Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner „In frühkindliche Bildung zu investieren, hat die Rendite eines Hedgefonds“

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Die Regierung geht da nicht immer mit leuchtendem Beispiel voran ...

Sigl-Glöckner: Ich hatte tatsächlich ein bisschen mehr von dieser Regierungskoalition erwartet nach dem, was man sich so alles auf die Flaggen geschrieben hatte. Aber klar, es kam ein Krieg dazwischen und eine Energiekrise. Meine Hoffnung ist, dass wir wieder ein bisschen mehr von diesem gemeinschaftlichen, nach vorn gerichteten Spirit hinbekommen, wenn die unmittelbare Krise bewältigt ist.

Es gibt viel zu tun, die Sanierung der Infrastruktur, die Digitalisierung, der Klimawandel. Neben all dem genießt das Thema Bildung bei Ihnen besondere Priorität. Warum?

Sigl-Glöckner: Bei der Bildung fehlt einfach an allen Ecken und Enden das Geld. Und das finde ich schwer nachvollziehbar. Selbst wenn man das rein ökonomisch betrachtet: Unsere Kinder gut auszubilden, ist das Beste, was wir tun können. In frühkindliche Bildung zu investieren hat die Rendite eines Hedgefonds. Wir sollten dringend in die frühkindiche Bildung investieren und etwas dafür tun, dass Kinder ein gutes Sprachverständnis entwickeln und soziale Fähigkeiten, um dann gut durchzukommen in der Schule. Und wenn diese Kinder dann einen vernünftigen Abschluss machen, haben wir für unsere Wirtschaft gute Fachkräfte; Fachkräfte, die genug verdienen und keine Sozialhilfe brau- chen. Für mich ist es sehr schwer nachvollziehbar, wieso man das nicht macht.

Philippa Sigl-Glöckner posiert im Berliner Regierungsviertel
Philippa Sigl-Glöckner posiert im Berliner Regierungsviertel: Von 2018 bis 2020 arbeitete sie im Bundesfinanzministerium © Fionn Grosse

Wir haben gerade für die Bundeswehr 100 Milliarden in die Hand genommen ...

Sigl-Glöckner: Im Bildungsbereich kämen wir bereits mit 10 Milliarden ziemlich weit. Warum packen wir zum Beispiel nicht den Soli, ungefähr 11 Milliarden, da den heute ja nur noch die Bestverdienenden zahlen, gezielt in die Förderung der nächsten Generationen?

Viele Eltern sind besorgt über den hohen Ausländeranteil an öffentlichen Schulen; Lehrer arbeiten häufig am Rande der Möglichkeiten. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder lieber auf die Privatschule. Aus der individuellen Perspektive ist das nachvollziehbar. Ich selbst durfte zwei Jahre im Internat in England verbringen und habe sehr davon profitiert. Aber das kann es nicht sein. Die Chance, eine gute Ausbildung zu erhalten, sollte nicht von der Herkunft abhängen und der Geburtenlotterie. Sie haben das Stichwort Migration genannt. Was in diesem Zusammenhang geschieht, ist auch ökonomisch eine riesige Verschwendung von Potenzial. Diesen Leuten müssen wir eine Chance auf eine gute Ausbildung geben. Wenn das geschieht, dann können sie uns wirklich helfen. Pro Jahr müssen 500.000 Zuwanderer nach Deutschland kommen, sonst haben wir zu wenig Arbeitskräfte in diesem Land.

Unsere öffentlichen Schulen scheinen mit einer solchen großen Aufgabe ziemlich überfordert, aber die privaten Schulen und Unis boomen.

