Im Bankensektor Nachranganleihen – ein Blick in den Maschinenraum

Svilen Katzarski

Svilen Katzarski ist Senior Portfoliomanager bei Blackpoint Asset Management. Foto: Christoph Fröhlich

Wie kommt es zu einer Entscheidung, in Nachranganleihen von Banken zu investieren? Im Jahr 2010 war es gängige Praxis für Analysten großer deutscher Banken, das Kleingedruckte in den Veröffentlichungen internationaler Großbanken zu prüfen, um den Anteil sogenannter Subprime-Kredite in den Bilanzen zu ermitteln. Analysten nutzten sytematisch Gelegenheiten zur Teilnahme an Calls oder persönlichen Gesprächen mit Vertretern der Banken, um den eigenen Informationsstand zu vertiefen.

Die damalige Fachwelt war stark von Themen wie der geld- und währungstheoretischen Reaktionsfunktion der Zentralbanken sowie der Finanzstabilität geprägt. An der Universität haben sich die Volkswirte mit dem Baseler Regelwerk Basel II intensiv auseinander gesetzt. In der Praxis waren die Anforderungen an das Fachwissen rapide gestiegen. Ein Schlüsselereignis in diesem Zusammenhang war ein Vortrag der Credit Suisse in Frankfurt, der sich auf regulatorische Entwicklungen im Finanzsektor konzentrierte. Die zentrale Aussage des Credit-Suisse-Analysten war, dass die bestehenden Tier-1-Anleihen der Banken die Anforderungen von Basel III nicht mehr erfüllen und durch neue nachrangige Anleihen ersetzt werden müssten – ein Prozess, der gravierende Auswirkungen auf die Bankenlandschaft haben würde.

Renditechancen „im Angesicht des Bösen“

In dieser Zeit hatte das Vertrauen der Investoren in die Bankenbranche seinen Tiefpunkt erreicht. Banken galten als Verursacher der globalen Finanzkrise, die Regierungen, Steuerzahler und die Realwirtschaft in erhebliche Schwierigkeiten stürzte. Der Markt für nachrangige Anleihen war nahezu zum Erliegen gekommen, was sich auch an den Handelsaktivitäten der Großbanken zeigte.

Direkt nach der Veranstaltung erweckte die Bewertung der Tier-1-Anleihen Aufmerksamkeit. Große Banken hielten damals noch umfangreiche Handelsbücher und fungierten als Market Maker. Auf Anfrage nach aktuellen Preisen bei einem Händler von Merrill Lynch zeigte sich dessen Überraschung: Es gab kaum mehr Interesse an diesem Markt. Dennoch war klar, dass der Druck auf die Banken, diese schwach bewerteten Anleihen vom Markt zu nehmen, eine einmalige Gelegenheit bot. Die potenziellen Renditen in einem Umfeld, das von Unsicherheit und Misstrauen geprägt war, eröffneten außergewöhnliche Chancen für interessierte Investoren – eine Rendite „im Angesicht des Bösen“.

Was ist eine Tier-1-Nachranganleihe?

So ganz sicher war die Rendite doch nicht. Zum einen mussten die Tier-1-Anleihen, die unter Basel III nicht mehr als Eigenkapital anerkannt würden, bestimmte Anforderungen erfüllen. Im Fokus der Aufsicht standen Tier-1-Anleihen, die mit einem „Step-up“ – eine Klausel, bei der der Kuponzins zu festgelegten Zeitpunkten oder unter bestimmten Bedingungen während der Laufzeit der Anleihe ansteigt – ausgestattet waren. Die Laufzeit der Tier 1 Bonds war unbegrenzt. Sie konnten ewig laufen und wurden daher von der Aufsicht als Eigenkapital angesehen. Man spricht von „Perpetuals“, also „Endlospapieren“. Der Emittent der Anleihen, die Bank, hatte in den Anleihebedingungen Kündigungsoptionen (Call-Optionen) eingebaut, so dass die Bank nach einer bestimmten Zeit, in der Regel alle fünf Jahre, diese Anleihen kündigen konnte.

