Nachhaltigkeit als Chance Was der Mittelstand vom Versagen der Konzerne lernen kann

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Kapitalmarkt drängt auf Transparenz

Bei genauer Prüfung ist es dann häufig wie mit Abgaswerten beim Auto: es ging lange um ein „gutes Gefühl“, wie der Rheinländer sagen würde. Der Kunde glaubt zwar durchaus nicht alles, was er liest, will aber dennoch ein Produkt, das ihm zumindest das Gefühl vermittelt, dass der Kauf des Produkts keine Sünde ist – nicht im Feld Umwelt, nicht im Feld Soziales und auf jeden Fall bezahlbar.

Wenn klar wird, dass die Versprechen trügen, ist das Geschrei regelmäßig groß. Doch neben dem „guten Gefühl“, das von Unternehmen auch häufig durch Pilotprojekte untermalt wird, die in der Regel in der Dritten Welt gefördert und dann medial genutzt werden, um Kunden zu gefallen, ist es der Kapitalmarkt, der auf Transparenz auch jenseits der herkömmlichen Finanzkennzahlen drängt.

Der Druck auf die Unternehmen soll sicherstellen, dass sich Unternehmen mit all ihre Risiken auseinandersetzen, sie kennen und steuern. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass nicht allein die Politik empfindlicher darauf reagiert, wenn Gewinne den Unternehmen zufließen, die Probleme, die sie wirtschaftlich und gesellschaftlich verursachen, von der Gesellschaft abgefangen werden sollen – sprich vom Steuerzahler.

Nachhaltigkeit als „Gedöns“ abgetan

Das Interesse des Kapitalmarkts an Finanzkennzahlen muss man in Führungsetagen nicht erklären. Die Verantwortlichen interessieren sich selbst dafür und fassen sie jährlich im Geschäftsbericht zusammen. Mit den Kennzahlen, die inzwischen im meist separat erscheinenden Nachhaltigkeitsbericht präsentiert werden, sieht es schon anders aus. Sie wurden in den vergangenen Jahren als „nicht finanzielle Kennzahlen“ bezeichnet und verkannt. Von den Führungsetagen wurden sie auch genauso behandelt: als finanziell nicht relevant.

Für Top-Manager mit Fünf-Jahres-Verträgen ist eine solche Betrachtung durchaus nachvollziehbar. Zahlen zu Mitarbeitervielfalt und Gesundheit, Menschenrechten, Lieferketten, Emissionen oder Biodiversität sind für sie häufig noch immer das, was einst ein deutscher Bundeskanzler mit „Gedöns“ abtat oder einfach lästig. Am Ende müssten nur Qualität und Preis stimmen. Doch Skandale, von den Medien in das Bewusstsein der Kunden, Aktionäre und Gesellschaft gebracht, machen deutlich, dass mit „soft issues“ plötzlich „hardball“ gespielt wird.

Heute Schummelei, morgen Milliardenklage

Was heute kostengünstige Produktionsstätten in Übersee sind, ist morgen schon der PR-Gau durch einstürzende Neubauten, Verletzte und Tote – Fernsehberichterstattung inklusive. Was gestern noch als „Schummelei“ bei Dieselabgasen betrachtet wurde, ist heute die Milliardenklage wegen Betrugs und ein unabsehbarer Schaden an einer Marke, die wie kaum eine andere für Made in Germany steht. „Nicht-finanzielle“ Kennzahlen entpuppen sich über Nacht zu dem, was sie immer waren, nämlich „extra-finanzielle Kennzahlen“.

Wenn lückenhaft, schlecht oder gar nicht gemanagt, werden sie in der Zukunft nicht nur erneut Bilanzen belasten, sondern auch weiterhin dazu führen, dass eine kritische Öffentlichkeit Aufsichtsräten, Managern und Marken mit stetig wachsendem Misstrauen begegnet. Und auch der Begriff Nachhaltigkeit hat durch diese Skandale erheblichen Schaden genommen. Ihm wird ebenfalls mit Argwohn begegnet.

Was manch kritischer Beobachter zurecht als Nachhaltigkeits-Zirkus betrachtet, verunsichert auch gerade kleinere und mittelständische Unternehmen: Nachhaltigkeitsmanagement wird hier häufig als „grüne Ideologie“, „Bürokratismus“, oder als „unnütz“ diffamiert. Und in dieser Auffassung verbrüdert sich der Mittelstand mit dem Top-Management diverser börsennotierter Unternehmen. Von letzteren wird erwartet, dass sie immerhin so tun, als hätten sie verstanden, worum es geht, weil der Regulierer und der Kapitalmarkt das so erwarten.

Doch der Mittelstand fühlt sich in der Regel nicht berufen, da mitzuspielen. Manche Unternehmer sind entweder wirkliche Überzeugungstäter – denn die gibt es auch! Oder sie halten sich das Thema vom Leibe, weil sie dem misstrauen, was sie sehen und hören und womit die großen Brüder, die Konzerne, sich offenkundig selbst immer wieder in die Nesseln setzen. Die Monstranz Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen hat sich schon nach wenigen Jahrzehnten vieler orten als Mogelpackung disqualifiziert.