Analyse Nach Vorschlag der EU-Kommission: Solvency II auf Abwegen

Andreas Billmeyer von der LV 1871

Andreas Billmeyer von der LV 1871: Der Leiter des Risikomanagements kann den Vorschläge der EU-Kommission zum Review der Solvency II Richtlinie nur wenig Gutes abgewinnen. Foto: „Andreas Schwarz/Portfolio Institutionell“

Seit Monaten kursieren die Vorschläge von EIOPA zu einer Veränderung des Regulierungsrahmens Solvency II für Versicherer im Zuge des bereits bei Einführung 2016 vorgesehenen Review-Prozesses. Nun kam es zu einem ersten Vorschlag der EU-Kommission zur künftigen Level 1 Regulierung (Richtlinie), der weitgehend den Vorstellungen der Aufseher folgt. Leider ist damit bisher der Ruf von Praktikern, sei es seitens Verbänden geäußert oder direkt aus der Lebensversicherungsbranche, ungehört geblieben.

Der Gesetzgeber scheint beim Review-Prozess des Regulierungsrahmens für Solvency II zumindest derzeit recht einseitig den sehr vorsichtsgetriebenen Ansätzen der Aufsichtsbehörden zu folgen. „Was ist gegen einen vorsichtigen Ansatz zu sagen?“, wird der ein oder andere denken, dem die Finanzkrisen 2000 bis 2003 oder 2008 noch in lebhafter Erinnerung sind. Grundsätzlich nichts, solange die Sichtweise nicht einseitig wird, Risiken überbetont und Ertragschancen dagegen negiert werden. Worum handelt es sich nun bei den Knackpunkten im Solency II Review im Wesentlichen?

Es handelt sich um Verschärfungen der Kapitalanforderungen insbesondere für Lebensversicherungsunternehmen (LVU) mit bedeutenden Garantien zu Gunsten der Kunden, was klarmacht, dass damit vor allem der deutsche Markt negativ getroffen wird. Konkret ist geplant, die Zinskurve, mit der die Verpflichtungen abdiskontiert werden müssen, im Bereich ab 20 Jahren deutlich zu senken, was den Barwert der Rückstellungen in einer Markwertlogik erhöht und die Eigenmittel der Gesellschaften reduziert.

Ab einem gewissen Negativzins wird es lohnenswert, Bargeld zu horten

Von der sogenannten Ultimate Forward Rate, die derzeit als Summe eines gemittelten kurzfristigen Realzinses plus erwarteter Inflationsrate von EIOPA interpretiert wird, soll abgekommen werden. Stattdessen würde ein wenig intuitiver Parameter „a“ darüber entscheiden, wie stark (Forward-) Marktzinsen jenseits eines sogenannten „First Smoothing Points“ die Zinskurve noch beeinflussen dürfen. Abgesehen von fehlender inhaltlicher Nachvollziehbarkeit – die Wahl des Parameters wird rein politische Verhandlungsmasse – gibt es keinen fixierten Zins mehr, gegen den die Forwards am langen Ende überhaupt konvergieren würden.


Zudem vertritt die europäische Aufsichtswelt die Meinung, man müsste Zinsen – selbst wenn sie bereits deutlich im negativen Bereich liegen – einem weiteren deutlichen Stress nach unten aussetzen bei der Ermittlung des Solvency Capital Requirements (SCR) aus dieser Risikoquelle. Dies ist zwar rein technisch aus statistischen Zeitreihen vertretbar, es ignoriert jedoch gänzlich die pragmatische Dimension: Ab einem gewissen Negativzins wird es lohnenswert, Bargeld zu horten -trotz der Kosten für Logistik, Schließfächer und Versicherung von geschätzt etwa 0,3-0,4 Prozent, Kapitalanlagekosten sind jedoch bereits an anderer Stelle im Modell abgebildet.

Alternativ zu Lösungen einzelner Marktteilnehmer wäre es aber auch vorstellbar, analog zu physisch mit Gold hinterlegten ETFs, „physische Bargeld“-Fonds in leicht handelbarer Form ins Leben zu rufen. Hier käme zwar noch ein regulatorischer Overhead für den Fondsmantel dazu, jedoch zeigt auch dieses Beispiel, dass Negativzinsen noch deutlich unter dem aktuell vorherrschenden EZB-Strafzins von 0,5 Prozent schwerlich durchsetzbar wären und somit in einer Solvency II Modellierung auch keinen (weitergehenden) Eingang finden sollten. Hinzu käme dann noch eine eigentumsrechtliche Dimension, denn es wäre schwer vorstellbar, dass LV-Kunden letztlich Negativzinsen von etwa 2-3 Prozent jährlich als Nominalwertverlust akzeptieren.