Die Welt befindet sich im Superwahljahr – rund die Hälfte der Menschheit hat bereits in diesem Jahr ihre Stimme abgegeben oder wird es noch tun. Am Wochenende ist Europawahl, am 4. Juli wird in Großbritannien gewählt. Und der Showdown zwischen Biden und Trump am 5. November wirft bereits länger ihre Schatten voraus.
Bei all den mal größeren, mal kleineren Urnengängen stellt sich die Frage: Welche Auswirkungen haben Wahlen eigentlich auf die Märkte? Können also findige Investoren möglicherweise in die Glaskugel schauen, um Gewinne zu maximieren und Verluste zu minimieren. Genau damit haben sich Tristan Hanson, Maria Municchi und Randeep Somel vom englischen Vermögensverwalter M&G auseinandergesetzt.
Wahlen sind feste Termine, Kriege und Pandemien nicht
Bei Ereignissen, die Auswirkungen auf die Märkte haben können, macht Hanson, Teil des Multi-Assets-Teams, zwei entscheidende Unterschiede aus: unvorhersehbare Ereignisse und vorhersehbare. Erste sind beispielsweise die Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine. Wahlen zählen zu den zweiteren, da es ein festgelegtes Datum gibt.
Unvorhergesehenes würden die Märkte dabei grundsätzlich mehr bewegen, da es keine Möglichkeit gibt, sich vorzubereiten. Märkte bewegen sich bei Überraschungen, aber wie soll man diese vorhersagen? „Das ist quasi unmöglich. Aber man kann rationale Entscheidungen treffen“, sagt Hanson. Aber selbst bei einer richtigen Entscheidung können die Märkte anders reagieren.
Ein Beispiel ist die erste Wahl von Donald Trump. Nach dem Wahlergebnis brachen die Kurse am US-Markt ein, Zeitungen titelten über die Verwerfungen – die Kurse erholten sich kurz darauf nicht nur, sondern stiegen. Der Kurs des Peso in Mexiko brach dafür gleich um 20 Prozent ein, obwohl die Wahl in den USA stattfand. Für Marktteilnehmer sei es daher wichtig zu beobachten, aber gleichzeitig sollten sie nicht versuchen, Umfrageergebnisse oder ähnliches vor-vorhersagen zu wollen.
Auswirkungen teilweise so unvorhersehbar wie Wahlen selbst
Ein weiteres Argument, Wahlen nicht als ultimativen Indikator zu nutzen, liege in der Natur von Wahlen selbst: Nicht alles, was während einer Kampagne gesagt wird, wird tatsächlich umgesetzt. Entweder, weil es leicht populistisch ist, oder weil es extrem schwer umsetzbar ist. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Aus der jüngeren Vergangenheit sind laut der Fondsmanager die Niederlande ein gutes Beispiel. Der spätere Wahlsieger Geert Wilders wollte die Zuwanderung begrenzen, fuhr einen extremen anti-muslimischen Kurs, der bis an das Maximum ging. Mittlerweile hat die Niederlande eine Regierung. Geert Wilders sitzt ihr nicht vor und musste sich von einem Großteil seiner Forderungen entweder verabschieden oder Kompromisse hinnehmen.
Zudem gäbe es in Demokratien mehrere Gewalten, die sich gegenseitig kontrollieren (Checks & Balances). Allein dadurch dürften sich manche Wahlversprechungen als genau das heraus: Versprechungen. Die sich dann nicht erfüllen, weil andere Mechanismen greifen.
Einschätzungen zu den kommenden großen Wahlen
Obwohl Wahlen und die Auswirkungen auf die Finanzmärkte also schwer abzuschätzen sind, gibt es dennoch einige robuste Prognosen. M&G gab jüngst auf einem Medientag in London Einschätzungen zu...
... der Wahl in der EU: Bei den Wahlen in Europa könnten die rechtspopulistischen und -nationalen Parteien drittstärkste Kraft werden. Was für viele Menschen und Unternehmen durchaus bedenklich ist – was mittlerweile immer häufiger öffentlich kommuniziert wird – ändert an den Mehrheitsverhältnissen in Europa wohl zunächst nichts. Laut Somel, Mitglied des Asset-Teams, werden mindestens 50 Prozent der Sitze auf die klassischen demokratischen Parteien entfallen, kurzfristig ändere sich daher eher wenig. Die tendenziell geringe Wahlbeteiligung stärke ebenfalls das Ergebnis der rechtsnationalen Parteien, die teilweise für eine Auflösung der EU sind. Sorgenvolle blickt er eher auf die Europawahl danach, sollte sich das starke Abschneiden dieser Parteien wiederholen – oder weiter ausbauen.
... der Wahl in Großbritannien: Laut Somel tendenziell eine ruhige Wahl, da die Oppositionspartei Labour unter Keir Starmer in Umfragen teils einen Vorsprung von 20 Prozent hat. Starmer ist wirtschaftlich jedoch nah an der Regierungspartei Conservative orientiert und kann tendenziell von einer sich erholenden Wirtschaft profitieren. Je eindeutiger der Sieg einer der beiden Parteien, desto ruhiger sollten die Märkte bleiben, glaubt Somel. Ein Aufschwung in der schwächelnden britischen Wirtschaft deute sich ohnehin zumindest an. Anleihen könnten ebenfalls attraktiv sein – nach dem Debakel von Ex-Premierministerin Liz Truss und Ex-Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng um mögliche Steuersenkungen und einem resultierenden Einbruch der Anleihenmärkte würden die Nachfolger vorsichtiger agieren.
... der Wahl in den USA: Die Wahl in den Vereinigten Staaten von Amerika ist wahrscheinlich am schwierigsten vorherzusagen findet Multi-Asset-Fondsmanagerin Maria Municchi. Amtsinhaber Joe Biden und Herausforderer und Ex-Präsident Donald Trump liegen Kopf-an-Kopf. Doch selbst wenn Trump erneut siegen sollte, werde er nicht alles von dem umsetzen können, was er im Wahlkampf tönt. Denn wie in fast allen gut funktionierenden Demokratien gebe es Checks & Balances. Trump mag zwar im Wahlkampf behaupten, dass er Fed-Chef Jerome Powell entlassen wird. Faktisch könne er dies jedoch nicht tun, beziehungsweise muss durch mehrere Instanzen dafür gehen. Die Chance mag zwar bestehen, bis dahin vergehe aber viel Zeit. Ähnlich sehe es beim von Joe Biden ins Leben gerufene New Green Deal aus. Viele Stimuli für den nachhaltigen Umbau der US-Wirtschaft beruhen auf Steuererleichterungen, erklärt Municchi. Diese wieder abzuschaffen sei durchaus schwierig – zumal manche von Republikanern regierte Staaten dadurch durchaus profitieren. Und nicht zuletzt sich potenzielle Auswirkungen bereits in den Markt eingepreist. Bei einer erneuten Präsidentschaft Trumps warten laut Municchi Investoren bereits darauf, gewisse Unternehmen und Sektoren zu übernehmen oder zu finanzieren. Und selbst ein Präsident der USA kann nur auf föderalen Level Entscheidungen verhindern oder revidieren – nicht auf Ebene der Bundesstaaten.