkeit herstellen. „In diesem Statement müssen sie klar und transparent beschreiben, ob sie die PAI berücksichtigen oder nicht. Und wenn ja, auf welche Art“, erklärt Kevin Naumann, Partner für Sustainable Finance und ESG bei KPMG.
Schritt für Schritt zum detaillierten PAI-Statement

Neu ist: Nun werden die PAI-Statements quantifizierbarer. Künftig sollen viele Finanzdienstleister jährlich zum Stichdatum 30. Juni einen Bericht veröffentlichen, Herzstück ist eine mit den technischen Regulierungsstandards zusammen als Annex I veröffentlichte Tabelle. In ihr können Unternehmen anhand von 14 Kern- und 2 je nach Anlageklasse variablen PAI-Indikatoren aufführen, welche negativen Auswirkungen ihr Geschäftsbetrieb – zu dem natürlich vor allem auch das Portfoliomanagement zählt – auf Nachhaltigkeit hat.

Und: Finanzmarktteilnehmer, die im Durchschnitt des Jahres mehr als 500 Mitarbeitende beschäftigen, müssen das um quantitative Faktoren erweiterte PAI-Statement veröffentlichen. Das gilt auch für Vermögensverwalter oder Versicherungen mit weniger Mitarbeitern, die bereits in der Vergangenheit angegeben haben, die Bedingungen der Offenlegungsverordnung einhalten zu wollen. „Finanzunternehmen, die keine PAI berücksichtigen, sollten die Gründe hierfür beschreiben“, merkt Naumann an.
Investmentprozesse sollen transparenter werden
Die Riege der Wirtschaftsprüfer ist es auch, die die PAI-Statements unter die Lupe nimmt. Werden regulatorische Anforderungen nicht erfüllt, wird das im Jahresabschluss des jeweiligen Unternehmens festgehalten. Zudem hätten die PAI-Statements einen weiteren Effekt, erklärt Naumann: „Es wird möglich sein zu überprüfen, inwiefern die Nachhaltigkeitspositionierung eines Finanzmarktteilnehmers im Einklang mit seinen Investmentprozessen steht.“
Die schon erwähnte Verzahnung zum Portfoliomanagement wird dann relevant. Dessen Prozesse wurden oft schon lange vor denen der SFDR aufgesetzt, erklärt Brock von Investify Tech: „Eine Herausforderung besteht nun darin, die Konzepte in die Systematik der EU-Vorgaben um Taxonomie-Verordnung, PAIs und Offenlegungsverordnung zu überführen.“
Das gilt für das Reporting oder für ganz praktische Aufgaben wie Orders. Verpflichtet sich ein Vermögensverwalter etwa gewissen Ausschlusskriterien, dürften damit im Konflikt stehende Produkte oder Wertpapiere auch nicht in womöglich sogar noch individuellen Vermögensverwaltungsmandat selektiert werden – und das sollte auch im Portfoliomanagementsystem klar werden. KPMG-Partner Naumann begründet: „Signifikante Abweichungen zwischen dem Ambitionsniveau und den tatsächlichen Investitionen können Reputationsrisiken mit sich bringen und Greenwashing-Vorwürfe bestärken.“

Offen ist, ob auch kleinere Finanzmarktteilnehmer künftig ausführliche PAI-Statements veröffentlichen. Angela McClellan und Ullrich Hartmann, die für derzeit viele Finanzmarktteilnehmer in Fragestellungen zur Offenlegungsverordnung begleiten, haben dazu eine klare Meinung: „Kleinere Finanzdienstleister werden sich nur anschließen, wenn der Markt dies erfordert, weil für sie ansonsten der Aufwand zu groß und die Kosten zu hoch sind.“ Aber: Große Investoren wie Versicherungen sind qua ihrer Größe dazu gezwungen, ein PAI-Statement zu veröffentlichen.
Nehmen sie Dienstleistungen bei kleineren Vermögensverwaltern oder Asset Managern in Anspruch, dürften sie wohl auch Daten nachfragen, die sie selbst für ihr PAI-Statement benötigen. Verändert das etwas? „Dass größere Finanzdienstleister die Daten bei kleineren anfragen, erscheint kurzfristig eher unwahrscheinlich“, entwarnen McClellan und Hartmann vorerst.
Größtes Problem der Berichte ist und bleibt die Datenverfügbarkeit und -qualität. „Für die PAI-Statements werden meistens eingekaufte Daten von ESG-Rating-Agenturen verwendet, die oftmals unterschiedliche Methoden anwenden und deren Ergebnisse damit eine hohe Varianz aufweisen“, berichten McClellan und Hartmann.
Ein im April 2022 von Wissenschaftlern des Massachusetts Institute of Technology und der Universität Zürich veröffentlichtes Forschungspapier zeigte, dass die Korrelation verschiedener ESG-Ratings untereinander bei gerade einmal 0,54 lag. Gleichzeitig ist die Korrelation von Kreditratings verschiedener Datenanbieter mit Werten jenseits der Marke von 0,90 annähernd perfekt. Die Datenbasis der Untersuchung für die ESG-Ratings stammt allerdings aus dem Jahr 2017 – gut möglich, dass sich die Qualität inzwischen verbessert hat.
SFDR-Saga geht weiter
„Auch wenn einzelne Datenpunkte wie soziale Kontroversen oder Treibhausgas-Emissionsdaten verfügbar sind, sieht es bei Indikatoren wie Emissionen ins Wasser oder dem Anteil gefährlicher und radioaktiver Abfälle leider deutlich schwieriger aus“, erklären Alexandra Zentis und Constantin Krause von EY. Die Datenabdeckung liege teilweise im einstelligen Prozentbereich, in illiquiden Anlageklassen verschärfe sich das Problem.

