„Thinking outside the box“ ist wohl etwas, das sich jeder gern auf die Fahnen schreibt. Tatsächlich aber neigen wir Menschen dazu, meist innerhalb der Grenzen vorhandener Kategorien zu denken. Dies gilt auch bei der Kapitalanlage, und ganz besonders im Anleihenbereich, wo die gängigen Kategorien von den Ratingagenturen vorgegeben werden.
Seit ihrer Entstehung zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts haben Ratingagenturen einen beinahe stetig wachsenden Einfluss auf die Bewertung von Emittenten von Schuldverschreibungen und den Schuldtiteln selbst erlangt. Die zeitweise aufgekommene Kritik während der Aufarbeitung der globalen Finanzkrise hat daran nur wenig geändert. Ratings sind zur Grundlage der Bewertung von Kreditrisiken und von Gegenparteirisiken bei Verträgen geworden, sie liegen der Definition mancher Anlagerichtlinie zugrunde und haben an vielen Stellen auch den Weg in die Finanzmarktregulierung gefunden.
Starre Grenze zwischen Investment Grade und High Yield
Trotz relativ fein unterteilter Bonitätskategorien denken die meisten Investoren in zwei Hauptkategorien: Investment Grade (IG) und High Yield (HY). Die Grenze verläuft zwischen den Ratingkategorien BBB, die noch IG ist, und BB, die bereits zu HY zählt. Faszinierend dabei ist, dass die meisten Investoren innerhalb einzelner Anlagestrategien diese Grenze nicht überschreiten, sondern sich meist nur auf einer Seite der Grenze aufhalten.
Diese scharfe Ziehung einer Grenze, basierend auf einer willkürlichen Barriere, die von Ratingagenturen gesetzt wurde, schafft Ineffizienzen – und eine neue Welt der Möglichkeiten: den Crossover-Bereich. Anleihen, deren Rating sich unmittelbar an der Grenze zwischen IG und HY befindet, sei es von „oben“ oder von „unten“, bilden gemeinsam einen Bereich, den wir Crossover-Anleihen nennen.
Dieser Bereich umfasst die am niedrigsten bewerteten Investment-Grade-Anleihen (beispielsweise BBB von S&P) bis hin zu den am höchsten bewerteten High-Yield-Anleihen (beispielsweise BB von S&P). Denn genau um diese Grenze herum können sich leicht Marktineffizienzen und damit vorübergehende Preisverzerrungen bilden, die ein aktiver Investor ausnutzen kann.
Ratingkategorien ziehen Ineffizienzen nach sich
Dies funktioniert natürlich nicht, wenn sich Investoren ausschließlich an die gängige Praxis halten, ihre Investment-Grade- und High-Yield-Mandate streng zu trennen. Um von den Möglichkeiten zu profitieren, die beide Welten gemeinsam bieten, ist eine spezielle Strategie erforderlich, die sich auf den Crossover-Bereich fokussiert. Eine solche Strategie nutzt Investitionsmöglichkeiten über den gesamten Ratingbereich hinweg, den wir als „6B“ bezeichnen: die Ratingkategorien BBB, BB und B.
Der Eckpfeiler einer solchen Strategie ist es, Kreditspreads und Bewertungsunterschiede zwischen den verschiedenen Ratingkategorien auszunutzen, um die besten risikobereinigten Renditen zu erzielen. Dies funktioniert, indem der Portfoliomanager diejenigen Instrumente mit den gesündesten Fundamentaldaten innerhalb des Universums erwirbt, die es zu einer möglichst vorteilhaften relativen Bewertung gibt.
Hohen relativen Wert von Anleihen identifizieren
Dieser Bottom-up-Ansatz führt zu einem konservativen Portfolio, das auf den soliden Fundamentaldaten der Kredite fußt. Darüber hinaus, um weniger abhängig von kurzfristigen politischen und makroökonomischen Entwicklungen sowie der damit verbundenen Volatilität zu sein, sollte ein Crossover-Portfolio kein Exposure gegenüber Finanzwerten enthalten – also keine Banken und Versicherungen.
Die Herausforderung besteht darin, den optimalen Bereich zu finden, den „Sweet Spot“, der das Beste aus beiden Welten vereint. Der idealtypische Fall des Investierens im Crossover-Bereich sind „Fallen Angels“ und „Rising Stars“. Denn die Veränderung in den Fundamentaldaten solcher Unternehmen, die mit der Neubewertung der Bonität durch die Ratingagentur erst offensichtlich wird, ist zuvor meist schon im Kreditspread eingepreist worden. Kluge Investoren können sich dies zunutze machen. Die „Fallen Angels“ und „Rising Stars“ sind jedoch längst nicht die einzige Opportunität in diesem Universum. Es gibt vielfältige Möglichkeiten – entscheidend ist immer der relative Wert, den eine Anleihe bieten kann.
