Moderne Geldtheorie in den USA Die Quadratur des haushaltspolitischen Kreises

Achim Siller (l.) ist Leiter Portfoliomanagement bei Pictet Wealth Management in Deutschland. Thomas Costerg Senior-Analyst und Ökonom bei Pictet Wealth Management in Genf.

Achim Siller (l.) ist Leiter Portfoliomanagement bei Pictet Wealth Management in Deutschland. Thomas Costerg Senior-Analyst und Ökonom bei Pictet Wealth Management in Genf. Foto: Pictet

Die moderne Geldtheorie (englisch: Modern Monetary Theory, kurz MMT), eine von unorthodoxen Ökonomen vertretene volkswirtschaftliche Theorie, findet in den USA zunehmend Anhänger. Die Theorie verfolgt einen experimentellen ökonomischen Ansatz, hinter dem die grundsätzliche Überzeugung steht, dass Geldschöpfung durch den Staat über Haushaltsausgaben erfolgt – und nicht durch Zentral- und Privatbanken, wie es die traditionelle Theorie lehrt.

Die Befürworter der MMT in den USA deuten die aktuell niedrige Inflation als Zeichen dafür, dass nicht genug Geld im System ist und somit die Haushaltsausgaben nicht ausreichen. Die zentralen Forderungen lauten, dass die Federal Reserve (Fed) und das US-Finanzministerium zusammengelegt, die Zinsen auf null gesenkt und die Staatsausgaben erhöht werden sollten. In Reinform wird die Modern Monetary Theory wohl kaum zum Einsatz kommen, doch einige Aspekte könnten mittelfristig durchaus umgesetzt werden. Da sie hochgradig experimentell ist, birgt sie aber auch Risiken.

Die klassische Wirtschaftstheorie hat Mühe, die aktuelle Situation zu erklären, denn der Zusammenhang zwischen einem starken Arbeitsmarkt und einem Anstieg der Inflation funktioniert nicht mehr. Ebenso wenig wie die traditionelle Sicht des Monetarismus, dass eine quantitative Lockerung zu höherer Inflation hätte führen müssen. Die Fed müht sich, einen neuen, geeigneten Rahmen für ihre Geldpolitik zu finden, und unterstützt damit noch die enorme Anziehungskraft der MMT-Ideologie. Der ehemalige IWF-Chefökonom Olivier Blanchard argumentierte in einer Rede im Januar 2019, höhere Staatsausgaben seien nicht nur möglich, sondern sogar wünschenswert. Für Aufsehen sorgte gleichzeitig der republikanische Ökonom Arthur Laffer mit der Äußerung, er sehe keinen Sinn in der politischen Unabhängigkeit der Fed.

Im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl 2020 sehen viele Politiker in den USA in der MMT eine Möglichkeit zur Quadratur des haushaltspolitischen Kreises. Ein typisches Beispiel ist der Green New Deal, den der demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders propagiert, der nach Schätzungen aber 16,3 Billionen US-Dollar kosten würde. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt derzeit bei 21,3 Billionen US-Dollar.

Die Rufe nach einer Rückkehr zu Nulldefiziten sind dagegen praktisch verstummt. Am Ende sind tiefe oder sogar Nullzinsen für viele der Weg des geringsten Widerstands. Eine drohende Rezession könnte die Einführung von Maßnahmen im Sinne der MMT noch beschleunigen.

Bankreserven der Fed und deren Anteil am BIP im Vergleich zur Inflation

>>Vergrößern

 Quelle: Pictet