Sigl-Glöckner: Die Ausbildung beständig weiter in den privaten Sektor rücken zu lassen, finde ich gar nicht gut. Schauen wir uns zum Beispiel England an. Dort hat das zu einer durchaus problematischen Entwicklung in der Gesellschaft geführt. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir das, was wir uns hier erarbeitet und aufgebaut haben, mit aller Kraft erhalten. Als Sechzehnjährige war ich am Münchner Wilhelmsgymnasium, undes gab überhaupt keinen Grund, auf eine Privatschule zu gehen. Unser Unterricht fand statt, der war gut. Und heute höre ich, dass Unterrichtsausfall gang und gäbe ist, die Stunden nicht besetzt werden können. Da machen wir definitiv etwas falsch. Wir müssen dringend die Voraussetzungen dafür schaffen, damit sich das ändert. Mithilfe der Finanzpolitik, aber auch mit anderen gesellschaftspolitischen Stellschrauben.

 

 

„Es stehen Investitionsprojekte an, die uns in der Zukunft eindeutig einen großen Return bringen werden.“

Sie halten ein Plädoyer dafür, noch mehr Schulden zu machen, um schneller aus der Misere herauszukommen, die wir gerade erleben. Wie soll das gehen?

Sigl-Glöckner: Mir geht es nicht generell um mehr oder weniger Schulden. Das halte ich genau wie beim unternehmerischen Wirtschaften für falsch. Für das richtige Maß an Leverage, den Einsatz von Fremdkapital zur Steigerung der Eigenkapitalrendite einer Investition, gibt es kein pauschales Rezept. Momentan aber sind wir in Deutschland in einer Situation, wo sowohl die Investitionsmöglichkeiten als auch die Finanzierungsseite sehr stark dafür sprechen, dass wir mehr tun. Wir können uns zu günstigen Konditionen verschulden, auch jetzt noch, trotz Zinsanstieg. Es stehen Investitionsprojekte an, die uns in der Zukunft eindeutig einen großen Return bringen werden.

Zum Beispiel?

Sigl-Glöckner: Ganz vornan stehen meiner Ansicht nach Investitionen in eine günstige, stabile, ausreichende Energieversorgung. Wir sind Industrieland, da ist das eine Grundvoraussetzung. Außerdem sollten wir unseren Arbeitsmarkt voll auslasten und alles tun, was in der Finanzpolitik dazu beiträgt. Wenn wir weiter so arbeiten wie in der Vergangenheit, als etwa Frauen im erwerbstätigen Alter nur zu 50 Prozent tätig waren, ist das die falsche Vorgabe.

Wir leisten uns einen sehr kostenintensiven Staat, ein riesiges Parlament, bauen das ohnehin schon riesige Kanzleramt noch weiter aus. Muss das sein?

Sigl-Glöckner: So pauschal kann man das nicht sagen. Ganz im Gegenteil. Sie wären erschrocken von der Personalausstattung, die der Staat in manchen Bereichen hat, um wichtige Entscheidungen zu fällen. Da fehlt es oft an ein, zwei Personen, die Zeit haben ein Excel durchzurechnen. Oder wenn Sie mal ins Kanzleramt gehen und die Büros zählen, dann wissen sie, wieso da neue gebraucht werden. Da sitzen Kollegen in anderen Gebäuden weit weg. Aber es gibt an anderer Stelle absolut Punkte, wo man sich mal überlegen sollte, ob das nicht ein bisschen groß geraten ist.

Genauer bitte ...

Sigl-Glöckner: Nehmen Sie zum Beispiel die Bundesbank, die einstmals alle Aufgaben einer Zentralbank auszuführen hatte: Heute hat die Europäische Zentralbank viele davon übernommen. Die Bundesbank hat 11.000 Mitarbeiter, was ordentlich ist zum Vergleich mit dem Finanzministerium, wo aktuell ungefähr 2.000 Personen tätig sind. Da kann man schon
mal überlegen, ob diese Priorisierung richtig ist. Klar ist auch, dass wir uns häufig sehr komplizierte administrative Planungsprozesse leisten und in manchen Bereichen eine bemerkenswerte Trägheit vorherrscht. Wir sollten darauf achten, schneller zu werden und unsere Ressourcen gezielter einzusetzen.