Dabei sollte der primäre Fokus immer auf der Bewertung langfristiger Entwicklungen liegen, die das Kreditprofil eines Emittenten beeinflussen werden. Dabei sind vier Bereiche wichtig:
- Die geschäftliche Entwicklung: Hier schauen wir auf Branchendynamik, Position des Unternehmens, Technologievorsprung, Gewinntreiber, Wachstumstreiber und regulatorisches Risiko. Unternehmen, die aggressiv Marktanteile gewinnen wollen, oder auch Firmen mit hohem regulatorischem Risiko sind hier nicht erwünscht.
- Die Strategie: Diese analysieren wir in Bezug auf Geschäftsstrategie, Kommunikation, Offenlegung und Finanzierungsstrategie. Gesucht wird Konsistenz in Strategie, Berichterstattung und Kommunikation, Engagement für das Ratingziel und ein gezielter Einsatz von Kapital, um eine angemessene Kapitalstruktur zu erreichen. Aggressive Wachstumsziele, auf Akquisitionen basierende Wachstumsstrategien, Risiken außerhalb der Bilanz, übermäßiger Fokus auf Shareholder-Value und Expansion in nicht-verwandte Geschäftsbereiche sind nicht erwünscht.
- Die Finanzkennzahlen: Bei der Bewertung eines Emittenten überwachen und bewerten wir die aktuellen Quartalsergebnisse, unser Fokus liegt jedoch auf der Identifizierung mittel- bis langfristiger struktureller Veränderungen, die für die Kreditqualität entscheidend sind. Generell wird ein stabiler Cashflow, betriebliche Effizienz und Diversifikation gesucht, und es wird eine Szenarioanalyse durchgeführt, um die Sensitivität gegenüber geschäftsrelevanten Risiken zu bewerten.
- Die Struktur: Hier analysieren wir das Schuldenprofil, die Position der jeweiligen Anleihe in der Kapitalstruktur, die Verträge und die rechtliche Struktur. Gesucht werden diversifizierte Fälligkeitsprofile, sinnvolle Anleihebedingungen und eine transparente Unternehmensstruktur.
Der „Sweet Spot“ bei europäischen Credits: HY-Renditen mit IG-Risiken
Nur Anleihen, die als stark in ihren Fundamentaldaten und im relativen Wert angesehen werden, sollten einen Weg in das Portfolio finden. Dabei kann der Portfolio-Konstruktionsprozess entsprechend einfach gehalten werden und die Anleihen im Portfolio zunächst gleich gewichtet werden, denn es sollten ja ohnehin nur Titel gekauft werden, von deren fundamentaler Stärke und relativem Wert man überzeugt ist. Zwei Beispiele aus Deutschland, von denen das Management unserer Cross-Credit-Strategie überzeugt ist, sind per Ende 2023 etwa Anleihen des Baustoffherstellers Heidelberg Materials und des mittelständischen Pharma-Unternehmens Gruenenthal gewesen.
Wir halten es zudem wie bereits erwähnt für ratsam, Finanzwerte auszuschließen, da ihre Entwicklung oft kurzfristig und durch äußere Faktoren getrieben ist – beispielsweise im Zusammenhang mit regulatorischen Änderungen. Dies macht Finanzwerte ungeeignet für langfristige Buy-and-Hold-Investitionen, die die Basis für eine Crossover-Strategie sein sollten. Mit den hohen Transaktionskosten auf den Kreditmärkten sollte die Umschlaghäufigkeit des Portfolios über einen defensiven Auswahlansatz reduziert werden, mit dem Ziel, Anleihen möglichst bis zur Fälligkeit zu halten.
Das Ergebnis einer Anlagestrategie, die über Ratinggrenzen hinweg flexibel und zugleich in ihrem Fokus auf Fundamentaldaten diszipliniert ist, sollten erstrebenswerte risikoadjustierte Renditen sein. Renditen wie im HY-Bereich zu Risiken eines IG-Investments – das ist es, was eine „grenzüberschreitende“ Anleihenstrategie auszeichnet.
Über den Autor
Laurent Gorgemans ist seit 2020 globaler Leiter des Investmentmanagements bei Nordea Asset Management. Zuvor war er fast acht Jahre Leiter für institutionelle Mandate bei der