Analyse Nach Vorschlag der EU-Kommission: Solvency II auf Abwegen

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Für Lebensversicherer gilt das Prudent Person Principle, das heißt der Grundsatz der Rentabilität, Sicherheit, Liquidität und Qualität bei der Anlage der von Kunden anvertrauten Finanzmittel. Allein unter dem Aspekt der Rentabilität scheint es geradezu geboten, die Arbitragemöglichkeit mittels Bargeld zu nutzen, sollte das Zinsniveau noch weiter absinken. Somit vernachlässigt die Regulierung künftig diese Realoption, die jedem Anleger derzeit faktisch und rechtlich zur Verfügung steht.

Ein gelegentlich vorgetragenes Argument, es sei noch nicht zu beobachten, dass Lebensversicherer bereits in nennenswertem Umfang Bargeld horten und daher käme das Instrument praktisch nicht in Frage, geht dagegen ins Leere: Zum Glück schaffen es die meisten Gesellschaften, durch sehr langfristige Zinsanlagen, durch die Kombination mit einer Illiquiditätsprämie oder mit Risikoprämien aus Aktien/Immobilien/Beteiligungen auch in der Neuanlage Renditen deutlich über dem Nullpunkt zu erwirtschaften, sodass eine Bargeldhaltung noch nicht nötig ist.

Das Solvenzmodell unterstellt, dass Aktien lediglich den gleichen erwarteten Ertrag abwerfen wie sichere Anleihen

Erste Erfahrungen bei Schadenversicherern, die ihre Gelder nicht so langfristig anlegen können, zeigen jedoch, dass das Bargeld-Modell grundsätzlich durchaus praktikabel ist. Man muss festhalten: Es gibt beim Thema Zins eben nicht nur die eine Wahrheit, die an den Swapsätzen oder Renditen von Staatsanleihen abzulesen wäre, es gibt diesen Dualismus des Zinsfloors von 0 Prozent – abzüglich Koste – über Bargeldhaltung. Und genau dieser wird de facto vom derzeitigen Zinsstress angemessen abgebildet, der bereits negative Bereiche der Zinskurve aus gutem Grund nicht einem weiteren Stress aussetzt.

Man könnte im Gegenzug diskutieren, ob nicht eher die gesamte Zinskurve bei 0 Prozent mit einem Floor versehen werden müsste, gleiches gilt für Kapitalmarktpfade im Zuge der stochastischen Modellierung der Optionen und Garantien bei der Ermittlung des Werts der versicherungstechnischen Rückstellungen, die auch bisher bereits massiv negative Zinsen abbilden.


Kommen wir zu einem weiteren heiklen Punkt des Reviews im Zusammenhang mit der Zinskurve, dem sogenannten Volatility Adjustment (VA) – einem Aufschlag auf den liquiden Teil der Zinskurve, der dem Erwirtschaften von – ausfallrisikobereinigten – Spreads auf Staats- und Unternehmensanleihen Rechnung tragen soll. Soweit eine grundsätzlich sinnhafte Idee. Problematisch wird es jedoch, wenn die dynamische Verwendung dieses VA nur einem Teil der Unternehmen, nämlich jenen mit (partiellem) internem Modell vorbehalten bleibt.

Dabei wird bei der Ermittlung des durchaus quantitativ sehr relevanten Spread-Risikos der aus der Ausweitung der Spreads kommende Effekt zum großen Teil durch eine Erhöhung des VA, also eine höhere Diskontierung der Verpflichtungen, ausgeglichen. Im Sinne eines Level Playing Field sollte das allen Marktteilnehmern offenstehen, denn es führt derzeit dazu, dass Solvenzquoten mit VA zwischen Anwendern interner Modelle und dem Standardmodell überhaupt nicht vergleichbar sind.

Das führt quasi direkt zum zentralen Knackpunkt, der im Solvenzmodell weiter unrund abgebildet ist und dadurch die Gefahr einer massiven Fehlsteuerung der Altersversorgung in sich trägt: Das Solvenzmodell unterstellt, dass Aktien, Beteiligungen oder Immobilien langfristig lediglich den gleichen erwarteten Ertrag abwerfen wie sichere Anleihen, abgebildet mit der risikolosen Zinskurve. Ein Anleger, der also beispielsweise 10 Prozent Equity-Investments und 15 Prozent Immobilien langfristig im Portfolio durchhält, wird dadurch zwar durch höhere Kapitalanforderungen belastet, die absehbar höheren Ertragschancen werden jedoch völlig negiert. Einen solcher Anleger wird aber langfristig eher in der Lage sein, passivseitige Zinsversprechen einhalten zu können als ein Anleger, der 100 Prozent in Bundesanleihen investiert ist.