Nachhaltigkeits-Roundtable „Es ist mühsam, eine Haltung zu finden“

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Geht es ohne einen Standard für Nachhaltigkeit?

Dittrich: Beim Thema ESG kann man unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Das ist bei der jüngsten UN-PRI-Konferenz deutlich geworden. Die Amerikaner betonten dort das Governance-Thema und damit die verantwortungsvolle Unternehmensführung. In Südafrika diskutiert man über die Nachhaltigkeit im Bergbau und bei Minen, aber nicht unter Umweltaspekten, sondern unter dem Thema Soziales; es geht um die Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen, um die Arbeitsbedingungen, um die Zahl der Arbeitsunfälle. Jeder Investor muss sich im Klaren darüber sein, was sein wichtigster Punkt ist oder ob er das E, das S und das G von ESG gleich gewichtet. Wir als Umweltstiftung legen den Schwerpunkt auf das E.

Stremlau: Die Bafin schreibt nicht vor, was ESG im Detail ist. Sie nimmt uns das Denken nicht ab. Und das ist auch gut so. Denn so lässt sie den Akteuren Spielraum. Die Aufseher erkennen damit auch an, dass Nachhaltigkeit etwas Prozesshaftes hat und etwas kulturell Geprägtes. Eine kirchliche Organisation setzt andere Schwerpunkte als eine Umweltstiftung. Die Bafin verlangt von Investoren, eine Haltung zu entwickeln, und fordert sie auf, angemessene Risikomodelle zu entwerfen und Chancen zu suchen. Eine Standardisierung, wie sie auch von der geplanten EU-Taxonomie ausgehen würde, geht mit der Gefahr einher, dass sie die individuellen Freiheiten einschränkt und zu mehr Mainstream führt.

Fritz: Ich begrüße es, wenn die Aufsicht Details ganz bewusst nicht reguliert. Es ist eine Stärke unserer Gesellschaft, Raum für Eigenverantwortung zu lassen. Außerdem ist die Investorenlandschaft zu facettenreich für ein universelles Prinzip. Ich kann alle verstehen, die vor der Umsetzung von Nachhaltigkeitskonzepten Respekt haben. Das Thema ist komplex und hat eine sehr hohe Dynamik. Aber es gibt immer mehr Daten, auf die man zugreifen kann. Das Mühsame für Anleger ohne eigenes Wertegerüst ist gar nicht so sehr die Komplexität. Es macht Mühe, eine Haltung zu entwickeln, seine Weltanschauung zu fixieren und sich festzulegen. Das kennt man aus der konventionellen Kapitalanlage eigentlich nicht.

Hesse: Interessanterweise ist die Standardisierung auf EU-Ebene ins Stocken geraten. Die EU-Mitgliedstaaten haben die für 2020 geplante Taxonomie auf 2022 verschoben. Ob das Klassifizierungssystem dann kommt, lässt sich heute noch nicht sagen. Daher besteht an dieser Stelle für weitere zwei Jahre eine Vakanz. SD-M hat im Auftrag des Bundesumweltministeriums einen globalen Mindeststandard für drei wesentliche Nachhaltigkeitsindikatoren pro Branche entwickelt, den SD-KPI Standard 2016 bis 2021. Denn die Realwirtschaft, die die EU mit ihrem Aktionsplan Sustainable Finance auch steuern will, braucht Signale von Großanlegern. Wenn jeder seine nachhaltige Anlage selbst definiert, weiß die Wirtschaft nicht, wie sie sich verhalten soll.

Wie müssten Mindeststandards in der Praxis aussehen?

Hesse: Ein Mindeststandard muss auf die performance-relevanten Faktoren abstellen, zum Beispiel besagte SD-KPIs. Der Mainstream-Anleger kann diese in seine Kapitalanlagen integrieren und muss seine bestehende Anlagestruktur nicht umbauen.

Stremlau: Aber ebenso wie der im Jahr 2000 gegründete Global Compact der Vereinten Nationen sind auch die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, die SDGs, eine klare Marschrichtung für die Realwirtschaft. Es gibt zahlreiche Unternehmen, die nach den am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Zielen berichten und erläutern, welchen Beitrag sie leisten.