Multidimensional und mehr Stockpicking Der Markt setzt Value-Investoren unter Zugzwang

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Multi-dimensionaler Value-Ansatz

Während Value-Investoren in der Zeit vor dem Jahrtausendwechsel weniger darauf achten mussten, aufgrund welcher Kriterien sie Aktien als Substanzwerte klassifizierten, sind sie seitdem in zunehmendem Maße dazu gezwungen, zwischen den einzelnen Faktoren zu unterscheiden. Statt einer Konzentration auf eine generelle Value-Prämie ist heute also ein multidimensionaler Ansatz gefragt.

Ein kurzes Beispiel mag dies verdeutlichen. Um die Chancen von Bewertungskennzahlen besser einschätzen zu können, kann es sinnvoll sein, die durchschnittliche Bewertung in verschiedenen Kennzahlen in den teuersten Sektoren durch die entsprechenden Bewertungen in den vier günstigsten Sektoren zu teilen. So erhalten wir ein Bewertungsverhältnis für jede Kennzahl.

Betrachten wir diese Verhältnisse, so scheint das Kurs-Buchwert-Verhältnis derzeit das deutlichste Kaufsignal anzuzeigen. Tatsächlich bewegt es sich derzeit auf einem Niveau, wie es zuletzt in den späten 1990er Jahren erreicht wurde – eine Zeit, in der eine ganze Reihe von Kennzahlen auf den Beginn eines neuen Aktienzyklus hingewiesen haben.

Diese Kennzahl enthält allerdings eine Verzerrung, denn sie umfasst auch all die niedrig bewerteten Sektoren, die derzeit mit langfristigen Veränderungen zu kämpfen haben: Energie, Rohstoffe, Versorger und Finanzen. Alleine auf dieser Basis läge die größte Chance für Value-Investoren also in einigen der am meisten missachteten Sektoren des Marktes.

Doch wenn wir diese Perspektive erweitern und uns die Potenziale auf Basis einer anderen Kennzahl, der sektorspezifischen Kurs-Gewinn-Verhältnisse ansehen, erscheint der Fall weniger eindeutig. Gleiches gilt bei einer Analyse auf Dividendenbasis, siehe die nachfolgende Abbildung. Das zeigt, dass die Chancen durch Fehlbewertungen von Assets und eine mögliche Rückkehr zum Mittelwert (Mean Reversion) derzeit so gering sind wie lange nicht mehr.

Buchwert-Gelegenheit?

Legende: Kurs-Buchwert-Verhältnis (dunkelblaue Linie), Kurs-Gewinn-Prognose (hellblaue Line), Kurs-Dividenden-Verhälntis (graue Linie)

Quelle: Citi Research, Factset

 

 

Freie Cashflows als entscheidender Kurstreiber

Es stellt sich also die Frage, welche Kennzahlen die Performance von Titeln in einer gegebenen Marktlage am stärksten beeinflussen. Betrachten wir das Jahr 2015, so fällt auf, dass eine Strategie, die sich auf die Titel mit den günstigsten Kurs-Buchwert- und Kurs-Gewinn-Verhältnissen stützt, deutlich weniger Rendite erbracht hat als eine, die sich auf Titel von Unternehmen konzentriert hat, deren besondere Stärke in der Generierung von freien Cashflows liegt.

Das erscheint nur konsequent, denn in einem Marktumfeld, das durch Renditehunger einerseits und Risikoaversion andererseits geprägt ist, hat Cash sowohl für Investoren als auch für die Management-Teams in den Unternehmen an Bedeutung gewonnen. Hohe Cashflows befähigen die Unternehmen, Kapital über Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe an ihre Anteilseigner auszuzahlen. Der Druck seitens aktivistischer Investoren, genau das zu tun, ist derzeit so hoch wie nie zuvor.

Zusätzlich standen Firmen mit hohen freien Cashflows auch im Zentrum der Konsolidierungsbemühungen in vielen Branchen. Auch wenn die Nachfrage nach entsprechenden Titeln in der jüngsten Zeit etwas nachgelassen hat, bleiben diese strukturellen Treiber bestehen, solange sich das makroökonomische Umfeld nicht grundlegend wandelt.

Fokussierung auf Einzeltitel

Und das bringt uns zum Abschluss unserer Betrachtung zur zweiten Ebene der Weiterentwicklung. Denn die Fähigkeit zur Generierung freier Cashflows ist ein in höchstem Maße unternehmensspezifischer Faktor, der in engem Zusammenhang mit dem Geschäftsmodell des Unternehmens steht und von individuellen Bedingungen beeinflusst wird. Value-Investoren müssen daher einen verstärkten Fokus auf die Einzeltitelauswahl legen.

Das folgt auch aus der oben analysierten schwindenden Aussagekraft sektorspezifischer Bewertungsniveaus: Je weniger eindeutig die Top-Down-Lage ist, desto stärker müssen sich Investoren mit der Analyse einzelner Aktien beschäftigen. Denn auf dieser Ebene finden sich durchaus Weltklasseunternehmen, die eindeutig günstig bewertet erscheinen.

Gefragt sind also eine Verbreiterung der Perspektive hin zu einem multidimensionalen Ansatz einerseits und eine stärkere Fokussierung auf Einzeltitel andererseits. Das bedeutet eine evolutionäre Weiterentwicklung des Value-Investing: Wer auch in Zeiten weniger eindeutiger Marktsignale in Substanzwerte investieren will, muss die Frage danach, was heute „Substanz“ bedeutet, auf eine differenziertere Weise beantworten. So können Value-Investoren auch dann erfolgreich sein, wenn die große Stilrotation noch eine Weile auf sich warten lässt.

Und während der Markt sich den Kopf darüber zerbricht, wann es soweit ist, dürfte die damit verbundene Unsicherheit dafür sorgen, dass an günstigen Einstiegsgelegenheiten in erstklassige Unternehmen bis auf weiteres kein Mangel herrscht.

Über den Autor:
Sebastien Mallet ist Fondsmanager der Global Value Equity Strategie von T. Rowe Price. Für die US-Fondsgesellschaft arbeitet er bereits seit 2005 und war zuvor für Credit Suisse First boston in Tokyo und London sowie France Telecom tätig.

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