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Michael Hasenstab im Interview „Externe Anfälligkeit von Schwellenmärkten ist oft überbewertet“

 Michael Hasenstab, Investmentchef von Templeton Global Macro bei Franklin Templeton

Michael Hasenstab, Investmentchef von Templeton Global Macro bei Franklin Templeton

private banking magazin: Haben wir eine Emerging-Markets-Krise?

Michael Hasenstab: Schaut man auf die Währungsentwicklung, befinden sich die Emerging Markets nach Wahrnehmung des Markts mitten in der Krise. Und zwar in einer Krise, die schwerer ist als alle früheren. Eine solche Krise, wie sie der Markt einpreist, haben wir aber nicht.

Aber so richtig rund läuft es auch nicht, oder?

Hasenstab: Ohne Zweifel waren die vergangenen Jahre für die Schwellenmärkte herausfordernd. 2015 war das fünfte Jahr in Folge mit abnehmendem Wachstum. Zur normalen zyklischen Abschwächung kamen sieben Schocks hinzu, die sich zum Teil gegenseitig bedingen: eine straffere Politik der US-Notenbank, steigende Volatilität bei den Kapitalströmen, das langsamere Wachstum in China und auch beim Welthandel, deutlich niedrigere Rohstoffpreise, gestiegene Unsicherheit und länderspezifische Schocks wie beispielsweise die politische Krise in Brasilien. Das alles hat aber zu keiner systematischen Schwellenländerkrise geführt, sondern lediglich zu weniger Wachstum.

Sind die Schwellenländer heute besser aufgestellt als in früheren Krisen, um solchen Schocks zu trotzen?

Hasenstab: Viele Länder haben aus den vorigen Krisen gelernt und ansehnliche Puffer und Schutzmaßnahmen aufgebaut. Das reicht von flexiblen Wechselkursen und Devisenreserven über eine umsichtige Fiskal- und makroökonomische Politik hin zu solideren Bilanzen und einen robusteren Bankensektor. Die wichtigste Veränderung in den Schwellenländern, die ihre Anfälligkeit für Finanzkrisen verringert, ist wahrscheinlich die deutliche Vertiefung der inländischen Finanzmärkte im vergangenen Jahrzehnt.

Woran machen Sie die fest?

Hasenstab: Es ist eine breite einheimische Anlegerbasis entstanden. So ist das Gesamtvermögen bei inländischen Versicherungen und Pensionsfonds in den Schwellenländern seit 2005 von 2,3 Billionen US-Dollar auf rund 6 Billionen US-Dollar im Jahr 2013 gestiegen. Bei der Kreditaufnahme nutzen Regierungen zunehmend die lokalen Märkte. Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ist der Anteil internationaler Schuldpapiere der Schwellenländer von rund 40 Prozent im Jahr 1997 auf nur noch 8 Prozent in 2014 gefallen. Einige Staaten haben zudem die niedrigen Zinsen in den letzten Jahren genutzt, um das Fälligkeitenprofil ihrer Schulden zu verlängern. In Mexiko zum Beispiel lag die durchschnittliche Laufzeit von Staatsanleihen 2010 noch bei unter sechs Jahren, im April 2016 lag sie bei knapp über neun Jahren.

Sie haben ein hauseigenes Bewertungsmodell lokaler Märkte entwickelt. Warum?

Hasenstab: Heute ist ein anderer Rahmen erforderlich, um die relativen Risiken und Chancen auf den einzelnen Schwellenmärkten richtig einzuschätzen. Vor allem ist zu berücksichtigen, dass lokale Anleihemärkte mittlerweile eine bedeutendere Rolle spielen als in Zeiten früherer Schwellenländerkrisen. Die Abhängigkeit von ausländischen Kapitalzuflüssen und das Währungsrisiko haben sich verringert. Traditionelle Indikatoren für externe Anfälligkeit spielen zwar noch eine Rolle – auch in unserer Analyse. Sie sind aber weder das einzige noch das wichtigste Maß für die Widerstandsfähigkeit oder Anfälligkeit der Märkte. In vielen Schwellenländeranalysen sind unserer Meinung nach deutlich überbewertet.

Welche Faktoren spielen für Ihre Bewertung eine Rolle?

Hasenstab: Wir haben insgesamt fünf Faktoren, die externe Anfälligkeit ist einer davon. Ein weiterer Faktor ist der „Policy-Mix“. Hier analysieren wir die Qualität der makroökonomischen Politik. Wie gut funktionieren Regierung und Parlament? Gibt es eine unabhängige Zentralbank? Drittens prüfen wir, ob das Land aus früheren Krisen gelernt hat. Viertens bewerten wir die Strukturreformen. Der letzte Faktor ist die Stärke und Nachhaltigkeit der Inlandsnachfrage. Daraus ergibt sich die Fähigkeit eines Landes, aus eigener Kraft zu wachsen. Angesichts der erhöhten Unsicherheit im globalen Umfeld erwarten wir, dass sich Länder, die von globalen Entwicklungen relativ isoliert sind und über eine robuste Inlandsnachfrage verfügen, besser entwickeln dürften als andere. Die Bewertung der Einzelfaktoren fassen wir zu einem Gesamtwert für jedes Land zusammen – unserem Local Markets Resilience Index, kurz LMRI. Zu jedem analysierten Land gibt es einen Ist-Wert und eine Prognose.