Die EU-Richtlinie Mifid II verpflichtet Finanzberater seit August 2022, die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden abzufragen – doch diese Vorgabe läuft weitgehend ins Leere. Das belegt eine noch unveröffentlichte Studie der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance, die auf mehr als 400 Mystery-Shopping-Gesprächen basiert und dem „Tagesspiegel“ vorliegt.–
Vermittelte Produkte passen nicht zu Nachhaltigkeitspräferenzen
Die Ergebnisse offenbaren Schwachstellen in der Beratung: Lediglich 47 Prozent der vorgeschlagenen Produkte entsprachen den Nachhaltigkeitserwartungen der Testkunden. Die Berater notierten die Präferenzen oft fehlerhaft und wählten anschließend Produkte aus, die zu diesen falschen Dokumentationen passten.
Banken mit Fokus auf hauseigene Produkte schnitten in der Studie besonders schlecht ab. Ihre Berater unterbreiteten den Testkäufern deutlich seltener geeignete, nachhaltige Anlagevorschläge. Ein überraschendes Ergebnis: Intervenierten Kunden, wenn sie nicht zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen befragt wurden, erhöhte dies die Wahrscheinlichkeit einer Fehldokumentation. Ihre Präferenzen wurden dann, wie in Mifid II vorgesehen, abgefragt.
Auch die persönliche Haltung der Berater bedingte nach Wahrnehmung der Testkunden, ob passende nachhaltige Anlageprodukte empfohlen wurden. Nahmen die Testkunden eine positive Einstellung zu nachhaltigen Anlagen wahr, war dies häufiger der Fall.
Kompetenter zeigten sich die Berater laut Studie dagegen bei den klassischen Anlagekriterien: 87 Prozent der empfohlenen Produkte stimmten mit den Risikovorgaben der Kunden überein. Die Wissenschaftsplattform beschränkte ihre Untersuchung auf Bankberater. Versicherungsberater, die nach der IDD-Richtlinie ähnliche Vorgaben erfüllen müssen, waren nicht Gegenstand der Studie. Die Untersuchung fand zwischen März und August 2023 statt.
Studienautoren: Beratungsgespräche stärker kontrollieren
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass die Mifid-II-Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberatung ihre beabsichtigte Wirkung bislang verfehlen. Die Autoren empfehlen, die Qualität der Beratungsgespräche stärker zu kontrollieren.
Die dafür zuständige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hatte im vergangenen Jahr Ergebnisse einer Mystery-Shopping-Tour veröffentlicht, die in puncto Nachhaltigkeitspräferenzabfrage ein etwas besseres Bild zeichneten: Positiv stach damals heraus, dass 87 Prozent der Testkunden – wie gesetzlich vorgeschrieben – zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen befragt worden seien. Auch hatten die Berater ihre Empfehlungen überwiegend auf die Vorlieben der Kunden abgestimmt.
Eine Umfrage des Fintechs Oxford Risk war 2023 zu dem Schluss gekommen, dass viele Vermögensverwalter sich schwer damit tun, die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden in ihre Prozesse einzubeziehen. Viele Unternehmen hätten keinen Zugang zu Tools oder Software, um die ESG-Präferenzen ihrer Kunden zu bewerten.