Ein „Step-up“ bedeutete, dass die Bank nach Ablauf dieser Frist den Kupon der Anleihe in den meisten Fällen um 1,0 bis 2,5 Prozent anhob – praktisch eine selbst auferlegte Verteuerung. Und weil die Anleihen unbegrenzt liefen auch ein unausgesprochenes Versprechen, die Anleihen zu kündigen. Dieses Versprechen brach zum ersten Mal die Deutsche Bank im Dezember 2008 und kündigte ihre Nachranganleihe mit einem Nominal von einer Milliarde Euro nicht. Die Anleihe war eine sogenannte Lower-Tier-2-Anleihe, die der Emittent im Insolvenzfall hinter vorrangigen Verbindlichkeiten, aber vor Eigenkapital bedienen muss und das regulatorische Eigenkapital von Banken ergänzt. Dass die Deutsche Bank die Anleihe nicht kündigte, glich einem Erdbeben, das die Investoren erschütterte – als gesichert hingenommene Annahmen galten schlagartig nicht mehr.

Zweitens war damals Basel III noch in Planung. Nichts war wirklich beschlossen. Nach dem Beschluss des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht mussten die Regierungen die Regeln erst in den jeweiligen nationalen Gesetzen verankern. Im Jahr 2016 wurden die Mindestkapitalanforderungen beschlossen und in 2019 nochmals angepasst.

 

Drittens wollte die Aufsicht den Banken eine Übergangsphase von fünf bis acht Jahren je nach Anforderung einräumen (von 2013 bis 2022), in der die Anleihen weiterhin zumindest teilweise als zusätzliches Kernkapital gelten. Wenn man diese drei Besonderheiten verstand und berücksichtigte, konnte ein Portfoliomanager für seine Investoren den Grundstein für eine gute Rendite im Jahr 2011 legen.

Wie stark sind Banken eigentlich miteinander verflochten?

Tier-1-Anleihen notierten in den Jahren nach der Finanzkrise teilweise bei 50 bis 60 Prozent des Nennwerts. Normalerweise Preise, die auf einen Totalausfall hindeuten. Und hier wird es erst richtig interessant. Es gibt kaum einen Wirtschaftssektor, kaum eine Branche, die so stark reguliert und beaufsichtigt wird wie der Finanzsektor und insbesondere der Bankensektor. Das liegt daran, dass Banken eine wesentliche Rolle in der Realwirtschaft spielen. Banken ermöglichen es, das Angebot an Ersparnissen in einer Volkswirtschaft mit der Nachfrage nach Ersparnissen für Investitionen in Einklang zu bringen und treiben das reale Wachstum an.

Banken sind stark miteinander verflochten (siehe Grafik) und stehen in vielfältigen Geschäftsbeziehungen. Die Zinssätze, die auf dem Interbankenmarkt festgelegt werden, dienen als Referenzzinssätze für Kredite an Verbraucher, Unternehmen und Institutionen. Im Treasury-Bereich wird deutlich, wie essenziell die Zusammenarbeit zwischen Banken ist: Sei es für Swap-Geschäfte zur Glättung von Zinsrisiken oder zur Verleihung und Aufnahme überschüssiger kurzfristiger Liquidität.

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Zudem schließen sich Banken zu Konsortien zusammen, um Risiken zu teilen und größere oder besonders risikobehaftete Kredite zu vergeben. Zahlungsströme zwischen Instituten, beispielsweise zur Deckung von Margin-Konten, erfolgen täglich und unterstreichen die enge Verbindung innerhalb des Finanzsystems.

Die Stabilität und Integrität dieses stark vernetzten Systems zu gewährleisten, zählt zu den zentralen Aufgaben der Regulierungs- und Aufsichtsbehörden.

Die systemische Risikoprämie für Nachranganleihen

Es gibt die Vorstellung, dass Banken wie Dominosteine in einer Reihe stehen und dass immer dann, wenn einer umfällt, alle anderen zwangsläufig auch umfallen. Diese Vorstellung geht an der Realität vorbei. Banken unterstützen sich gegenseitig durch Geschäftsbeziehungen und den Austausch von Zahlungsströmen.

Sie erfüllen regulatorische Mindestkapital- und Liquiditätsanforderungen und werden laufend überwacht, kontrolliert und müssen vollständig ihre Bilanzen offenlegen. Das idiosynkratische Risiko des Ausfalls einer einzelnen Bank, insbesondere wenn sie eine wesentliche Rolle im Gesamtsystem spielt, ist daher stark begrenzt. Nichtdestotrotz gehen einzelne Banken pleite. Das Risiko des gleichzeitigen Ausfalls mehrerer Banken, der die Funktionsfähigkeit des gesamten Finanzsystems gefährdet, wird als systemisches Risiko bezeichnet.

Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Risiko eintritt, ist verschwindend gering. Die Verluste beziehungsweise der wirtschaftliche Schaden sind jedoch katastrophal, wenn das Risiko eintritt. Die Praxis zeigt, dass je enger die Banken miteinander verflochten sind, desto stärker und flexibler das System ist. Je dichter die Dominosteine aneinandergereiht sind, desto schwieriger ist es für einzelne Steine, umzufallen.

 

Die systemische Risikoprämie, die ein wesentlicher Bestandteil einer Investition in Banknachranganleihen ist, sollte daher stets ausreichend hoch sein. Als Indikator für die Gesamtrisikoprämie, die auch andere Risiken wie Liquidität oder spezifische Kreditrisiken abbildet, kann beispielsweise der Asset Swap Spread herangezogen werden. Der Asset Swap Spread bei Anleiheemissionen bezeichnet die Differenz zwischen der Rendite einer Anleihe und dem aktuellen Swap-Satz für die entsprechende Laufzeit, wodurch Analysten und Fondsmanager das Kreditrisiko der Anleihe im Vergleich zu einem risikofreien Zinssatz bewerten.

Im Dezember 2024, als der Autor diesen Beitrag erstellte, betrug der Asset Swap Spread für erstrangige Bankschuldverschreibungen im Durchschnitt rund 1,15 Prozent. Für die in der Kapitalstruktur nachrangigen Tier-2-Anleihen beträgt der Asset Swap Spread rund 1,55 Prozent. Die Tier-1-Anleihen haben einen Asset Swap Spread von rund 3,6 Prozent. Jedoch stiegen die Risikoprämien in 2010 deutlich. Investoren preisten einen Systemausfall ein. Eine gute Gelegenheit zu investieren, wenn man diese Befürchtung nicht teilt, sowie selektiv und nach den Grundsätzen der Portfoliotheorie vorgeht.

Basierend auf dieser Marktanalyse wurde einer der ersten Publikumsfonds in Deutschland aufgelegt, der sich ausschließlich auf nachrangige Investmentgrade-Anleihen (Emissionen in Euro) von Banken konzentrierte. Der Fonds „Banken Fokus Basel III“ erzielte beispielsweise im Laufe der Jahre beachtliche Erfolge.

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Coco Bonds und das Prinzip des „going concern”

Nicht jede Bank besitzt eine signifikante Systemrelevanz. Eine Bank kann zwar die Rolle eines nationalen Champions erfüllen, jedoch für das globale Finanzsystem unbedeutend sein. Im Zuge der Marktbeobachtungen und Analysen investierten die Fondsmanager seinerzeit in Banken verschiedener Länder, darunter Griechenland, Portugal, Italien, Spanien, die Türkei und Irland. Dies erwies sich als sehr erfolgreiche Strategie, da die Anleihen nach der ausgestandenen Finanz- sowie Euroschuldenkrise eine deutliche Wertaufholung erfuhren.

Nach dem Inkrafttreten von Basel III und der Umsetzung in nationales Recht richtete sich der Fokus auf die neuen nachrangigen Anleihen, die sogenannten Additional Tier 1 Bonds (AT1). Diese Anleihen sind weiterhin Perpetuals, besitzen jedoch keinen Step-up.

Die Anleihebedingungen enthalten eine zusätzliche Klausel, die die Rückzahlung des Nominals an eine Mindestschwelle des Eigenkapitals der Bank bindet, beispielsweise an eine Eigenkapitalquote von 7 Prozent. In solchen Fällen handelt es sich um sogenannte „Coco-Anleihen“. Coco steht für Conditional Convertibles. Darüber hinaus ermöglicht Basel III den Aufsichtsbehörden, diese Anleihen jederzeit ganz oder teilweise abzuschreiben, auch wenn die Kernkapitalquote über der Mindestanforderung oder der in den Anleihebedingungen festgelegten Schwelle liegt.

 

Das bedeutet: Additional Tier 1 Bonds sollen nicht erst im Fall eines Bankausfalls abgeschrieben werden, sondern bereits dann, wenn erste Anzeichen auftreten, dass die Bank in Schwierigkeiten geraten könnte. Ziel ist es, eventuelle Verluste auf die Investoren zu übertragen, anstatt den Steuerzahler zu belasten. Gleichzeitig soll die Bank weiterhin handlungsfähig bleiben und ein Konkurs vermieden werden – das Prinzip des „going concern“.