„Üblicherweise werden bei Zielfondsinvestitionen diese PAI-Indikatoren von Zielfondsmanagern abgefragt, aber die Rückmeldungsquote, insbesondere auch bei nicht-europäischen Playern, ist hier häufig unzureichend“, erklärt Krause. Fehlen Daten, muss sich der Finanzmarktteilnehmer bemühen, sie zu erhalten – „best effort“ ist dann das Motto. Auch wenn es darum geht, die Daten in technische Systeme wie im Portfoliomanagement zu implementieren, sieht Krause Anlaufschwierigkeiten.
Die Krux ist: Artikel 3 bis 13 der Offenlegungsverordnung und somit auch das PAI-Statement sind Gegenstand der externen Prüfung von Finanzmarktteilnehmern wie Versicherungsunternehmen und erlaubnispflichtigen Kapitalverwaltungsgesellschaften. „Daher ist es notwendig, dass Finanzmarktteilnehmer entsprechende Nachweise für die Angaben im PAI-Statement dem Prüfer vorlegen können“, merkt Zentis an.
PAI-Statements im Vergleich: Beispiel Commerzbank und Deutsche Bank
Die ersten detaillierten PAI-Statements wurden zum 30. Juni veröffentlicht – deren Ausgestaltung unterscheidet sich teilweise erheblich – auch bei den Anbietern im deutschen Private Wealth Management. Ein Beispiel: Während die Deutsche Bank (PAI-Statement hier abrufbar) bei vielen PAIs zu ergriffenen oder geplanten Zielen und Maßnahmen bloß anmerkt, dass noch eine „Offenlegung und laufende Prüfung“ stattfindet, weist die Vermögensverwaltung der Commerzbank (PAI-Statement hier abrufbar) deutlich mehr Informationen in der gleichen Spalte aus. Vergleichbarkeit besteht durch die Vereinheitlichung zwar vor allem in der Spalte zu den konkreten Auswirkungen im vergangenen Jahr 2022 und der Abdeckungsquote, die konkreten Werte unterscheiden sich aber durchaus eklatant.
Auch interne Richtlinien und Abläufe sowie IT-Systeme müssen angepasst werden. Für die einzelnen PAIs in der unter Annex 1 bereitgestellten PAI-Tabelle müssen zudem gemäß Regulatorik ein quantitativer Wert, eine Erklärung sowie die getroffenen und geplanten Maßnahmen oder Ziele dargestellt werden.
Weitere Anpassungen stehen aus

„Dabei sollten Informationen zur Verfügung gestellt werden, die der Anleger benötigt, um die Informationen zu verstehen“, erklärt Carsten Auel, Direktor für Sustainable Finance bei Deloitte. Wenn Daten fehlen, sei es sinnvoll anzugeben, wie mit fehlenden Daten umgegangen wurde oder wie viel verwaltetes Vermögen der entsprechende Datenpunkt am Ende abdeckt. Auel ergänzt: „Wie hoch dann schlussendlich der Handlungsbedarf oder Handlungswunsch ist, hängt aber vom individuellen Finanzmarktteilnehmer und seiner eigenen Ambition ab.“
Ab 2024 soll mit den Berichten auch eine Historisierung einhergehen. Bis dahin dürften weiter Daten gesammelt, möglicherweise externe Experten beauftragt und Investmentprozesse weiter angepasst werden. „Die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen nach CSRD kommt erst in der Zukunft“, gibt Auel Ausblicke auf die kommenden regulatorischen Feinheiten, die immerhin die Datenqualität und -verfügbarkeit verbessern dürften. Und vielleicht auch weiterhin diverse Berufsprofile.