Gigantische Investitionen in Verteidigung Nachhaltigkeit neu bewerten: ESG-Strategien angesichts geopolitischer Unsicherheit

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Gigantische Investitionen in Verteidigung
Nachhaltigkeit neu bewerten: ESG-Strategien angesichts geopolitischer Unsicherheit
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Christoph Betz, Partner bei KPMG

Christoph Betz, Partner bei KPMG, analysiert das Spannungsfeld zwischen den Bereichen ESG und Sicherheit Foto: KPMG

Verteidigungsausgaben ab einem Prozent des BIP werden von der im Grundgesetz verankerten Verschuldungsregel ausgenommen. Für Banken drängt sich die Frage auf: Wie können sie die neuen Rahmenbedingungen in der Kreditvergabe berücksichtigen und zugleich auf ESG-Kurs bleiben? 

Investitionen historischen Ausmaßes und gelockerte Schuldenbremse

Der Deutsche Bundestag hat am 18. März 2025, nur wenige Tage vor dem Zusammentritt des künftigen Bundestages, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes gebilligt und damit ein Investitionspaket historischen Ausmaßes und eine Lockerung der Schuldenbremse ermöglicht. In den kommenden zehn Jahren werden Mittel in Höhe von rund einer Billion Euro in Infrastruktur und Verteidigung fließen.

Für die Wirtschaft sind die Maßnahmen ein klares Signal: Rüstungsunternehmen, Baufirmen und zugehörige Dienstleister können jetzt Geld in die Hand nehmen und kräftig investieren – in Fachkräfte, den Ausbau von Werkshallen, neue Maschinen oder Baustoffe. Dabei kommt den Banken die wichtige Aufgabe zu, die Unternehmen schon heute mit Krediten auszustatten und die Expansion der Wirtschaft zu finanzieren.

 

Doch nach welchen Kriterien gehen Banken vor? Das interessiert besonders in Bezug auf die Finanzierung sicherheitsrelevanter Industrien. Denn: ESG is here to stay! In den vergangenen fünf Jahren haben sich Nachhaltigkeitskriterien im Kreditgeschäft der Banken etabliert. Auch in Zukunft wird das Thema nicht an Relevanz einbüßen, denn ESG ist ein wichtiger Faktor bei der Transformation der Wirtschaft.

Doch die neuen geopolitischen Verhältnisse regen zu einem Umdenken an. Besonders die Finanzierung sicherheitsrelevanter Industrien verlangt eine präzisere ESG-Einordnung, da klassische Ausschlusskriterien an ihre Grenzen stoßen.

Ein neues ESG-Verständnis setzt sich durch

Seit der ersten ESG-Welle im Jahr 2020 sind Banken bemüht, Unternehmen und deren Aktivitäten nach Nachhaltigkeitskriterien zu bewerten, vereinfacht gesagt als „grün“ oder „braun“ einzustufen – in Abhängigkeit ihrer positiven oder negativen ESG-Bilanz. Diese Herangehensweise hat sich vor allem in der EU durchgesetzt.

Richtungsweisend ist die EU-Taxonomie, die wirtschaftliche Tätigkeiten nach ihrer ökologischen Nachhaltigkeit und sozialen Mindeststandards bewertet. Daneben haben Banken auch eigene Rahmenwerke – oft Sustainable Finance Frameworks genannt – etabliert, um ihre Finanzierungsaktivitäten nach ESG-Aspekten, insbesondere mit Blick auf potenzielle positive oder negative Auswirkungen, zu klassifizieren.

Anders verhält es sich in den USA. Dort verfolgt man traditionell einen ökonomisch orientierten Ansatz im Umgang mit ESG. Das bedeutet: Investoren und Banken überprüfen bei ihren Investmententscheidungen, ob ESG-Aspekte finanzielle Auswirkungen haben oder nicht. Konkret: Wie beeinflusst es das Geschäft eines Unternehmens, wenn zum Beispiel der CO2-Ausstoß überdurchschnittlich hoch oder niedrig ist?

Lassen sich auf lange Sicht finanzielle Auswirkungen auf das Geschäftsmodell und damit die Resilienz des Unternehmens voraussehen, wird ESG berücksichtigt. Ist dies nicht der Fall, tritt es in den Hintergrund. Das ist ein fundamentaler Unterschied zum europäischen Ansatz, bei dem auch positive und negative Auswirkungen unabhängig von deren finanzieller Relevanz betrachtet werden.

