- Verbraucher treffen irrationale Kaufentscheide
Stellen Sie sich vor, Sie sind bei einem Freund zum Essen eingeladen und müssen eine Flasche Wein mitbringen. Im Supermarkt haben Sie die Wahl zwischen drei verschiedenen Rotweinen: 15, 19 und 25 Euro. Sie sind mit den Marken und der Qualität nicht vertraut – welche Flasche wählen Sie?
Während ein Sommelier nach den verschiedenen Regionen, Traubenmi...
Dieser Artikel richtet sich ausschließlich an professionelle Investoren. Bitte melden Sie sich daher einmal kurz an und machen einige berufliche Angaben. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
- Verbraucher treffen irrationale Kaufentscheide
Stellen Sie sich vor, Sie sind bei einem Freund zum Essen eingeladen und müssen eine Flasche Wein mitbringen. Im Supermarkt haben Sie die Wahl zwischen drei verschiedenen Rotweinen: 15, 19 und 25 Euro. Sie sind mit den Marken und der Qualität nicht vertraut – welche Flasche wählen Sie?
Während ein Sommelier nach den verschiedenen Regionen, Traubenmischungen und mehr auswählt, entscheidet die Mehrheit der Deutschen sich für die vermeintlich „sichere mittlere Option“: Die Wahl der günstigsten Flasche könnte zu sparsam wirken, während man mit der teuersten Flasche aber auch kein Geld verschwenden will. Die Tendenz zur Mitte wird als Kompromisseffekt bezeichnet und ist nur ein Beispiel für die vielen „Behavioural-Pricing“-Methoden, die Unternehmen anwenden können, um von irrationalem Verbraucherverhalten zu profitieren.
Lektion für Privatbanken und Vermögensverwalter: Dasselbe Prinzip gilt auch im Bankwesen. Ein führender europäischer Online-Broker hat kürzlich die Anzahl der Angebotsoptionen auf drei klar voneinander abgegrenzte Pläne erhöht. Das sehr begrenzte Einstiegsangebot –ein1 Trade pro Monat in der Plattformgebühr enthalten – liefert einen Anreiz für die inaktiven Kunden, ihr Engagement auf der Plattform zu steigern. Bei der mittleren Standard-Variante kauft sich der Kunde mit einer etwas höheren Monatsgebühr als in der Einstiegsvariante das Recht auf niedrigere Transaktionsgebühren –analog dem Bahncard-Ansatz der deutschen Bahn. Das Premium-Modell monetarisiert die sehr spezifischen Bedürfnisse von Heavy-Tradern, wie beispielsweise den Zugang zu Echtzeit-Marktdaten oder Trading-Tools.
- Wie Sie Preise kommunizieren, ist von Bedeutung
Menschen beurteilen eine Stadt häufig nach dem wahrgenommenen Preisniveau – für Touristen ist der Bierpreis ein wichtiger Ankerpunkt. Vergleichen wir also das wahrgenommene Preisniveau von München mit dem von Köln: Ein Bier auf dem Münchner Oktoberfest kostete 2019 im Mittel etwa 11,30 Euro, während es im Kölner Karneval nur 2,50 Euro kostete.
Auf den ersten Blick scheint der Münchner Preis unverschämt zu sein, aber wenn das geschulte Barpersonal einen vollen Ein-Liter-Krug zum Tisch bringt, ist man angenehm überrascht. In Köln hingegen kostet ein Glas Bier nur 2,50 Euro. Sie müssen aber wahrscheinlich viel mehr Gläser trinken, um den gleichen „Genuss“ zu erreichen – denn ein Standard-Kölsch wird in einem 0,2-Liter-Glas serviert, und das Barpersonal wird so lange mehr bringen, bis Sie es mit Ihrem Bierdeckel bedecken.
Welche Stadt hat also das teuerste Bier? Intuitiv denken viele an München, aber das Bier in Köln kostet zur Karnevals-Zeit 12,50 Euro pro Liter – ein Aufschlag von 1,20 Euro gegenüber München. Wenn Sie jedoch eine kurze Umfrage unter Kölnern durchführen, werden diese Ihnen schwören, dass ihre Stadt das günstigste und beste Bier in ganz Deutschland hat.
Lektion für Privatbanken und Vermögensverwalter: Die Aufteilung der Gebühren in kleinere Einheiten kann die Preiswahrnehmung positiv beeinflussen. Eine jährliche Mindestberatungsgebühr von 5.000 Euro mag teuer erscheinen, aber aufgeteilt in vierteljährliche Gebühren von 1.250 Euro wird sie für den Kunden deutlich interessanter.
- Im Vertrieb treffen Preisstrategie und Kunde aufeinander
Stellen Sie sich vor, Sie bestellen eine Pizza bei Ihrem örtlichen Lieferdienst. Sowohl Sie als auch ein anderer Kunde haben eine große Hawaii-Pizza ohne zusätzlichen Belag bestellt, aber an der Theke stellen Sie fest, dass der Lieferdienst Ihnen 2 Euro mehr berechnet. Als Sie die Kassiererin nach dem Preisunterschied fragen, erklärt sie Ihnen, dass sie Leuten in Jeans immer 1 Euro mehr und Leuten mit grünen Schuhen immer 1 Euro weniger berechnet. Für Sie als Kunde macht das überhaupt keinen Sinn, und Sie überlegen, ob Sie in Zukunft nicht lieber einen neuen Laden ausprobieren. Im Bankwesen würde das bedeuten, dass Sie einem Ihrer Kunden 5 Euro und dem anderen 10 Euro pro Trade für eine identische Dienstleistung und einen identischen Transaktionsbetrag berechnen – ein unfairer Deal.
Lektion für Privatbanken und Vermögensverwalter: Behandeln Sie Ihre Kunden bei der Sonderkonditionsvergabe fair. Schulen Sie Ihr Vertriebsteam darin, die Zielpreise richtig durchzusetzen und Preisunterschiede zwischen Kunden, die ähnlich hohe Vermögen bei Ihnen buchen, angemessen zu rechtfertigen. Digitale Angebote zum Ertrags- und Sonderkonditions-Management unterstützen Banken zusätzlich dabei, Preisentscheide mit voller Information über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Sonderkonditionen zu treffen.
Fazit
Privatbanken und Vermögensverwalter gehen aktuell nur bedingt auf die Angebots- und Pricing-Bedürfnisse ihrer Kunden ein. Auch wenn sich das Dienstleistungsangebot und das Wertversprechen erheblich von Verbraucherunternehmen wie Netflix oder Reifenherstellern wie Michelin unterscheiden, so lassen sich doch wichtige Lehren aus der Preisgestaltung von führenden Unternehmen aus verschiedenen Branchen ziehen.
Da sich sowohl die regulatorische als auch die Investoren-Landschaft weiterentwickelt, werden Privatbanken und Vermögensverwalter unweigerlich gezwungen sein, ihr Angebot und ihre Preisstrategien innovativer zu gestalten. Das alles zahlt auf das übergeordnete Ziel der Finanzdienstleister ein, ihre Einnahmen zu steigern und für ihre Zielgruppe relevant zu bleiben.
Über den Autor:
Max Biesenbach ist Partner im Kölner Büro der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners und leitet das Wertpapiergeschäft in Deutschland. Er berät unter anderem führende Privatbanken, Online Broker, Asset Manager und B2B-Infrastruktur-Anbieter zu Angebots-, Pricing- und Vertriebsthemen.