Mr. Market und seine irren Launen Finanzmärkte verhalten sich wie „betrunkene Psychopathen“

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Handelsprogramme: computergestützte Verstärker von Emotionen

In den vergangenen Jahren sind die heftigen Schwankungen stärker geworden. Mr. Market wankt immer wilder hin und her zwischen grauenhaften Depressionen und überoptimistischen Phasen. Vor genau einem Jahr herrschte Euphorie, der Dax sollte demnächst nach Meinung mancher Experten 15.000 Punkte erreichen. Stattdessen ist er um 30 Prozent gefallen und Mr. Market fiel in tiefe Depressionen.

In der aktuellen Marktphase ist auffällig, dass die Kurse am Aktienmarkt den Ausschlägen am Erdöl-Markt folgen. Dieser ist derzeit ungewöhnlich volatil, was sich aber gut mit dem Preiskrieg erklären lässt, den Saudi Arabien angezettelt hat. Weniger offensichtlich ist, warum sich Ölpreisschwankungen so unmittelbar und einseitig auf die Aktien auswirken müssen. Insbesondere widerspricht es der konventionellen ökonomischen Logik, dass die Titel konjunktursensitiver Firmen mit dem Ölpreis fallen, obwohl sie eigentlich profitieren müssten, weil sie und ihre Kunden entlastet werden.

Forscht man nach, wer denn für diese heftigen Kursbewegungen hauptverantwortlich sei, bekommt man immer wieder eine Antwort: Handelsprogramme, die auf der Basis von Algorithmen versuchen, von kurzfristigen Marktschwankungen zu profitieren. Dabei ist das von ihnen bewegte Volumen inzwischen so groß geworden, dass sie selbst die Volatilität erzeugen, aus der sie ihre Gewinne ziehen wollen. Um zu verstehen, was diese Algorithmen zu ihren Orders bewegt, muss man sich vergegenwärtigen, dass diese auf Prognosen basieren, die mit Methoden der Big Data Analyse ermittelt werden. Hierbei spielen vor allem zwei Vorgehensweisen eine Rolle: die automatisierte Analyse von Informationen sowie die Konzentration auf Korrelationen unter Vernachlässigung von Kausalitäten.

Fehlinterpretationen durch automatisierte Newsflow-Analyse sind vorprogrammiert

Die Betreiber von Handelsalgorithmen haben spezielle Programme, die geschriebene Informationen maschinenlesbar machen und ihre automatisierte Analyse ermöglichen. Unternehmensmeldungen und sonstige Nachrichten können so blitzschnell interpretiert und in Orders umgesetzt werden. Fatal hierbei ist aber, dass diese Programme
  1. alle Informationen erstmal ungeprüft als „wahr“ nehmen und so verarbeiten; sowie, dass sie
  2. nicht in der Lage sind, sprachliche Nuancen richtig zu erfassen.
Die Priorisierung der schnellen Datenverarbeitung vor einer gründlichen Auswertung macht die Algorithmen zum einen leicht manipulierbar, andererseits auch anfällig für Fehlinterpretationen und Missverständnisse. Wenn ein Unternehmen beispielsweise nach guten Zahlen keinen überoptimistischen Ausblick gibt, interpretieren dies die Computer schon mal gelegentlich als Gewinnwarnung.

Umgekehrt können Firmen bei einer Ertragsenttäuschung durch aggressive Formulierung ihrer Geschäftsprognose eine positive Kursreaktion auslösen, weil die Rechner antizipieren, dass jetzt alles besser wird.

Korrelation ersetzt Kausalität: wenn aus Big Data sich selbst bestätigender Schwachsinn wird

Viel problematischer als die automatisierte Analyse ist jedoch das Motto „Korrelation ersetzt Kausalität“ der Big Data-Bewegung. Als ich es das erste Mal las, hielt ich es zu Unrecht für eine Art April-Scherz. Denn ich hatte in meinem Statistik-Grundkurs gelernt, dass es sogenannte „Scheinkorrelationen“ gibt: statistische Zusammenhänge, die nur auf dem Zufall beruhen und keine inhaltliche Verbindung besitzen.