Offener Brief an die Branche „Die ESMA zertrümmert Geschäftsmodelle“

Rechtsanwalt Christian Waigel ruft auf, einen Brief bis 5. Januar 2017 an die ESMA zu schreiben

Rechtsanwalt Christian Waigel ruft auf, einen Brief bis 5. Januar 2017 an die ESMA zu schreiben

Eine der größten Baustellen in der Umsetzung von Mifid 2 wird das Thema Product Governance. Das Prinzip soll ein „misselling“ von Wertpapieren verhindern, Emittenten und Vertreiber sollen den Vertrieb von Produkten nur an die dafür geeigneten Kunden durchführen. Dazu sollen die Emittenten sehr detaillierte Zielmärkte ihrer Produkte festlegen und die Vertreiber werden verpflichtet, die Produkte nur an diese Zielmärkte, sprich Zielkunden, zu vermarkten.

Am Beispiel der Krise der offenen Immobilienfonds wird deutlich, was die Politik erreichen will: Offene Immobilienfonds wurden an sicherheitsorientierte Einlagenkunden vertrieben, der erste falsche Zielmarkt, und zweitens auch an institutionelle Anleger. Die haben durch den Abzug ihrer Tranchen die Produkte in die Schieflage gebracht, was wiederum die sicherheitsorientierten Immobiliensparer ausbaden mussten, also zweiter falscher Zielmarkt.

Angeblich sind über 800.000 Kunden mit Durchschnittsvolumina von 30.000 Euro betroffen. Damit liegt die politische Dimension auf der Hand. Die Politik sah sich auf den Plan gerufen und ihre Antwort ist Product Governance.

Schon die Definition der Zielmärkte für alle Wertpapiere ist eine Herkules-Aufgabe. Die Vorstellungen der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA in ihrem jüngsten Vorschlag lautet, sechs inhaltliche Kriterien vorzusehen:

  1. Emittenten sollen zunächst die Kundenart festlegen, an die sich das Produkt richtet, nämlich Privatkunde, professioneller Kunde oder geeignete Gegenpartei.
  2. Emittenten sollen angeben, welche Kenntnisse die Zielkunden haben sollten, oder alternativ, welche Erfahrungen der Kunde für das Produkt aufweisen sollte.
  3. Dazu kommen die gewünschten finanziellen Verhältnisse der Zielkunden mit Fokus auf die Verlusttragfähigkeit. Emittenten sollen die Höhe der Verluste angeben, die der Kunde beim Investment in das Papier zu tragen bereit sein sollte.
  1. Anzugeben ist die empfohlene Risikotoleranz, das heißt Vorgaben der Emittenten zu der Haltung des Kunden zum Risiko, zum Beispiel risikoorientiert, spekulativ, ausgewogen oder konservativ.
  1. Im Rahmen der Kundenziele sollen die Emittenten definieren, welche Anlageziele der Kunde mit dem Investment in das Produkt verfolgen sollte, zum Beispiel Liquiditätsversorgung, Altersvorsorge et cetera.
  1. Zusätzlich soll der Emittent spezielle Kundenbedürfnisse definieren, die mit seinem Produkt verfolgt werden können, zum Beispiel steuerliche Aspekte, Währungsschutz, ethische Investments und ähnliches.

Damit ist das Sisyphusprogramm für die Branche im Jahr 2017 festgelegt: Für zirka zwei Millionen Wertpapiere, die in Deutschland erworben werden können, wären solche Zielmärkte zu verfassen und in die Produktunterlagen zu integrieren.

Der Vertrieb wird überfordert

Damit aber nicht genug. Nach Vorstellung der ESMA sollen nicht nur die Emittenten, sondern auch die Vertreiber eigene Zielmärkte definieren. Sie seien näher am Kunden und könnten deswegen viel besser Zielmärkte konkretisieren und auf ihre spezielle Kundschaft zuschneiden. Sie könnten sich zwar an den Zielmärkten der Emittenten orientieren, sollten aber eigene formulieren.

Dieser Doppelaufwand soll auf alle Vertreiber zukommen. Vertreiber sind nach Ansicht der ESMA aber alle, die Wertpapiere empfehlen oder verkaufen, das heißt alle Anlageberater, Vermögensverwalter, Abwicklungsinstitute, Execution-only-Häuser, Depotbanken und Verwahrstellen.

Der Aufwand ist im Jahr 2017 nicht mehr zu bewältigen, dieses Arbeitsprogramm schaffen vielleicht noch einige große Häuser, die kleineren aber nicht. Entweder man geht ohne Umsetzung der Anforderungen 2018 in die Mifid-2-Welt oder wir werden eine extreme Ausdünnung des Produktuniversums erleben. Welcher Vermögensverwalter kann schon tausende von Zielmärkten für die Produkte schreiben, die er in der Vermögensverwaltung einsetzen will?

Bleibt es bei dieser extremen Vorgabe der ESMA, wird der Beratungs- oder Vermögensverwaltungskunde ab dem Jahr 2018 mit einem Bruchteil des gewohnten Produktspektrums vorliebnehmen müssen, schon die Abbildung des heutigen Fondsuniversums würde an den Product-Governance-Vorgaben für Emittenten und Vertreiber scheitern.

Das wird vor allem dann Schwierigkeiten bereiten, wenn der Emittent kein Mifid-Institut ist, zum Beispiel Apple oder ein Bond-Emittent aus einem Staat, der nicht zur EU gehört. Die Vorstellung der ESMA ist nämlich, dass auch ganz normale Aktien, Renten und andere Plain-Vanilla-Produkte in die Zielmarktverpflichtung aufgenommen werden. Wer aber den Zielmarkt zum Beispiel für die Apple Aktie schreibt, ist völlig unklar.