Kontext matters: ESG im Licht der Geopolitik

Beide Ansätze haben ihr Für und Wider. Es geht nicht um eine Wertung, sondern um den Versuch, ein realistisches Bild vom Status quo einzufangen. Denn derzeit lässt sich ein Wandel beobachten. Das ökonomisch orientierte ESG-Verständnis, wie es für die USA typisch ist, scheint auch in der EU verstärkt Fuß zu fassen. Das hängt eng zusammen mit den jüngsten geopolitischen Entwicklungen.

Seit der russischen Invasion in die Ukraine werden die Rufe nach Unterstützung der Rüstungsindustrie lauter. Mit den neuen Emissionen durch den Staat steigt der Druck für Banken weiter, sicherheitsrelevante Industrien mit Krediten auszustatten.

In dieser neuen Gemengelage tritt auch das Reputationsrisiko in den Hintergrund. Der Blick auf die Finanzierung von Rüstung und Waffen hat sich geändert. Viele Deutsche befürworten Rüstungsexporte und eine stärkere Ausstattung für die Bundeswehr. Das hat zum einen die politische Debatte verändert. Zum anderen wirft es abermals die Frage auf, ob die Finanzierung von Rüstung und Waffen mit dem „S“ in ESG konform ist.

Von regulatorischer Seite wurden bereits erste Anpassungen vorgenommen. Schon vor der russischen Invasion in die Ukraine weichte der Expertenrat der Europäischen Kommission die Formulierung im Abschlussbericht zur Sozial-Taxonomie auf. Wirtschaftstätigkeiten werden darin nur noch als „socially harmful“ eingestuft, wenn es sich dabei um Waffen oder Kampfstoffe handelt, die nicht den internationalen Konventionen entsprechen. Dieser Umstand öffnet die Tür für Finanzinstitute, ihre Kreditvergabestandards zu überdenken.

So können Banken mit den veränderten Rahmenbedingungen umgehen

Die jüngsten Ereignisse zeigen: Die Debatte um ESG-Standards ist äußerst dynamisch. Banken sollten daher in der Lage sein, die eigenen Ausschlusskriterien und Mindeststandards permanent zu hinterfragen und neu zu justieren. Dabei geht es keineswegs darum, diese aufzuweichen und der Beliebigkeit preiszugeben.

 

Es sind weiterhin klare Richtlinien nötig, die sowohl eine differenzierte Bewertung sicherheitsrelevanter Finanzierung ermöglichen als auch ausreichend Ermessensspielraum lassen. Nur so können Banken gewährleisten, dass ihre ESG-Prüfungen weiterhin transparent und nachvollziehbar bleiben – und das in einem Umfeld, das zunehmend komplexer wird.

Was Banken außerdem stärker in ihre Geschäftspraxis integrieren sollten, ist die Analyse ihrer Portfoliostruktur: Sind bestehende Ober- oder Untergrenzen für bestimmte Sektoren noch zeitgemäß? Welche Zielkonflikte entstehen, beispielsweise zwischen Klimazielen und Sicherheitsbedürfnissen, und wie lassen sich diese im Portfolio abbilden? Hier ist sowohl Transparenz als auch Flexibilität gefragt.

Nachhaltigkeit im Flux, aber das Ziel nicht aus den Augen verlieren

Die Welt befindet sich im Umbruch: Die USA sind nicht mehr der verlässliche Partner von einst, es bilden sich neue politische Allianzen und die EU ist gezwungen, selbst für die Sicherheit ihrer Außengrenzen zu sorgen. Jeder Tag bringt neue Nachrichten, die aufhorchen lassen. Finanzinstitute müssen dieser neuen geopolitischen Unsicherheit Rechnung zollen. Sie müssen Standards fortlaufend hinterfragen. In Sachen Rüstungsfinanzierung gilt es, flexibel zu sein, um Unternehmen das notwendige Kapital zur Verfügung zu stellen.

Bei all diesen Veränderungen sollten Banken jedoch das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Nachhaltigkeitskriterien müssen weiterhin Kern ihres Handelns bleiben. Denn auch die geopolitische Lage ändert nichts an der Tatsache, dass sich die Finanzbranche in eine nachhaltigere Zukunft aufmachen muss.


Über den Autor:

Christoph Betz leitet als Partner bei KPMG den Bereich Financial Services Transformation & Performance und Experte für strategische, regulatorische und prozessuale Fragestellungen im Kapitalmarkt- und Wertpapiergeschäft von Banken.

Darüber hinaus leitet er die ESG Practice im Bankenbereich von KPMG Deutschland sowie das KPMG Financial Services ESG Hub in der EMA-Region. Im Themengebiet ESG liegt sein Beratungsschwerpunkt auf Fragestellungen der ESG-Strategie, -Governance, -Steuerung sowie ESG-Produkten.

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