Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner „In frühkindliche Bildung zu investieren, hat die Rendite eines Hedgefonds“

Die Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner ist Chefin der Denkwerkstatt „Dezernat Zukunft“.

Die Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner ist Geschäftsführerin der Denkwerkstatt „Dezernat Zukunft“. Foto: Fionn Grosse

Eine Krise jagt die nächste: Corona, Krieg, Klimakrise und dazu die Inflation. Ist dieser Irrsinn das neue Normal?

Philippa Sigl-Glöckner: Ja, ein bisschen schon. Das muss man ehrlicherweise so sagen. Auch wenn geopolitische Events grundsätzlich schwer zu prognostizieren sind. Sicherlich wird uns die Dekarbonisierung in den nächsten Jahren weiterhin sehr beschäftigen. Und wenn wir die Umwälzungen betrachten, die im Kapitalstock notwendig sind, etwa bei Immobilien und bei der Infrastruktur, dann sind die Herausforderungen massiv.

Mit Ihrer Denkfabrik Dezernat Zukunft plädieren Sie für einen grundlegenden Wandel in unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wie soll dieser Wandel aussehen?

Sigl-Glöckner: Wir brauchen eine Wirtschafts- und vor allem Finanzpolitik, die – wie ein Unternehmen – mit der Frage beginnt: Wo will ich hin, wie sieht mein Ziel aus? Entsprechend gestaltet man die Finanzen. Heute erleben wir bei den Staatsfinanzen indessen eine Art Schizophrenie. Die Politik setzt sich Ziele wie Klimaschutz, gute Jobs, gute Bildung und Kinderbetreuung, vernünftige Gesundheitsversorgung, vernünftige Bedingungen für die Unternehmen. Und dann geht die Finanzpolitik weitgehend getrennt davon ihren Weg. Das finde ich nicht so sinnvoll. Wir sollten versuchen, beides wieder mehr zusammenzubringen.

Auf welche Weise?

Sigl-Glöckner: Der Handlungsrahmen unserer Finanzpolitik ist stark von der Frage bestimmt, wie sehr der Staat sich verschulden darf. Wenn man tiefer in die technischen Details der Schuldenbremse reinschaut, dann steht da salopp gesagt drin: Ihr dürft nicht so viel ausgeben, dass mehr Menschen arbeiten als in der Vergangenheit. Angesichts der realwirtschaftlichen Herausforderungen und der ganzen Alterungsproblematik empfinde ich das als keine besonders zielführende Vorgabe.

Warum?

Sigl-Glöckner: Jeder, der heute arbeiten kann und möchte, sollte es tun. Je mehr die Leute in ihrem Erwerbsleben selbst verdienen, desto weniger muss der Staat im Alter subventionieren.
Ein anderer Bereich, in dem wir einen Zahn zulegen sollten, ist beim Zusammenspiel zwischen Staat und Unternehmen. Die allermeisten Investitionen in die Dekarbonisierung werden von den Unternehmen kommen. Aber damit die Unternehmen investieren können, brauchen sie Planungssicherheit, also verlässliche staatliche Voraussetzungen. Etwa bei erneuerbaren Energien.

Wenn ein Unternehmen seine industriellen Prozesse elektrifiziert, sollte es Sicherheit haben, dass dann auch ausreichend erneuerbarer Strom zur Verfügung steht. Der Ausbau der Erneuerbaren hängt aber sehr stark vom Staat ab, da er sich ohne öffentliche Gelder großteils noch nicht lohnt. Daher wäre es notwendig, einen klareren und langfristigeren staatlichen Investitionspfad vorzulegen, auf den sich die Wirtschaft einstellen kann. Aktuell geschieht das eher scheibchenweise.

 

Sind wir zu lahm geworden in Deutschland?

Sigl-Glöckner: Definitiv. Es ist prima, wenn man den Luxus hat, alles ganz lang zu bereden und zu betrachten, und am Ende jeder seine eigene Regel bekommt. In Zeiten, in denen nicht so viel Substanzielles zu erledigen ist, mag das okay sein. Aber heute steht viel auf dem Spiel. Gern wird in diesem Zusammenhang auf die USA verwiesen und dass da in den Märkten mehr Dynamik herrscht. Ich denke schon, dass auch bei uns eine etwas andere Herangehensweise angezeigt wäre.

Als Gegenentwurf zur grassierenden Resignation, Lethargie und der Flucht ins Private?

Sigl-Glöckner: Das würde ich nur teilweise unterschreiben wollen. Ganz so schlimm ist es nicht. Im Kontext meines Jobs habe ich häufig mit jüngeren Menschen zu tun. Die Leute sind sicherlich nicht überall positiv gestimmt, aber sie sind nicht lethargisch. Gerade das Thema Klima nehmen viele sehr ernst und wollen anpacken. Als ich 20 war, hatten wir andere Dinge im Kopf. Heute erleben wir einen anderen Grad von Politisierung. Gleichzeitig gibt es im Unternehmensbereich so viele junge Leute, die damit beschäftigt sind, interessante neue Geschäftsmodelle aufzuziehen, teilweise mit ziemlichen Risiken und viel Power. Vor zehn Jahren, da ging man ins Banking und das war‘s.

Fehlt es uns insgesamt an einer Art positivem Patriotismus?

Sigl-Glöckner: Ich denke schon, dass wir etwas mehr positiven Spirit vertragen könnten und eine Anpacker-Mentalität. Nicht immer lang und breit überlegen, wie groß die Aufgabe ist und ob wir das schaffen können, sondern sagen: wir machen das jetzt und jeder trägt seinen Teil bei. Das wäre schon toll.