Mr. Market und seine irren Launen Finanzmärkte verhalten sich wie „betrunkene Psychopathen“

Vorstand von Long-Term Investing Research – Institut für die langfristige Kapitalanlage: Karl-Heinz Thielmann

Vorstand von Long-Term Investing Research – Institut für die langfristige Kapitalanlage: Karl-Heinz Thielmann

Ist der gefallende Ölpreis nicht ein zuverlässiges Signal für eine kommende Weltwirtschaftskrise? Kann die Deutsche Bank ihre Anleihen noch bedienen? Gehen europäische Finanzinstitute vielleicht sogar reihenweise Pleite, weil Kreditausfälle bei Ölproduzenten drohen? Können Apple, LVMH oder BMW ihre teuren Premiumprodukte noch verkaufen, wenn China kollabiert? Und warum ist ein Fall der Arbeitslosenquote in den USA unter 5 Prozent ein sicheres Zeichen für die unvermeidbare Konjunkturabschwächung?

Kaum ein Gerücht war zu abstrus, um nicht in den vergangenen Wochen als nachgeschobene Begründung für die hohen Schwankungen an den Aktienmärkten von den Medien und Kapitalmarktexperten ernsthaft diskutiert zu werden.

Damit schafften sie es tatsächlich, viele professionelle Anleger stark zu verunsichern. Wie eine monatlich von Bank of America Merrill Lynch durchgeführte Umfrage bei den großen Fondsmanagern der Welt zeigte, stiegen die Cash-Quoten im Februar wieder auf ein Rekordniveau: Sie waren mit durchschnittlich 5,6 Prozent so hoch wie seit November 2001 nicht mehr; einer Zeit also, die durch extreme Verunsicherung nach den Anschlägen auf das World Trade Center geprägt war.

Weiterhin ergab die Umfrage, dass die Erwartungen der Investoren für Wachstum und Gewinnentwicklung so niedrig sind wie seit Juli 2012 nicht mehr. Tatsächlich ist die Nachrichtenlage gar nicht einmal so schlecht. Abgesehen von einigen Ausnahmen wie Deutsche Bank, Credit Suisse oder RWE verlief die Unternehmens-Berichtssaison für das vierte Quartal in Europa eigentlich recht gut. In den USA gab es einige schlechte Ergebnisse bei Exportwerten und Energietiteln, die allerdings im Wesentlichen von Analysten schon erwartet worden waren.

Ökonomische Wachstumsprognosen von führenden makroökonomischen Prognostikern wurden zurückgenommen, allerdings nur in begrenztem Umfang. So revidierte zum Beispiel die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ihre Wachstumserwartung für das Weltsozialprodukt in 2016 von 3,3 Prozent auf 3 Prozent pro Jahr.

Diese Zahl liegt damit zwar etwas unter dem Potenzialwachstum von 3,75 Prozent, begründet aber auch kein Katastrophenszenario. Zudem sind solche Revisionen nicht ungewöhnlich, da in fast jedem Jahr die Ökonomen mit ihren Prognosen erst mal falsch liegen und sich dann an einen realistischeren Wert herantasten.

Warren Buffett: Finanzmärkte verhalten sich wie „betrunkene Psychopathen“

Betrachtet man die Art und Weise, wie Finanzmärkte und ihre Akteure agieren, so ist dies dem Krankheitsbild einer bestimmten psychischen Erkrankung nicht unähnlich: der „bipolaren Störung“, die ebenfalls unter der Bezeichnung „manisch-depressive Erkrankung“ bekannt ist. Sie zeigt sich bei den Betroffenen durch episodische, willentlich nicht kontrollierbare und extreme Schwankungen ihrer Aktivitäten und Stimmungen. Zwei verschiedene Haupt-Phasen wechseln einander ab:
  • Depressionen zeichnen sich durch stark gedrückte Stimmung und Antriebslosigkeit aus. Die Fähigkeit zur Prüfung der Realität ist eingeschränkt, Risiken werden stark überschätzt. Bei heftigen Depressionen kann es zu Verzweiflungstaten kommen.
  • Eine manische Episode ist durch hohe Aktivität gekennzeichnet, was oft mit inadäquat euphorischer oder gereizter Stimmung einhergeht. Hierbei ist die Fähigkeit zur Prüfung der Realität ebenfalls mitunter stark eingeschränkt, insbesondere diejenige zur Wahrnehmung von Risiken. Die Betroffenen können sich durch leichtsinniges Handeln in große Schwierigkeiten bringen.
Mit „Mr. Market“ hat Benjamin Graham eine Kunstfigur geschaffen, um die bipolar gestörten Sentimentschwankungen an Finanzmärkten in einem personifizierten Denkmodell darzustellen. Warren Buffett hat diesen Mr. Market sogar einmal als „eine Art betrunkenen Psychopathen“  bezeichnet, weil er so handelt, als ob die psychischen Störungen durch Alkohol noch verstärkt werden.

Mr. Market bietet dem Anleger ständig an, Aktien zu kaufen oder zu verkaufen. Preise und Qualitäten schwanken stark, das Angebot ist von kurzfristigen Notwendigkeiten oder Emotionen getrieben. Er kommt jeden Tag wieder, manchmal völlig berauscht, gelegentlich verkatert oder dann und wann auch nüchtern. Jedes Mal hat er andere Preise, Argumente, Stimmungen.

Gelegentlich hat Mr. Market sogar recht, sehr oft aber nicht. Für den Investor kommt es dann darauf an, sich nicht von ihm irritieren zu lassen, sondern sich auf die realen Werte der Anlagen zu konzentrieren. In Depressionsphasen bieten sich viele Kauf-Chancen; meistens ist es jedoch besser, Mr. Market zu ignorieren.