Basel II hingegen postuliert das „gone concern“-Prinzip. Im Falle eines Ausfalls sollen Aktionäre und Nachranghalter die Verluste tragen. In der Praxis sind die Basel-III-Regeln bei systemrelevanten Banken erst zweimal zum Tragen gekommen. Beim ersten Mal übernahm die spanische Bank Santander 2017 die ebenfalls spanische Banco Popular für einen Euro. Im zweiten Fall übernahm die Schweizer Bank UBS mit staatlicher Unterstützung die Credit Suisse für rund drei Milliarden Euro im Jahr 2023. In beiden Fällen wurden die Additional Tier 1 Bonds vollständig abgeschrieben, obwohl der Betrieb der Bank fortgeführt wurde. Bei der Credit Suisse hatten die AT1-Anleihen einen Nominalwert von 16 Milliarden Euro und machten rund 7 Prozent des insgesamt rund 220 Milliarden Euro großen AT1-Marktes aus. Bei Banco Popular waren es 1,25 Milliarden Euro und rund 1 Prozent des AT1-Marktes.

Sicht der Aufsicht auf AT1-Anleihen 

Es gibt Skeptiker, die AT1-Anleihen für ein ungeeignetes Instrument halten, um die Kernkapitalquote einer Bank zum richtigen Zeitpunkt zu stützen. Die beiden oben beschriebenen Fälle haben jedoch gezeigt, dass dies durchaus möglich ist. In beiden Fällen ist das Gesamtsystem nicht zusammengebrochen. Es ist nicht zu einem zweiten „Lehman Brothers“-Event gekommen, wie zu Beginn der Finanzkrise als die US-Investmentbank pleite ging und eine Spirale von Abwärtsbewegungen an den Börsen auslöste.

Andere argumentieren, dass es die mangelnde Liquidität ist, die eine Bank zu Fall bringt, und nicht das fehlende Kapital. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Ist das Vertrauen in das Geschäftsmodell einer Bank erst einmal erschüttert, ist es nahezu unmöglich, den Abfluss liquider Vermögenswerte und damit einen „Bank run“ zu stoppen und gegenzusteuern.

Deregulierung in Sicht?

Die Kapitalisierung der Banken hat sich nach der globalen Finanzkrise insgesamt fast vervierfacht. Anfang 2009 lag die durchschnittliche Kapitalisierung nach Basel III bei etwas mehr als 4 Prozent gemessen an den Risikoaktiva. Heute liegt die durchschnittliche Kapitalisierung bei knapp 15 Prozent. In einigen Fällen liegt die Eigenkapitalquote sogar bei über 20 Prozent. Die Mindestanforderungen an das Eigenkapital, die Liquidität und die Höhe der Reserven, die für mögliche Kreditausfälle vorgehalten werden müssen, sind enorm gestiegen. Dies geht so weit, dass die Aufsichtsbehörden selbst allmählich der Meinung sind, dass diese Maßnahmen übertrieben sind und etwas reduziert werden können.

Einige US-Kreditinstitute, allen voran J.P. Morgan Chase & Co, planen, den Anteil von Vorzugsaktien – ihrer eigenen Variante von AT1-Anleihen, die auf das regulatorische Kapital angerechnet werden – zu halbieren. Die Erwartung ist laut Bloomberg, dass die Vorschriften zugunsten der Banken revidiert werden und weniger belastend als ursprünglich geplant ausfallen. Die australische Aufsichtsbehörde APRA (Australian Prudential Regulation Authority) beispielsweise hat unlängst bestätigt, dass sie die Verwendung von Additional-Tier-1-Kapitalinstrumenten auslaufen lassen wird, um die Wirksamkeit des Bankkapitals im Krisenfall „zu vereinfachen und zu verbessern“.

Bei hoher Kapitalisierung, hoher Liquidität und der Aussicht auf Deregulierung könnte eine Investition in nachrangige Anleihen von Banken, nicht nur opportunistisch, sondern auch strategisch, empfehlenswert sein. Vor allem dann, wenn die eingekaufte Rendite mindestens die systemische Risikoprämie übersteigt.


Über den Gastautor:

Svilen Katzarski ist seit Dezember 2024 Senior Portfoliomanager bei Blackpoint Asset Management. Er war zuvor 16 Jahre leitender Fondsmanager bei der Degussa Bank, in dieser Zeit wurden ihm über 30 Auszeichnungen in vier unterschiedlichen Fondskategorien verliehen. Seine Fonds zählten über sämtliche Zeiträume konstant zu den besten 1 Prozent ihrer Morningstar-Vergleichsgruppen.

 

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